Taxi nach Kairo
Das Dreimädelhaus
Barry Graves, TIP Magazin, Nr. 26, 1987
Ein Enfant terrible ist Frank Ripploh schon lange nicht mehr. Seit "Taxi zum Klo" will ihm nichts so recht gelingen. Auch "Taxi nach Kairo" hat mit seiner schwulen Debütkomödie nur noch Ähnlichkeit im Titel.
Es rollt kein Taxi durchs Bild, von Kairo ist erst in der letzten Filmminute die Rede. Der Titel "Taxi nach Kairo" soll einen Erinnerungsschub auslösen an die turbulente "Taxi zum Klo"-Milieustudie 1980, die ein weltweiter Programmkino-Erfolg wurde. Frank Ripplohs erster Spielfilm war nahezu autobiografisch. Er wurde in seiner Wohnung, in seinem Kiez gedreht, mit seinen Freunden und Kollegen, in seiner typischen Situation als homosexueller Lehrer. Da ging manche Handlungs-Ungereimtheit durch, da war die eine oder andere Dialog-Schlamperei zu verzeihen. Der Film war erfrischend spontan, schien liebenswert improvisiert, hatte die Aura des Authentischen, den Geruch vom Milieu. "Taxi nach Kairo", das dritte Kinowerk nach "Klo" und "Miko" (1985), ist eine weitgehend fiktive Geschichte, angereichert mit Ripploh-Rand-Apercus zu Zeiterscheinungen, die ihn ärgern, amüsieren oder befremden. Er wagt sich aus dem Kiez heraus und begibt sich auf ein Terrain, wo Kritiker und Konsument Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Produktionen gleicher Thematik haben.
Frank, so geht die Story, bekommt von seiner Mutter ein Ultimatum. Entweder er heiratet umgehend, oder die üppige Erbschaft geht ihm verloren. Retterin in der finanziellen Not ist Klara (Christiane Neubauer), ein arbeitsloses Model, das nun einen Dauerjob als Scheinehefrau bekommt. Ein ideales Arrangement: Frank geht seinen sexuellen Neigungen weiterhin nach, Klara widmet sich ihrer schauspielerischen Ausbildung.
Computerfachmann und Öko-Freak Eugen (Udo Schenk) bringt nun dieses Ehe-Idyll durcheinander. Der schmucke Nachbar verguckt sich in Klara und übt auch auf Frank einen erotischen Reiz aus. Es wird kompliziert: Frank und Klara treten in einen unausgesprochenen Wettbewerb um Eugen. Gleichzeitig ist Frank eifersüchtig auf Eugen und will nicht, daß Klara ihm verfällt. Denn irgendwie hat es zwischen den "Ehepartnern" platonisch gefunkt.
Frank will jetzt genau wissen, zu welcher sexuellen Spannbreite er fähig ist. Eine Sexualtherapeutin (Domenica) wird engagiert, die ihn mit allerhand technischen Gerät umpolen soll. Es scheint zu klappen, doch gleich beim ersten Test an einer Bodybuilderin (Gaby Sievers) versagt er, als er sich mit verbundenen Augen über vertraute Muskelpakete vorwärtstastet und plötzlich beim Abfühlen des Bikini-Unterteils ein für ihn immer noch entscheidendes Detail vermisst.
Es kommt zum Chaos, als die Mutter auf Kontroll-Visite vorbeischaut und eine erregte Nachbarin die Sittenpolizei ruft. Frank und Klara retten sich ans Meer und besteigen einen Fischerkahn "nach Kairo", damit "uns die Entfernung bewußter wird. Und wenn wir uns streiten, fährst Du rechts um den Erdball und ich links, und wir treffen uns immer vor den Pyramiden wieder."
Das liest sich in der kurzen Inhaltsangabe ganz vielversprechend, zerblättert aber in 90 langen Filmminuten zu einigen hübschen Gags, ein paar launigen Bonmots, viel leerem small talk, klamottigen Action-Szenen, naseweisen Sprüchen und kitschiger Schönfilmerei. Eine bisexuelle Dreiecksgeschichte muß ja nicht gleich so hochgestochen sein wie John Schlesingers "Sunday, Bloody Sunday" (1971), so prätentiös stilisiert wie John Hustons "Spiegelbild im goldenen Auge" (1967) oder so haschverrockt wie in Nicholas Roegs und Donald Cammells "Performance" (1970) aus den vielfachen Konstellationen seines Drehbuchs machen können, statt vieles im oberflächlichen Gelaber zu verschenken.
Die Mutter-Sohn-Beziehung, das Verhältnis Homo-Mann und Hetero-Frau, die Kontrast eiskalter Computer-Kerl und sinnenfroher Schwuler, die Muskelfrau in einem Gewerbe, wo der Narzissmus der bodybuildenden Männer homoerotische Akzente hat, die unterdrückte Lust der Nachbarin, die sich in Denunziation rettet, die gewerbsmäßige Analytikerin und Kommerz-Orgasmus-Lieferantin, der zweifelhafte Macho-Kult der Polizisten.
Das in dialektischen Widerspruch und amüsante Beziehung zu setzen, erfordert natürlich brillante Drehbucharbeit und nuancengenaue Regie, die Ripploh sicherlich überfordert hätte. So aber wird der Film nie richtig süffig bis süffisant. Der Film ist kein brillant-böses Kammerspiel à la Edward Albee, wo die Dialogfetzen nur so fliegen, aber auch kein Bacchanal in der Manier der exzessiven Ken Russell-Filme.
"Taxi zum Kairo" wirkt so dünn wie der zweite Aufguß eines Erfolgsgebräus eben wirkt, wenn der Regisseur inzwischen nichts dazugelernt oder nicht genügend Zeit auf das Polieren der Handlung und den Schliff der Dialoge verwendet hat. Das Drauflosfilmen mit einer halben Laienriege hat es diesmal nicht gebracht.
Das Dilemma liegt vor allem an der Figur Frank, vom Regisseur selbst dargestellt. Schon im letzten "Taxi"-Film befremdete diese Kinogestalt (nur Ripploh weiß, wie sehr sie ihm ähnelt) durch schroffen Egoismus, Intoleranz, nur oberflächliche Anteilnahme an den Nöten und Freuden Dritter und eine Neigung zu flotten Sprüchen, die nichts bedeuten und niemandem helfen. Auch in diesem Film ist die Figur Frank zu keiner unverstellten Gefühlsregung fähig. Alles, was er sagt und tut, wirkt kalkuliert und berechnend, ohne Reflexion und Reue auf die eigene Person bezogen. Die Figur befremdet zunächst, dann widert sie gelegentlich an, schließlich läßt sie einen kalt.
So bleibt im Zentrum des Films ein Vakuum, das der Schauspieler und Regisseur Ripploh nicht füllen kann. Zum Studium, wie im Off-Milieu mit Witz und Engagement, mit Slapstick-Touch und emotionaler Intensität gefilmt werden kann, seien zwei Filme von Stephen Frears empfohlen: "Mein wunderbarer Waschsalon" (1986) und "Sammy and Rosie get Laid", der demnächst in die deutschen Kinos kommen wird.