Straßenbekanntschaft

Deutschland (Ost) 1947/1948 Spielfilm

Straßenbekanntschaft



Fred Gehler, Film und Fernsehen, Berlin/DDR, Nr. 5, 1991




Peter Pewas hätte ich sehr gerne kennengelernt. Seine Biographie liest sich wie das Notat zu einem deutschen Cineastenschicksal. Der Bauhausschüler (von Kandinsky, Klee und Moholy-Nagy) scheiterte mit kalkulierbarer Folgerichtigkeit und Schonungslosigkeit mal an ideologischer Observanz, mal an kommerzieller Ignoranz. Verdächtig blieb er zeitlebens beiden: den Film-als-Waffe-Ideologen und den Marktpropheten. Pewas paßte nie in eine filmische Landschaft. Das der Zeit abgerungene filmische Œuvre blieb so ein Torso: darunter Verschollenes und Unvollendetes. Pewas" erster Spielfilm, "Der verzauberte Tag" (1943), erzählte von Menschen, die vom gesellschaftlichen Umfeld gebeutelt, gebeugt und lädiert werden, die ohne Sinn für eine nationale Schicksalsgemeinschaft. Goebbels hatte ein Gespür für solcherart Abweichungen, fühlte sich sogleich an "Kulturbolschewismus" erinnert, ließ den Film verbieten und den Regisseur zur Frontbe­währung schicken. Ein um ein Viertel geschrumpftes Fragment wurde erst im Herbst 1947 gezeigt. Zu dieser Zeit machte Pewas seine ersten und auch einzigen Erfahrungen mit der DEFA. Er hatte die Regie eines Stoffes übernommen, konzipiert als "Aufklärungsfilm", als akute Warnung vor Geschlechtskrankheiten. Pewas unterlief diesen Auftrag nach Kräften, gab vielmehr das authentische Bild einer jungen Nachkriegsgeneration in ihrer Hilf- und Ratlosigkeit. Sie ist gierig nach Leben, durstig nach Liebe. (…)

Die dramatische Konstruktion des Films ist erstaunlich offen: Geschichte und Gesichter tauchen auf und werden wieder verlassen. Ein Pirschgang durch seelische Landschaften. Die Kamera als Scheinwerfer. Das von der deutschen Filmklassik so ge­schätzte und entdeckte Modellieren mit dem Licht, durch das Licht.



Das Mißverständnis mit dieser "Straßenbekanntschaft" war vorprogrammiert. Ein Film, der sich nicht verbal beim Worte nehmen ließ, der sich primär konstituierte in seinen visuellen Valeurs, in seinen Chiffren. Film im Bewußtsein für eine "filmische Sprache", in der Artikulation der Hoffnung, das verschüttete und dem ideologischen Auftrag geopferte Urelement des Films nun endlich wieder freisetzen zu können. Pewas und sein Kameramann Georg Bruckbauer machten die Objekte beredt: die Details eines Zimmers, die Requisiten einer Straße, das Häusermeer der Stadt. Auffällig ihre Affinität zu Spiegeln: Menschen vor Spiegeln, Spiegel als Reflex innerer Verfassung (Ich kann nicht mehr in den Spiegel schauen, ohne Ekel vor mir selbst zu haben ...) Kaputte Spiegel in zerstörten Wohnungen. Die Verführungsszene Erikas wird vor einem Spiegel, mit Hilfe eines Spiegels eröffnet. Erika steigt auf einen Stuhl, um ihre Beine mit den neuen Strümpfen im Spiegel zu betrachten.



Die Schwenks und der extreme Weitwinkeleinsatz in manchen Szenen des Films hätten in anderen Filmländern zu Elogen auf die moderne filmische Stilistik geführt. In der gespaltenen deutschen Kinematographie anno 1948 blieb dies alles unbemerkt oder unangemerkt. Das Beste, was "Straßenbekanntschaft" passierte, war, als ein DEFA-Film im Dienste der Volksgesundheit etikettiert zu werden. Andere Stimmen mutmaßten schon: Berlin wird leider nur von der Schattenseite des Lebens her gezeigt. Und Pewas Hinweis, sein Film sei als ein Werk zu sehen, das alle Motive aus dem Menschlichen bezieht, war schon bald eine sehr verfängliche und kulturpolitisch so nicht mehr vertretbare Artikulation.



Für mich bleibt Pewas einzige DEFA-Arbeit eine der schönsten filmischen Offenbarungen des deutschen Nachkriegsfilms. Ein Impuls, der keinen Widerhall fand. Sieben Jahre später machte Pewas mit seinem ersten bundesdeutschen Spielfilm "Viele kamen vorbei" ähnliche Erfahrungen.

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