Erbsen auf halb 6
Erbsen auf halb sechs
Birgit Glombitza, epd Film, Nr. 3, 02.03.2004
Man tappt umeinander herum. Rempelt durch die Empfindlichkeiten des anderen, tritt sich gegenseitig auf die Füße und will sich einfach nicht finden. Dieses Spiel der verzögerten Annäherung und künstlichen Distanz gehört zum Liebesfilm wie die Butter zum Brot. Und dass Jakob (Hilmir Snær Gudnason) und Lilly (Fritzi Haberlandt) bei ihrem Reigen tatsächlich blind sind, hat in dem tragikomischen Roadmovie "Erbsen auf halb 6" von Lars Büchel ("Jetzt oder nie") etwas anrührend Tautologisches. Das Buchstäbliche an dieser blinden Verliebtheit ist es auch, das seinen zweiten Spielfilm vor all den naturalistischen Kraftmeiereien schützt, die Filme über Behinderte allzu leicht zum bloßen mimischen Schaulaufen machen.
Lilly und Jakob durchleiden keine "Krankheit", sondern vielmehr die üblichen Irrungen und Wirrungen einsamer Herzen. Ihre Blindheit ist wie ein Ausrufezeichen am Ende aller Holzwege und Umleitungen. Und bis die beiden die Kreisbewegungen ihrer Sehnsucht endlich synchronisieren, haben sie halb Europa durchquert. Als "blinde Passagiere" auf der Fähre, als Orientierungslose in unüberschaubaren Weizenfeldern und an Busstationen in der Pampa des russischen Grenzgebiets. Sie verlieren sich im Volksfest-Getümmel, werden durch familiäre Indoktrinierung getrennt und finden sich am Ende, dank des Autopiloten der Verliebten, wieder. Eine Odyssee, bei der die geburtsblinde Therapeutin Lilly dem durch einen Autounfall erblindeten Theaterregisseur Jakob zunächst wie ein Fluch im Nacken hängt. Mit penetranter Hilfsbereitschaft stellt sie dem Verbitterten nach. Sie will Ordnung in sein verfahrenes Leben bringen, ihn lehren, wo die Erbsen auf dem Teller liegen, und wie man sich horchend und tastend durch die Dunkelheit manövriert. Erst als Lilly den Unbelehrbaren sich selbst überlassen will, kann Jakob auf seine umsichtige Sehhilfe nicht mehr verzichten.
Fritzi Haberlandt, die ihre Lilly mit lispelnder Fürsorge und putziger Strenge, aber auch mit einem unbeirrbaren Mut und Sinn für notwendige Rebellionen ausstattet, ist in "Erbsen auf halb 6" die Hauptattraktion. Denn anders als die Darstellerin erweist sich die Regie nicht immer so trittsicher auf dem Grat zwischen wirklichen Skurrilitäten und bloßem Kitsch. Die Überbetonung alles Haptischen hat schnell etwas Kunstgewerbliches, ebenso wie die Ansichten vom fremden Osten. Da blitzt aus jedem Goldzahn die schiere Lebensfreude, und kaum ein Schnapsglas wird ohne folkloristisches Tamtam geleert. Regen, Leere und grauer Himmel wirken wie geborgte, lakonische Accesoires aus Kaurismäki-Filmen und verwischen die stilistische Handschrift des Regisseurs. Und vielleicht braucht es ja noch einen dritten Film, damit man die Eigenarten von Lars Büchel im Kinodunkel besser erkennt.