Taxi nach Kairo

BR Deutschland 1987 Spielfilm

Mammons-Passion

Frank Ripplohs "Taxi nach Kairo", Ralf Huettners "Das Mädchen mit den Feuerzeugen"



Andreas Kilb, Die Zeit, 18.12.1987

Es muß eine wahre Treibjagd gewesen sein. Filmförderungsgremien, Produzenten, die Zensur und sogar das Publikum höchstselbst hatten sich gegen den deutschen Regisseur Frank Ripploh verbündet, um ihn an der Ausübung seines Handwerks zu hindern. "Nach ’Taxi zum Klo’", schreibt Ripploh in dem Bericht über seine Leidensgeschichte, verbrachte ich zwei Jahre in Anwaltskanzleien, um mir die Zensur vom Halse zu halten ... Ich bemühte mich dann um Karel Capeks ’Die weiße Krankheit’ aus den dreißiger Jahren, eine Science-fiction-Geschichte, in der ein Arzt ein Gegenmittel für eine weltweite Seuche erfindet. ... Können Sie sich den Aufschrei in den Gremien vorstellen?" Das Projekt wurde abgelehnt. Man gab mir zu verstehen, daß ich gefälligst bei den witzigen Schwulenstorys bleiben soll, und ohne mich selbst ganz zu verlassen, schrieb meine Feder Drehbuchseiten über die Freundschaft zwischen Klara und Frank ..."

So kam Ripploh, der Nicht-Ganz-Verlassene (von seiner Feder und von den Gremien), zu einem neuen Film. "Ich schäme mich nicht, den Versuch unternommen zu haben, sogenannt "publikumswirksam" nachgedacht zu haben." Genug gebeichtet, Ende des Zitats. Da schämt sich jemand nicht und redet doch von seiner Scham. Die Treibjagd war offenbar erfolgreich. Die Besichtigung der Kadaver findet nun im Kino statt.

Ich entnehme die Sankt-Mammons-Passion des Frank Ripploh einem Leserbrief an die Frankfurter Rundschau, der Mitte November unter der Überschrift "Filmemacher heute" erschienen ist. Ich entnehme dem Leserbrief außerdem, daß Ripploh sich immer noch als unabhängig arbeitender Regisseur versteht. Ich entnehme dem Film "Taxi nach Kairo", dem Werk über die Freundschaft von Klara und Frank, daß das nicht mehr stimmt.


Frank und Klara kommen zueinander wie Produzent und Regisseur: Sie schließen eine Zweck-Ehe. Dadurch verdient der eine ein bißchen Geld, der andere darf sich ein bißchen verwirklichen. Frank muß sich verheiraten, um ein Häuschen im Grünen erben zu können. Klara, Schauspielerin im Wartestand, nimmt das Engagement an. Frank ist schwul, Klara dagegen ganz normal. Eugen, der böse Nachbar, ist beides und ein Aktienspekulant noch dazu. Welche Rollen, welche Konflikte! Christine Neubauer und Frank Ripploh spielen das ungleiche Paar mit einer Verve, die an die erhabensten Ohnsorg-Inszenierungen gemahnt; nur mit Udo Schenk als Eugen hat sich ein echter Schauspieler in diesen Film verirrt. Doch Schenks allzu professionelle Leistung wird mehr als aufgewogen durch Domenica Niehoff als Sex-Therapeutin, die den verzweifelten Frank auf den rechten männlichen Weg bringen soll, Gaby Sievers ("Weltmeisterin im Body-Building") als deren Assistentin und den unvermeidlichen Burkhard Driest als Polizist. Wie dies alles zusammenpaßt und welche Schrecken es auf der Leinwand gebiert, mag man sich vorstellen, erzählen läßt es sich nicht. Da glühen die Gefühle so fassbinderisch rabiat, da paaren sich die Partner so rosavonpraunheimesk, daß dem Zuschauer jede gleich-, gegen- oder zwischengeschlechtliche Neigung flugs vergeht. Am Ende wird sogar der Titel erklärt: "Komm, wir fahren im Taxi nach Kairo!" sagt Frank zu Klara. Das muß dem Regisseur zehn Minuten vor Drehschluß eingefallen sein.

Der Film lohnte das Aufsehen nicht, wäre nicht jede seiner Banalitäten auch ein Abbild der maroden Filmförderungslandschaft, in der er entstand. Aus Angst vor den "Gremien" und ihrem Anspruch auf "Publikumswirksamkeit" hat sich Ripploh so weit erniedrigt, daß "Taxi nach Kairo" zur Farce eines Gremienfilms schlechthin geworden ist. Was den Film von Produktionen wie "Zärtliche Chaoten" und der "Otto"-Serie unterscheidet, ist nur sein Bemühen, nicht sein Ergebnis. So bekommt man zu sehen, was vom Autorenkino übrigbleibt, wenn sich der Autor verabschiedet: nichts. Wenn Gremien Filme machen, wird der Kinobesuch zum dienstlichen Vorgang: Erledigt! Bitte weiterreichen ans Archiv.

