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In seinem Film "Berlin-Stettin" begibt sich der renommierte Dokumentarfilm-Regisseur Volker Koepp auf eine Reise zu den Orten seiner eigenen Vergangenheit: 1944 in Stettin (heute das polnische "Szczecin") geboren und in Berlin-Karlshorst aufgewachsen, hat er im Lauf der Jahre zwischen diesen beiden Städten immer wieder Menschen getroffen und Orte gefunden, die er zu Protagonisten seiner Filme machte – in Brandenburg, Mecklenburg und Pommern. Nun kehrt er noch einmal an diese Orte zurück, und es erweist sich, dass seine eigene Biografie sich mit der Biografie seiner wiedergefundenen Protagonisten und mit der Geschichte dieses Landstrichs überlagert. Zugleich findet Koepp bei seiner Spurensuche neue Menschen, Landschaften und Themen, von denen zu erzählen sich lohnt.
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Mit persönlichen Erinnerungen, Gedanken, Gesprächen und biografischen Notizen entwirft „Berlin – Stettin“ einen lebendigen zeitgeschichtlichen Bogen von den schweren Zeiten nach Kriegsende über den Fremdenhass in der DDR bis in die jüngere Gegenwart der Vernichtung ganzer Industrien nach der Wende. Zu den Besonderheiten gehört, dass Koepp nicht nur selbst ausführlich zu Wort kommt, indem er etwa schildert, wie er als Kind erleben musste, dass seine Mutter in Broda bei Neubrandenburg mehrfach von sowjetischen Soldaten vergewaltigt wurde oder seine Auseinandersetzung mit den DDR-Behörden, die partout Sczcecin als seine Geburtsstadt in den Personalausweis schreiben wollten statt Stettin. Sondern mit der Berliner Schauspielerin Fritzi Haberlandt (auch als Sprecherin) eine Neu-Uckermärkerin, die über ihre eigene Motivation spricht, sich ein zweites Standbein auf dem Land zugelegt zu haben. Zu den einzelnen Gesprächspartnern Koepps sind Ausschnitte aus seinen größtenteils in Schwarz-Weiß gedrehten Dokumentationen „Märkische Trilogie“ (1988–90), „Mädchen in Wittstock“ (1974), „Wittstock, Wittstock“ (1974–97), „Gustav J.“ (1973) und „Tag für Tag“ (1979) zu sehen.
Doris Krause etwa, die mit Volker Koepp das Kriegsende in Broda miterlebt hat und noch in Neubrandenburg lebt, liest dem Filmemacher aus ihren damaligen Tagebuchaufzeichnungen als zehnjähriges Mädchen vor. Die schlimmsten Geschehnisse werden wieder lebendig – und doch bleibt Koepp bei aller eigenen Betroffenheit der beobachtend-distanzierte Dokumentarist. In Zehdenick, dem Ort seines letzten Defa-Films, trifft Koepp auf Bruno Olschewski, der bis 1990 in einer Ziegelei gearbeitet hat. Mit der deutschen Einheit war Schluss, jetzt holt sich die Natur alles zurück. Es war eine harte Arbeit mit vielen Sonderschichten für den Wiederaufbau der Hauptstadt der DDR, aber wenigstens Arbeit. Und gesoffen wurde schon am frühen Morgen, staatlich sanktioniert. Tauschhandel war angesagt, zu kaufen gab es auf dem platten Land eigentlich nichts: die Leute waren aufeinander angewiesen und trauern heute in der Kneipe den alten kameradschaftlichen Zeiten nach. Olschewskis Sohn ist arbeitslos ohne Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Helmut Kohls zwar blühenden, von jungen Leuten aber weitgehend entleerten Landschaften: „Das gibt ja nichts mehr hier“.
Pitt Herrmann