Der Glanz von Berlin
Der Glanz von Berlin
Oliver Rahayel, film-dienst, Nr. 10, 07.05.2002
Ingeborg macht sich für die Arbeit schick: die dunklen Haare zusammen gebunden, dazu ein dunkler Pullover und große Ohrringe - eine elegante Erscheinung. Ihr Job: Putzen in einem fremden Haushalt. Delia bevorzugt einen simplen Kittel, und natürlich würde sie nie zum Geburtstag des Mannes kommen, in dessen Wohnung sie putzt, obwohl sich beide duzen und er, ein CDU-Funktionär, sie auch einladen würde: "Wir sind keine Freunde", sagt sie freundlich. Gisela schließlich hat unter den Kolleginnen ein freches Mundwerk; zu Hause aber diktiert ihr Mann: Schon wieder habe sie im Bad eine Ecke vergessen zu putzen - na, wo war das noch? Richtig, unter dem Waschbecken. Die drei Frauen putzen in Berlin und verleihen der Hauptstadt, wie der Titel ironisch suggeriert, den Glanz, den sie sucht. Der Dokumentarfilm der beiden jungen Berliner Filmemacherinnen Judith Keil und Antje Kruska dringt nicht nur in die Leben der drei Frauen ein, sondern auch in ihre Lebensträume, die allesamt mehr oder weniger verloren gegangen sind. Aber er zeigt auch, wie es den Putzfrauen gelingt, sich Momente des Glücks oder wenigstens der Zufriedenheit zu verschaffen. Es sind präzise Momentaufnahmen aus der deutschen Wirklichkeit, die sich hier ebenso deutlich als krampfig und spießig wie auch als harmoniesüchtig und rührend erweist.
Ingeborg, Ende Fünfzig, wollte mal Sängerin werden, aber das hat sie sich irgendwie "nehmen lassen". Heute singt sie für alte Heimbewohner, die das nur mäßig honorieren. Sie hat drei gescheiterte Ehen hinter sich und sucht nun einen neuen Mann und neue Jobs; bei dem Nudisten, der eine Annonce aufgegeben hat, will sie aber lieber doch nicht arbeiten. Die jugendliche Delia, Mitte Vierzig, ist einst aus Argentinien gekommen und wollte Malerin werden; nun nimmt sie, trotz vorzeigbarer Ergebnisse, ewigen Unterricht – und putzt bei einer Malerin. Sie hat sich von dem Mann getrennt, den sie noch immer liebt, weil es einfach nicht mehr ging. Nur Gisela scheint glücklich zu sein mit ihrem Ordnungsfetischisten, den sie als Abmesserin von Schweinedärmen kennenlernte. Ihr Leben bietet ihr offenbar alles, was sie braucht. Wenn da nicht diese Mütter wären. So wie Delias Mutter zu Lebzeiten ist auch Giselas Mutter enttäuscht darüber, was aus ihrer Tochter geworden ist. Bei Ingeborg ist es eher die eigene Tochter, die ihr Vorhaltungen macht. Aber alle drei Frauen verrichten ihre Arbeit fast ohne Murren und immer mit Würde. Dies scheint, abgesehen von den Hobbies, ihr entscheidendes Lebenskonzept zu sein.
Keil und Kruska konnten ihre Protagonistinnen samt sozialem Umfeld lange und ausgiebig be- gleiten. Schließlich hatten sich die Putzfrauen selbst auf Annoncen der Filmemacherinnen gemeldet. Dass sich die Frauen als solche Glücksfälle erweisen würden, konnten sie allerdings nicht ahnen. Die "Putzis" berichten freimütig, mal beichtend, mal einladend, von den Dingen, die sie bewegen. Aber die Regisseurinnen nutzen das nicht aus. Sie zeigen mit gebührender Distanz und einer gewissen Zuneigung, immer aber ohne Spott, was diese Frauen tun und sagen. Ihr Wissen und ihre Eindrücke fügen die beiden in eine spannende Dramaturgie, die nach und nach immer neue Details preisgibt. Manchmal gelingen den Regisseurinnen dabei kunstvoll komponierte Tableaus wie die Eingangsszene im sich drehenden Fernsehturm, dann wieder entlarvende Sinnbilder, wie die von Giselas Mann, der mit dem Pinsel an der Schrankwand zugange ist. Nie sind es langweilige Aufnahmen, und das, obwohl ihr Motiv, das Dasein unter deutschen Dächern, fraglos den Anschein von Ödnis mit sich bringt. Aber Keil und Kruska finden, fast wie die Autoren großer Komödien, den Witz und die Tragik gerade im scheinbar banalen Leben.