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August 1928: Während Arbeiterschaft und Bauern in Marx' "Kapital" nach Erklärungen für die mysteriösen Vampirbissmale ihrer toten Kameraden suchen, taucht im luxuriösen Ostseedomizil der reichen, bezaubernden Erbin Miss Flambow-Jansen ein angeblicher Baron auf. Er entpuppt sich rasch als proletarischer Hochstapler, der aufgrund eines politischen Zwischenfalls um Sergej Eisenstein und Stalin höchstselbst aus der Sowjetunion geflohen ist.
Mit seiner dialektischen Fabel treibt Radlmaier den zu seinem Markenzeichen gewordenen "ironischen Materialismus" auf die Spitze. Ideologie und Cinephilie sind die Zutaten einer formalistischen Komödie, die die marxsche Metapher vom Kapitalisten als Blutsauger wortwörtlich nimmt. In den Film eingestreute historische Ungereimtheiten weisen dezent auf die Aktualität des Themas hin. Vor allem die abrupte Wendung am Schluss, die Realitätsmanipulation und Fremdenfeindlichkeit andeutet, macht klar: Nicht nur damals, sondern erst recht heute sind Ungerechtigkeit und Verlogenheit an der Tagesordnung. Nach wie vor richten die Unterdrückten die Klassengewalt gegen das falsche Ziel und halten ihre Halsschlagader noch immer den Reißzähnen der Unterdrücker hin.
Quelle: 71. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
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Eine Gruppe junger Marxisten um Rosa, die freiwillig in einer Fabrik arbeitet, um den Ausgebeuteten nah zu sein, hat sich am Ostseestrand zu einer Lesung aus dem Werk des verehrten Meisters versammelt. Es geht um den Verkauf der Arbeitskraft an ausbeuterische Unternehmer, denen „Vampirdurst nach lebendigem Arbeitsblut“ vorgeworfen wird. Woraufhin Bruno fragt, ob der Kapitalist nun „unser Vampir“ ist? Aussagen von Marx vom vampirmäßigen Einsaugen lebendiger Arbeit, erhält er zur Antwort, sind natürlich nur metaphorisch gemeint.
Unweit steht ein vornehm gekleideter Herr am Strand und blickt lange auf die Wellen der Ostsee. Es ist Ljowuschka, der sich als verfolgter russischer Aristokrat ausgibt, um sich das Geld für die Überfahrt nach New York zu besorgen – notfalls auch durch Diebstahl. Seine außergewöhnliche Erscheinung erregt das Aufsehen der jungen Fabrikbesitzerin Octavia Flambow-Jansen, die ihren „einfachen Angestellten“ Jakob zu ihm schickt, um den vorgeblichen Baron aus St. Petersburg zu sich einzuladen.
Ljowuschka wird im Herrenhaus der exzentrischen Millionärin aufgenommen. Die Tarnung des geheimnisvollen Flüchtlings fliegt rasch auf, als sich dieser nachts am Tresor zu schaffen macht und von Octavia erwischt wird. Als er sich ihr offenbart, verspricht sie finanzielle Abhilfe. An den Strand zurückgekehrt trifft Ljowuschka auf einen Algensammler, der aus dem Seetang eine Salbe gegen Vampirbisse gewinnt. Und auf englische Touristen, die seinen wunden Fuß verarzten.
Der literarisch ambitionierte Jakob, den Rosa freilich ob seiner Naivität einen „hirntoten Knecht“ Octavias nennt, schwärmt für seine dekadente Chefin („Ich ersticke in diesem kaiserlichen Puppenhäuschen“) und ist entsprechend eifersüchtig – auf den falschen russischen Baron, auf den Bürgermeister Dr. Humbug und den eitlen Weltenbürger Bonin. Als Ljowuschka einen Stummfilm dreht mit dem Algensammler als Vampir und Octavia als Opfer, vertraut Jakob die geheimsten Gefühle seinem Tagebuch an – bevor er einer Fliegenpilz-Mahlzeit zum Opfer fällt.
Octavias Pächter ist im Zahlungsrückstand und hat seine Lieblingspute Karla geschlachtet, die Ljowuschka zubereitet, der immer mehr Aufgaben des verstorbenen Jakob übernimmt. Tante Erkentrud ist mit ihrem Diener-Paar Hans und Franz eingetroffen. Sie sorgt sich um die Zukunft der Fabrik und will alle Kommunisten, die einen Betriebsrat gründen wollen, erschießen. Offenbar treiben Vampire in der Gegend ihr Unwesen…
„Blutsauger“ ist mit 125 Minuten unerträglich lang. Nur vorgeblich in den 1920er Jahren angesiedelt wartet die „marxistische Vampirkomödie über die Sehnsucht und das Kapital“ mit bewussten Ungereimtheiten auf, um auf die Zeitlosigkeit des Stoffes hinzuweisen: Zum Weinbergschnecken-Essen anno 1928 gibt’s Cola aus der Dose, alpenländische Volksmusik erklingt aus dem Radio, Octavia braust auf einer heißen Kawasaki-Maschine davon und Bonin mokiert sich über Ljowuschkas Drehversuche: „Hegel lässt die Filmkunst gänzlich unerwähnt.“
Wäre Julian Radlmaiers „ironischer Materialismus“ wenigstens kurzweilig, könnte man über die Leere der behaupteten antikapitalistischen Lehre hinwegsehen. „Blutsauger“, so lässt sich der in Berlin lebende deutsch-französische Filmemacher im Grandfilm-Presseheft vernehmen, sei „vor allem ein Film über die verführerische Bannkraft des bürgerlich-kapitalistischen Subjekts, über die Schwierigkeit menschlicher Beziehungen in einer Klassengesellschaft, über den Zwang zur Arbeit und das Recht auf Faulheit, über die Verfügung über die eigene Zeit und den eigenen Körper, die strukturelle Funktion von Rassismus, über Abstiegsängste, Aufstiegsfantasien und die alte Frage, ob man es sich als Einzelner gemütlich machen kann in unwirtlichen Verhältnissen, ohne sich zu korrumpieren.“
Pitt Herrmann