Pigs Will Fly
Pigs Will Fly
Oliver Rahayel, film-dienst, Nr. 1, 31.12.2002
Der junge Polizist Laxe hat zwei Gesichter, die scheinbar nichts miteinander gemein haben – zwei Persönlichkeiten wie Dr. Jekyll und Hyde. Als Laxe, der gerade vom Dienst kommt und noch Uniform trägt, seine Frau im Supermarkt abholt, wo sie arbeitet, legt er zunächst eine zärtliche Zuneigung an den Tag, vermischt mit alltäglicher Vertrautheit. Doch schon geringste Störungen verdunkeln seine Mimik und seine Stimmung: die falsche Farbe eines Sonnenschirms, das allzu vertraute Gespräch der Frau mit einem Kollegen. Als er allein im Auto sitzt, flucht er laut vor sich hin, reißt sich aber zusammen, als seine Frau einsteigt. Zuhause aber verprügelt er sie, nicht zum ersten Mal, diesmal aber mit derart unbändiger Brutalität, dass sie anschließend in ein Krankenhaus eingeliefert werden muss. Alex scheint nur ein begrenztes Bewusstsein für seine Tat zu entwickeln. Erst als er vom Dienst suspendiert wird, gibt er sich eine Auszeit, um „den Kopf wieder frei zu bekommen“. Er reist zu seinem Bruder Walter nach San Francisco. Dieser, vergleichsweise ausgeglichen, ahnt zunächst nichts vom Zustand und den Taten des Bruders. Doch als sich Laxe mit einer von Walters Bekannten einlässt, scheint auch diese von Laxes Jähzorn bedroht zu sein.
Eoin Moore, in Berlin lebender Regisseur irischer Herkunft, hat eine Studie über die Entstehung von Gewalt gedreht, die unter die Haut geht. Sein Film verstört in mehrerer Hinsicht. Zum einen ist der Gewalttäter Laxe eigentlich ein netter, umgänglicher Mensch, der vielleicht etwas zurückhaltend im Umgang mit anderen Menschen ist, aber niemals aggressiv. Unter der Oberfläche des wohlerzogenen Beamten schlummert allerdings ein Aggressionspotenzial, das vielleicht gerade durch seine ständige Verdrängung im Alltag zu exzessiven Ausbrüchen führt. Der zweite verstörende Aspekt ist die Perspektive, die der Film einnimmt, nämlich die des Täters. Der Blick auf die Welt ist sachlich und distanziert, was die auf Video gedrehten Bilder, die die Figuren kaum je in Großaufnahmen zeigen, noch verstärken. Indem man aber um die versteckte Aggressivität der Hauptfigur weiß, beobachtet man sehr genau die Menschen, die Laxe begegnen, in der ständigen Sorge, sie könnten etwas sagen oder tun, das ihn ausrasten lässt. Die Momente der verbalen oder körperlichen Gewalt zeigen dann einen anderen Laxe, jemanden, der die Kontrolle über sein Handeln verliert; auch die filmischen Mittel verändern sich in solchen Szenen und spiegeln eine verzerrte Wirklichkeitswahrnehmung. Maßgeblichen Anteil am Gelingen des Unterfangens trägt der Hauptdarsteller Andreas Schmidt. Sein hageres Jungengesicht vermittelt eher Schüchternheit als Aggression, kann aber binnen Sekunden völlig hassverzerrt wirken. Es ist Schmidts dritte Zusammenarbeit mit Moore, der ihm jeweils Anagramme als Filmnamen verpasste: Alex in „plus-minus null“ (fd 34 169), Axel in „Conamara“ (fd 34 446) und nun Laxe.
Ganz ohne psychologische Fundierung wollte Moore dann aber doch nicht auskommen. Daher hat er den Vater der beiden Brüder eingebaut, einen Kioskbesitzer mit dominantem Wesen, der, wie Rückblenden zeigen, seine Söhne früher schlug. Schon als Kind hatte Laxe ein Ventil für diese Misshandlungen gesucht und in den titelgebenden Schweinen, genauer Meerschweinchen, gefunden. Diese Tradition der Gewalt erklärt Laxes Verstörung dennoch nur bedingt, denn bei seinem Bruder Walter haben die Schläge keinerlei sichtbare Spuren hinterlassen. Es müssen also noch andere Erlebnisse hinzu gekommen sein, die nicht ausgesprochen werden, was die extreme Verletzlichkeit aber nahelegt. Wie die Gewalt in die Ehe kam, erklärt der Film auf etwas geschicktere Weise in der Episode mit der amerikanischen Freundin. Hier wiederholt sich das Prinzip der freundlichen Behandlung, die von Aggressivität unterwandert wird. Auch wenn der Film seinen Spannungsbogen nicht immer aufrecht erhält, stellt er doch anschauliche Überlegungen zur Entstehung von Gewalt an.