Automärchen

DDR 1982/1983 Spielfilm

Inhalt

Ein DEFA-Episodenfilm rund um den Fetisch Auto, der sich aus Märchenmotiven bedient: Eine Fee spornt den Buchhalter Piel an, mit seinem Trabant alle Geschwindigkeitsbegrenzungen zu überschreiten. Der leitende Angestellte Neumann möchte einen repräsentativeren Wagen und verkauft dafür einer schwarzen Katze seine Seele. Der Werkstattbesitzer Sengebusch begegnet einem Geist namens "Automobilunglück", der ihm einen Handel anbietet: Durch Vorabinformationen über Verkehrsunfälle könne er immer als erster mit Ersatzteilen vor Ort sein. Sengebusch aber widersteht der materiellen Verlockung und verhindert stattdessen die Unfälle.

 

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Heinz17herne
Heinz17herne
„Automärchen oder Autopanne?“ titelte die (Ost-) „Berliner Zeitung“ am 18. Juni 1983, nachdem Erwin Strankas märchenhafte Komödie nach den gleichnamigen Erzählungen von Jiri Marek zwei Tage zuvor im „International“ an der Karl-Marx-Allee Premiere gefeiert hatte. „Märchen dürfen alles“ war die Rezension wenig später im „Filmspiegel“ überschrieben – trefflich formuliert, wenn man zwischen den Zeilen zu lesen verstand.

„Arbeit haben wir 'ne Menge, aber keine Ersatzteile“: Merkwürdige Dinge geschehen rund um eine Kraftfahrzeug-Werkstatt irgendwo in der DDR-Provinz. In welcher der Chef Karl-Heinz „Kalle“ Sengebusch seine liebe Not mit seiner attraktiven Tochter Ina hat. Weil diese sich den hübschen Kerl von Autoschlosser Ali Kuslowski partout nicht ausreden lassen will – und sich seine Gattin Hilde diesen notorisch faulen Hallodri, der behauptet, Geister sehen zu können, ebenfalls als Schwiegersohn vorstellen kann.

Herr Piel (Deszö Garas) ist Buchhalter des kleinen, aber sehr florierenden handwerklichen Unternehmens. Und sieht auch genau so aus, wenn er in einem Büro mit seiner Kollegin, Frau Heimchen (Gertraud Last), sitzt und Bleistifte anspitzt. Graue Maus eben. Aber auch die hat Träume. Von einer rasenden Fahrt mit seinem zur Rennpappe mutierten Trabi etwa. Jedenfalls sehr viel schneller, als die Volkspolizei erlaubt – wenn, ja wenn eine wunderschöne junge Fee im weißen Brautkleid und buntem Blumenkranz auf ihrem wallenden Haar auf dem Beifahrersitz Platz genommen hat und sich ganz dem Rausch der Geschwindigkeit hingibt.

Ohne Rücksicht auf Verluste, vom nackten Liebespaar im Kornfeld über Wartburg-Kombis bis hin zum veritablen Ifa-Laster wird alles an den Rand – und notfalls in den Straßengraben – abgedrängt, geht’s zum Badesee mit (Unter-) Wasser-Ski. Hauptsache motorisierte Fortbewegung. Und weil der olle Piel den Wünschen der agilen jungen Fee, die sich in einer späteren Episode Fräulein Barbara (Dorit Gäbler) nennt, nicht schnell genug nachkommt, schwingt diese sich hinter einen jungen Kerl auf den Bock: „Motorradfahren ist fast noch schöner.“ Ihr fließt Benzin statt Blut durch die Adern: Erst wickelt sie alle Kerle um den kleinen Finger, dann krachts gewaltig. Und schon ist die Fee wie von Zauberhand von der Bildfläche verschwunden.

Der leitende Angestellte Ulrich Neumann hat auch einen Traum – von einem tollen Schlitten, mit dem er so richtig renommieren kann. Als er eine maunzende schwarze Katze aus einem pinkfarbenen Müllcontainer befreit, so viel Farbe war nie im tristen DDR-Alltag, wird aus dem Traum Wirklichkeit. Blut ist ein besonderer Saft, meint das kleine Vieh mit den glühenden Augen und schlägt Neumann einen faustischen Pakt vor: seine Seele für den erträumten Straßenkreuzer. Der lebt in gesicherten, ja komfortablen Verhältnissen und lässt sich dennoch verführen: Er setzt einen Tropfen Blut unter den Kontrakt des Teufels.

