Napola
Napola — Elite für den Führer
Jörg Taszman, epd Film, Nr. 01, Januar 2004
Nach Oliver Hirschbiegel und Volker Schlöndorff ist Dennis Gansel der jüngste der Regisseure, die in dieser Saison neue Zugänge zum Thema Nationalsozialismus suchen. Dabei geht Gansel weiter – er erzählt mit großem handwerklichen Können und auf der Basis eines gut recherchierten, prämiierten Drehbuchs eine Geschichte der Verführung aus Sicht der Verführten. In "Napola" steht die Jugend im Mittelpunkt. Denn wer sich fragt, warum der Nationalsozialismus so erfolgreich war, kommt am Jugendkult nicht vorbei.
Der 17-jährige Friedrich ist ein Berliner Arbeiterkind und Amateurboxer. Sein Vater, ein Antifaschist, versucht seinen Sohn auf die harte Tour politisch zu erziehen. Nach einem verlorenen Boxkampf bietet der Lehrer Heinrich dem jungen Mann an seiner Eliteschule im ostpreußischen Allenstein, einer Nationalpolitischen Erziehungsanstalt (Napola), eine Perspektive. Für Friedrich ist es nicht nur eine Rebellion gegen den Vater, sondern auch ein gesellschaftlicher Aufstieg; er verlässt heimlich sein Elternhaus und beginnt in dem knapp zehn Jahre älteren Heinrich einen Ziehvater zu sehen.
Im Internat herrschen Zucht und Ordnung. Friedrich ist zunächst nur naiv beeindruckt, lässt sich von der Masse mittragen. In leuchtenden, satten Farben filmt Gansel die Nazisymbole. Er scheut auch nicht davor zurück, aus hunderten von Kehlen das Nazilied „Unsere Fahne flattert uns voran" schmettern zu lassen. Es gehört viel Mut dazu, im deutschen Film, der beim Thema Nazismus oft übervorsichtig ist und schon in der Bildästhetik – düstere, monochrome Farben – didaktisch wirkt, ein zwiespältiges Gänsehautgefühl zu provozieren.
Bald bemerkt Friedrich erste Schattenseiten am perfekt durchorganisierten Alltag. Es gibt kaum Freiräume, und die Jungs der älteren Semester benehmen sich den Jüngeren gegenüber meist ebenso sadistisch wie der Sportlehrer, der vor allem den Bettnässer Siegfried Gladen hänselt. Immer dann, wenn "Napola" droht, seine Geschichte zu konventionell zu erzählen, setzt Gansel einen dramatischen Punkt.
So kommt es im Rahmen der Militärausbildung beim Hantieren mit Handgranaten zu einer Katastrophe. Ausgerechnet Gladen wirft sich geistesgegenwärtig auf eine fehlgeleitete Granate und stirbt den von der Schulleitung so gerne propagierten "Heldentod". Aber vor allem durch die Freundschaft mit Albrecht, dem humanistisch denkenden Sohn des Gauleiters, beginnt Friedrich am System zu zweifeln. Als die Napola-Zöglinge in einer Nacht- und-Nebel-Aktion eine Gruppe unbewaffneter russischer Jugendlicher tötet, kommt es zu einer weiteren Tragödie, die schließlich dazu führt, dass Friedrich von der Napola verwiesen wird. Dass Gansel dem Zuschauer mit dem geläuterten Friedrich einen "guten Deutschen" als Identifikationsfigur liefert, ist nicht wirklich eine Schwäche des Films. Zu präzise sind die realistisch gefilmten Szenen, die vom allgegenwärtigen Tod handeln – und dabei entschieden unter die Haut gehen. Dennis Gansel arbeitet mit Emotionen und demaskiert die organisierte Verführung einer ganzen Generation nicht durch modisch intellektuelle Kühle. Schließlich sorgen auch die Darsteller, allen voran der natürlich agierende Max Riemelt, dafür, dass "Napola" als undemagogischer AntiNazi-Film funktioniert.
"Napola" versucht, dem Zuschauer die Verführungskraft des nazistischen Jugendkults auf einer emotionalen Ebene deutlich zu machen: ein handwerklich wie schauspielerisch gelungener Film mit Mut zum Risiko.