Straßenbekanntschaft
Straßenbekanntschaft
Peter Pewas hätte ich sehr gerne kennengelernt. Seine Biographie liest sich wie das Notat zu einem deutschen Cineastenschicksal. Der Bauhausschüler (von Kandinsky, Klee und Moholy-Nagy) scheiterte mit kalkulierbarer Folgerichtigkeit und Schonungslosigkeit mal an ideologischer Observanz, mal an kommerzieller Ignoranz. Verdächtig blieb er zeitlebens beiden: den Film-als-Waffe-Ideologen und den Marktpropheten. Pewas paßte nie in eine filmische Landschaft. Das der Zeit abgerungene filmische Œuvre blieb so ein Torso: darunter Verschollenes und Unvollendetes. Pewas" erster Spielfilm, "Der verzauberte Tag" (1943), erzählte von Menschen, die vom gesellschaftlichen Umfeld gebeutelt, gebeugt und lädiert werden, die ohne Sinn für eine nationale Schicksalsgemeinschaft. Goebbels hatte ein Gespür für solcherart Abweichungen, fühlte sich sogleich an "Kulturbolschewismus" erinnert, ließ den Film verbieten und den Regisseur zur Frontbewährung schicken. Ein um ein Viertel geschrumpftes Fragment wurde erst im Herbst 1947 gezeigt. Zu dieser Zeit machte Pewas seine ersten und auch einzigen Erfahrungen mit der DEFA. Er hatte die Regie eines Stoffes übernommen, konzipiert als "Aufklärungsfilm", als akute Warnung vor Geschlechtskrankheiten. Pewas unterlief diesen Auftrag nach Kräften, gab vielmehr das authentische Bild einer jungen Nachkriegsgeneration in ihrer Hilf- und Ratlosigkeit. Sie ist gierig nach Leben, durstig nach Liebe. (…)
Die dramatische Konstruktion des Films ist erstaunlich offen: Geschichte und Gesichter tauchen auf und werden wieder verlassen. Ein Pirschgang durch seelische Landschaften. Die Kamera als Scheinwerfer. Das von der deutschen Filmklassik so geschätzte und entdeckte Modellieren mit dem Licht, durch das Licht.
Die Schwenks und der extreme Weitwinkeleinsatz in manchen Szenen des Films hätten in anderen Filmländern zu Elogen auf die moderne filmische Stilistik geführt. In der gespaltenen deutschen Kinematographie anno 1948 blieb dies alles unbemerkt oder unangemerkt. Das Beste, was "Straßenbekanntschaft" passierte, war, als ein DEFA-Film im Dienste der Volksgesundheit etikettiert zu werden. Andere Stimmen mutmaßten schon: Berlin wird leider nur von der Schattenseite des Lebens her gezeigt. Und Pewas Hinweis, sein Film sei als ein Werk zu sehen, das alle Motive aus dem Menschlichen bezieht, war schon bald eine sehr verfängliche und kulturpolitisch so nicht mehr vertretbare Artikulation.
Für mich bleibt Pewas einzige DEFA-Arbeit eine der schönsten filmischen Offenbarungen des deutschen Nachkriegsfilms. Ein Impuls, der keinen Widerhall fand. Sieben Jahre später machte Pewas mit seinem ersten bundesdeutschen Spielfilm "Viele kamen vorbei" ähnliche Erfahrungen.