Ein Blick aus dem Wohnzimmerfenster lässt seine Augen leuchten: ein pinkfarbenes Coupe im Stil des legendären Citroen DS aus französischer Produktion. Doch der Handel bleibt nicht ohne Folgen: erst muss Gattin Ursula den Hund weggeben, mit dem sich der neue Hausgenosse auf samtigen Pfoten nicht verträgt, dann ist Schmalhans Küchenmeister daheim wie beim Familienausflug, weil so ein Schlachtschiff von Auto einen ungeheuren Benzindurst entwickelt: 300 Mark und der Tank ist immer noch nicht voll. In der Folge hat sich Neumann allzu neugieriger Kinder und allzu unvorsichtiger Besoffener zu erwehren, kommt gar nicht mehr zu Ruhe. Schließlich hat er die Familie finanziell derart ruiniert, dass er sogar sein Haus verkaufen muss. Dabei, versichert Gattin Ursula: „Ich bräuchte das Auto gar nicht!“ Doch nun scheint es zu spät, der biedere Mann lässt sich sogar zu einem Banküberfall hinreißen, trifft aber auf eine resolute Kassiererin, die in aller Ruhe Kaffeepause macht, statt auf Neumanns Forderung einzugehen: „Wie kommt man bei uns zu 'ner Pistole?“ Und so fragt sich der Autofreak endlich selbst: „Wozu muss man denn so angeben?“ Die Rache seines sich bald vernachlässigt fühlenden Schmuckstücks auf vier Rädern ist fürchterlich...

Frank Schöbels „Wie ein Stern in einer Sommernacht“ ertönt aus dem Autoradio, als Karl-Heinz Sengebusch mit seinem Wartburg-Kombi in einem Schlagloch steckenbleibt. Die Spurstange ist gebrochen – und das bei strömendem Regen. Schlimmer noch: Wartburg-Spurstangen gehören zu den zahllosen Ersatzteilen, die es weder für Mark der DDR noch für gute Worte zu haben gibt. Doch unverhofft kommt oft: Mit den Worten „Ich bin das Automobil-Unglück“ setzt sich ein hasenzähniges Alter ego des Werkstattchefs neben den perplexen Mann, der nie an die Geistergeschichten seines Schraubers Ali glauben mochte. Und nun sowas: der pudelnasse Gemütsmensch auf dem Beifahrersitz verspricht kurzfristige Besserung der miserablen Materialsituation – und sofortige Hilfe bis zum Werkstatttor...

„Automärchen“ ist eine ziemlich hanebüchene Geschichte, die am Ende darauf hinausläuft, dass der Teufel künstlich Autounfälle herbeiführen will, um Sengebuschs Ersatzteillager aufzufüllen. Der Werkstatt-Leiter denkt aber gar nicht daran, sich wie zuvor Neumann auf einen Pakt mit dem Verführer einzulassen. Im Gegenteil ist er bemüht, das kommende Unheil abzuwenden – und verwickelt sich und andere in immer skurrilere Situationen. Erwin Stranka ist vordergründig eine für DDR-Verhältnisse schon sehr abgefahrene Komödie nach tschechischer Vorlage gelungen.

Wer jedoch zwischen den Zeilen zu lesen imstande ist, erfreut sich am durchgängig ironischen Unterton. Und einer enormen Bandbreite zweideutiger Anspielungen vom Wunsch nach mehr Farbe im grauen Alltag und dem Drang nach rasantem Autofahren speziell in engen Alleen, über die Materialknappheit und die Plan-Diskussion sowie das „Sie werden placiert“-Schild am Toilettenhäuschen bis hin zur Bruderkuss-Szene im Fernsehen („Meine Frau ist furchtbar eifersüchtig, ich könnte nicht Politiker werden“). Einmal ganz abgesehen von der Existenz der schönen Fee, des mikrophonverstärkten Hundes Hector und des Gemütsmenschen von Teufel. Nur sein Gegenpart Gott fehlt – doch das wäre des Guten eindeutig zuviel gewesen.

Pitt Herrmann

Credits

Schnitt

Darsteller

Alle Credits

Länge:
2676 m, 98 min
Format:
35mm, 1:1,66
Bild/Ton:
Orwocolor, Ton
Aufführung:

Uraufführung (DD): 16.06.1983, Berlin, International

Titel

  • Originaltitel (DD) Automärchen

Fassungen

Original

Länge:
2676 m, 98 min
Format:
35mm, 1:1,66
Bild/Ton:
Orwocolor, Ton
Aufführung:

Uraufführung (DD): 16.06.1983, Berlin, International