Wie erklärt sich die Bundesregierung den Rangabstieg des deutschen Films? Wie definiert die Bundesregierung das Prädikat "Spitzenkultur"? Seit wann ist das Qualitätsmerkmal "Ansprechen breiter Publikumsschichten" für die Definition von "Spitzenkultur" von Interesse? Wie stellt die Bundesregierung sicher, daß die Gremien, die über die Vergabe von Mitteln zu entscheiden haben, so besetzt sind, daß die "Förderung des künstlerischen Ranges des deutschen Films" gewährleistet ist?"


Ja, das sind so Fragen. Die Bundestagsabgeordneten Anke Martiny und Freimut Duve haben sie in einer Kleinen Anfrage der SPD-Fraktion am 30. November dem Hohen Hause vorgelegt. Ich habe nicht erfahren, was der Bundesinnenminister (oder jemand anders) darauf geantwortet hat; es interessiert mich, offen gestanden, auch nicht besonders. Ich hege keine Hoffnungen auf einen Wandel in Friedrich Zimmermanns filmpolitischer Gesinnung. Es überrascht mich auch nicht, daß Zimmermanns Ministerium lieber Historienschinken wie "Der Name der Rose" großzügig fördert als Filme von Uwe Schrader oder Christoph Schlingensief. Ich wundere mich nur darüber, daß ein Großteil der deutschen Filmemacher wie hypnotisiert auf die Filmförderung starrt, die durch immer mehr Gremien immer weniger Geld verteilt. Es macht mich rasend, wenn ich daran denke, daß künstlerische Subjekte, Menschen, die wichtiger sind als der ganze Rest, ihre Zeit mit den Wichtelmännern vom Ministerium vertun, statt die Filme zu drehen, die sie drehen wollen. Das Jahr 1987 war für den deutschen Film eine Katastrophe. Neben dem einschlägigen Kino-Schwachsinn von Otto und Konsorten konnte sich zuletzt nur Wim Wenders" "Der Himmel über Berlin" kommerziell einigermaßen behaupten. Viele interessante Werke waren nur auf Festivals oder im Fernsehen zu sehen, andere kamen nur hier und dort ins Kino, zogen über die Dörfer, versackten in der Provinz. Damit hat sich aber nicht die Autorentheorie blamiert, sondern ein Förderungssystem, das Autoren unterdrückt, sie mit Kleckerbeträgen abspeist und reglementiert. Filme müssen teuer sein, das Kino ist kein Sparstrumpf. Deshalb braucht der deutsche Film nicht mehr Gremien, sondern mehr Geld. Das Geld von privaten Produzenten beispielsweise, von Leuten, die mehr von Kunst verstehen als der durchschnittliche Opernabonnent, die ein Drehbuch nicht nur lesen, sondern auch beurteilen können. Ein einziger freier Produzent wäre mir lieber als drei neue Länderförderungen. Und ein junger Regisseur, der auf Biegen und Brechen eine schräge, abseitige, ungewohnte Geschichte inszeniert, bedeutet mir mehr als viele frohgemute Debütanten, die zum soundsovielten Male vorzeigen, daß sie die "Schwarze Serie" kennen und verehren und auch gerne Filme drehen würden wie Melville und Hawks.


Ralf Huettner beispielsweise. Der dreiunddreißigjährige Münchner hat eines der seltsamsten Weihnachtsmärchen gedreht, die ich bisher sah. Vier schwerbehinderte Jungs brechen bei einer Weihnachtsfeier aus dem Pflegeheim aus, mitsamt dem Spendensack, den ein glattgebügelter Bürokrat der Anstaltsleiterin huldvoll überreicht hat. Von dem Geld gehen Ringo, Aga, Spasski und der Weiße Riese erst mal groß essen. Da treffen sie einen Engel: ein Mädchen, das ihnen Feuerzeuge verkauft. Drei Wünsche haben sie frei. Zuerst wollen sie schnellere, motorisierte Rollstühle. Die bekommen sie, nach einer langen Irrfahrt durch München. Dann möchten sie natürlich Frauen. Auch die gehen ihnen ins Netz: vier Prostituierte, die sich am Heiligabend einsam fühlen. Daß der Film an dieser Stelle nicht peinlich wird, zählt schon zu seinen Wundern. Huettner hat mit seinen vier Protagonisten kein Mitleid (worin immer auch Verachtung mitschwänge) – sondern er liebt sie. Er liebt diese Ausbrecher, die ihre schweren Gefährte mit klammen Fingern durch die eiskalten Straßen schieben, diese Rollstuhl-Desperados, die die Welt entdecken für eine ganze Nacht. Manches stimmt nicht in diesem Film, die Beleuchtung ist schlecht, die Kamera träge, aber "Das Mädchen mit den Feuerzeugen" zählt zu den Geschichten, bei denen man auch das vergißt.

Der letzte Wunsch: Die gelähmten möchten wieder gehen können: Nur Spasski (Stefan Wood) verweigert sich, er will nicht so normal sein wie alle Welt. Für die anderen drei endet der Ausflug in die Sehnsucht beinahe tödlich, sie fallen, stürzen ab, werden überfahren. Da wünscht sich Spasski, daß alles werde wie zuvor. Am Ende der langen Nacht liegen alle wieder in ihren Betten im Behindertenheim. Das Märchen ist zu Ende. Aber am nächsten Morgen sind sie wieder unterwegs. Das Kino geht weiter.

© Andreas Kilb

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