Romanze mit Amélie
Zuneigung und Reibung
Günter Agde, Filmspiegel, Berlin/DDR, Nr. 4, 1982
Jede Künstlergeneration muß sich den wirklich tiefgreifenden Vorgängen unserer jüngeren Geschichte auf ihre Weise nähern. Die Zuschauer folgen ihnen, wenn die neuen Sichten mit neuen Einsichten und Bildern verbunden sind. Dieser dynamische, wechselvolle Prozeß ist nahezu klassisch an der ruhmvollen Tradition der DEFA bei der Auseinandersetzung mit dem Faschismus zu studieren. Ebenso wichtig, wenn auch nicht so ins Auge fallend, zeigt sich die künstlerische Gestaltung jener turbulenten, das Heute schaffenden Zeit unmittelbar nach 1945. Auch hier kennen wir wichtige Beispiele. Nun gingen Benito Wogatzki und Ulrich Thein mit "Romanze mit Amélie", einer Kinofassung des Romans, Zeit und Thema an. Der gesellschaftliche Umbruch, der gründliche Neuanfang, verbindet sich in ihrem Vorschlag mit einer persönlichen Tragödie, mit der Romeo-und-JuIia-Liebesgeschichte vom evakuierten Berliner Arbeiterjungen Jürgen und der Grafentochter Amélie. Thein und mit ihm sein langjähriger Kameramann Hartwig Strobel widersetzen sich einer episch-naturalistischen Erzählweise. Sie streben an, das titelgebende Genre – Romanze! – beim Wort zu nehmen und mit Engagement auf die Leinwand zu bringen. Diese diffizile, kinoungewöhnliche Überhöhung gelingt ihnen dort am besten, wo sie die menschlichen Leidenschaften – besonders der beiden jungen Liebenden – groß ausspielen lassen und wo sie sich den Stimmungen der Natur auch optisch hingeben können. Thein glaubt, diese auch lyrischen Komplexe durch harte, derbe, grelle Szenen brechen zu müssen. Da gerät dann der Erzählfluß ins Stolpern, manches für die Handlung nötige Fabelelement reduziert sich auf eine bloße Information oder wirkt unverständlich (die Polen-Episode), auch lassen Klischees grüßen (vor denen Thein sich bislang immer hütete). Die daraus folgende Uneinheitlichkeit, sogar Unentschiedenheit verwirrt. Sie verwundert mich bei dem doch sonst beherzt zupackenden, erfahrenen Regisseur. Ein Grund für die disparate Mischung mag sein, daß Thein erstmals in seinem Schaffen die gewohnte, erprobte Stilistik verläßt und sich in neuen Gebieten, eben der Romanze auf der Leinwand, versucht. Da scheint es zunächst noch mehr Fragen als Antworten, mehr gärende Suche als ausgeformtes Ergebnis zu geben. Die neue Sicht ist bei Thein nicht auf einen Hieb zu haben Eine normale Erscheinung, die zu dynamischen Kunstprozessen gehört. Theins Arbeit mit den beiden jungen Laien-Schauspielern Brit Gülland und Thomas Stecher gefällt mir, weil er bei und mit ihnen Romanzenhaftes, Verstörtes, Unerfahrenes, Aufkeimendes stärkt und ausarbeitet, wo es nur irgend geht. Das reibt sich jedoch bisweilen mit den Stolper-Stellen der Handlung. Trotzdem werden junge Zuschauer – hoffe ich – einige Zuneigung zu der Geschichte und ihren ungelenken Helden empfinden. Sie sollten dabei die Widersprüche der Zeit und der Handlung nicht übersehen, ihr Wissen dazutun und mit eigener Fabulierfreude einen nicht vollendeten, aber streitbaren Vorschlag annehmen.