Kubanisch rauchen
Kubanisch Rauchen
Horst Peter Koll, film-dienst, Nr. 17, 17.08.1999
Ihre Freundschaft hat etwas von einer symbiotischen Zweckbeziehung: Paul und Bernd, beide um die 30, haben sich nach einer durchzechten Nacht in Wien zusammengetan, um gemeinsam ein Altwaren- und Antiquitätengeschäft zu eröffnen, mit dem sie ihre Existenz endlich auf eigene Füße stellen wollen. Paul, der eher in bürgerlichen Bahnen lebt, kümmert sich um die finanziellen Dinge, wobei ihm die Bürgschaft seines Schwiegervaters in spe einen Kredit ermöglicht hat; Bernd, der sich mit Antiquitäten auskennt, erhält seinen Anteil von Dragan, einem väterlichem Freund, der illegale Drogen- und Schutzgeldgeschäfte betreibt und für den Bernd früher rückständige Geldsummen eintrieb. Während die Geschäfte der beiden Freunde bald in ruhiges und durchaus hoffnungsvolles Fahrwasser gleiten, sorgen private Entwicklungen für Unruhe: Paul, im Grunde seines Herzens unzufrieden mit seiner freundlich-„normalen“, aber unaufgeregten Beziehung, lernt eine andere Frau kennen und lieben. Bald häufen sich die Notlügen und Heimlichkeiten, die ihrerseits Misstrauen und Argwohn nach sich ziehen. Auch die Freundschaft zu Bernd wird auf die Probe gestellt, als dieser in Gestalt seines sadistischen Ex-Partners Erwin von der Vergangenheit eingeholt wird. Die Existenz steht auf dem Spiel, und Bernd ist bereit, alles zu tun, um sie zu gewährleisten – auch wenn dies einen Mord einschließt.
In schmutzig-spröden Schwarz-Weiß-Bildern erzählt Stephan Wagner in seinem ersten langen Spielfilm stimmungs- und gedankenvoll eine Geschichte um Freundschaft und Liebe, Utopien und Lebensentwürfe angesichts von Umbruchsituationen, die etwas mit dem Lebensalter der Personen zu tun haben, vor allem aber auch mit ihren unentdeckten oder uneingestandenen Gefühlen. Sinnbild dafür ist der Filmtitel, der den Balanceakt ihres Lebens paraphrasiert: „Kubanisch Rauchen“ steht für ein bestimmtes Lebensgefühl, das bei allem spielerischen Geschick, das Leben zu meistern, stets auch die Gefahr des Absturzes und damit jenen letzten „Kick“ beinhaltet, den Bernd nicht länger haben will, der für Paul aber zum existenziellen Wunschdenken wird. An den amüsanten cineastischen Einstieg mit einem Tarantino-Zitat schließt Wagner eine mit großem dokumentarischen Gespür montierte Folge von Wien-Bildern an, auf die er im Verlauf der Handlung immer wieder zurückkommt, indem er kleine prägnante Vignetten des urbanen Wienerischen Alltagslebens einbezieht: Szenen vom bürgerlichen Leben am Rande der Autobahn, von der behäbigen Bürokratie in einer Speditionsfirma oder auch von der unerwartet sentimentalen Seite eines Polizistenherzens. Dies sind amüsante Eckpfeiler, die der oft am Genrefilm orientierten Haupthandlung lakonische Würze und Halt verleihen und den gelegentlich allzu leichtfertigen Umgang mit Mord und Betrug auf sympathische Weise relativieren. Geschickt verzahnt Wagner dabei die Bilder und die ihnen oftmals vorauseilenden Töne zu einer melancholischen Reflexion über verpasste Chancen, bei der die Frauen zuweilen an den Rand gedrängt, in stillen Momenten aber immer als durchaus starke und selbstbewusste Persönlichkeiten gezeichnet werden, die selbstbestimmter die Situationen zu meistern wissen als die „naiven“ Männer, die – hervorragend gespielt – erst durch sanfte Ansätze zur Ironisierung an Glaubwürdigkeit und Sympathie gewinnen. Vieles mag noch zu unausgereift und improvisiert wirken, aber gerade darin liegt der Reiz des Films, der wohl nicht von ungefähr an die melancholischen Nachtbilder früher Wim-Wenders-Filme erinnert.
Übrigens: Der Verleih setzt erfreulicherweise Stephan Wagners zwölfminütigen Kurzfilm „Nachtbus“ (1995) als Vorfilm ein, eine bemerkenswerte Stilübung, die Wagners Gespür für die filmische Umschreibung des Unausgesprochenen zwischen zwei Menschen verrät und nicht minder markant als „Kubanisch Rauchen“ das Verhältnis von Wünschen und vertanen Chancen auslotet.