Lust auf anspruchsvollen Kinderfilm
Margret Köhler, film-dienst, Nr. 5, 02.03.1999
Gute Kinderfilme haben Seltenheitswert in Deutschland. Da war es eine gute Entscheidung der "Berlinale", Caroline Links Neuverfilmung des Kästner-Klassikers "Pünktchen und Anton" aus dem Jahre 1931, der erstmals 1953 von Thomas und Erich Engel für die Leinwand adaptiert wurde, am letzten Tag des Festivals in einer Sondervorführung zu präsentieren. Die Münchnerin hat ein Faible für Geschichten rund ums Erwachsenwerden, um Freundschaft und Familienkonflikte. Der Kontakt zu Jugendlichen und Kindern fällt ihr nicht schwer, vielleicht auch, weil sie sich "noch gut an die eigene Kindheit und Jugend erinnern" kann. Schon mit "Jenseits der Stille", der für den "Auslands-Oscar" nominiert wurde, bewies sie ihr Einfühlungsvermögen, aber auch ihre Beharrlichkeit. Denn es dauerte Jahre, bis das Projekt stand, und sie zeigt sich noch heute irritiert, daß es von den Fördergremien viele Ablehnungen gab und die Filmförderungsanstalt (FFA) kritisierte, das Projekt sei nicht kommerziell genug.
Persönliche Erzählweise
Bei "Pünktchen und Anton" war die Finanzierung des Sieben-Millionen-Budgets schon einfacher, man setzte auf den inzwischen bekannten Namen der Regisseurin. Trotz des Erfolges bleibt sie mit beiden Beinen auf dem Boden. Sie erhielt nach der "Oscar"-Nominierung zwar jede Menge Drehbücher aus Amerika, aber "man darf das nicht überschätzen. Wenn man in Amerika nicht so spurt wie Produzenten und Studios es wollen, ist man schnell wieder weg vom Fenster." Sie ließ den Rummel über sich ergehen und wandte sich dem Kinderfilm zu. "Es ist traurig, daß es in Deutschland kaum Ehrgeiz gibt, einen guten Kinderfilm zu drehen, schließlich geht es um die Zuschauer von morgen. Auch die Arbeitsbedingungen lassen zu wünschen übrig. Kinder dürfen nur vier Stunden täglich arbeiten, dabei sind sie dann noch quietschfidel. Es ist schwierig, unter diesen Bedingungen einen Drehplan zu erstellen. Produzenten vergeht die Lust, einen Kinderfilm zu drehen, weil man mit einem Bein immer im Gefängnis steht." Dennoch ließ sie sich nicht entmutigen. Zusammen mit der Casting-Agentin Nessie Nesslauer wählte sie aus über 2000 Neun- bis Elfjährigen Elea Geissler und Max Felder aus, die wie wirkliche Profis vor der Kamera agierten. Das Casting der Erwachsenenrollen wurde mit gleicher Sorgfältigkeit betrieben - Meret Becker als Alleinerziehende und Juliane Köhler als High-Society-Mutter, August Zirner als berufsgestreßter Vater, Gudrun Okras als Haushälterinnen-Faktotum und Sylvie Testud als lebenslustiges Au-Pair-Mädchen. Das Drehbuch "entstaubte" sie etwas, machte die Figuren dreidimensionaler. Während bei Kästner die Erwachsenen Funktionsträger waren, ließ Caroline Link allen Protagonisten ihre leichten Schwächen und machte sie damit liebenswerter. Mit ihrer "komplexen Gestaltung" und dem Aufbrechen der Schwarz-Weiß-Zeichnung von Gut und Böse erleichtert sie den Zugang zu den einzelnen (Neben-)Figuren. So wurde aus der strengen Gouvernante ein ganz normales Au-Pair-Mädchen, aus der egoistischen Frau Pogge der Prototyp einer modernen Frau, die alles haben will - berufliche Anerkennung und liebende Familie. Caroline Link fühlt sich weniger als deutsche denn als europäische Filmemacherin, die Geschichten "auf ganz persönliche Weise" umsetzen will. Sie bevorzugt die europäische Erzählweise, "die dramaturgisch noch nicht so durchgeplottet und konstruiert sondern etwas freier ist, auch wenn manche Momente im europäischen Film manchmal etwas Geduld verlangen." Hollywood reizt sie nicht. "Geschichten müssen aus mir heraus entstehen, unter diesem Druck möchte ich nicht arbeiten. Es ist alles so hart, gnadenlos und hektisch."
Bilderbuchkarriere
Ihre Karriere verlief bisher linear: Sie sammelte Erfahrungen als Skript- und Regieassistentin bei Film- und Fernsehprojekten, schon ihr HFF-Abschlußfilm "Sommertage" wurde 1990 bei den Hofer Filmtagen mit dem Kodak-Förderpreis ausgezeichnet, sie schrieb zwei Drehbücher zur Krimiserie "Der Fahnder" und drehte für das ZDF 1992 den Kinderfilm "Kalle der Träumer". "Jenseits der Stille" erhielt neben der "Oscar"-Nominierung auch den Bayerischen Filmpreis, den "Deutschen Filmpreis in Silber" und diverse internationale Festivalauszeichnungen. Als Regisseurin fühlt sie sich gleichberechtigt, auch "wenn die Kollegen nach der Filmhochschule schneller mal ein Angebot vom Fernsehen bekamen. Vielleicht dachten einige Redakteure, Frauen eignen sich nicht so gut für den Produktionsalltag. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, als Frau habe ich es schwerer. Wir Frauen machen uns oft zuviel Gedanken über Stimmungen und stehen uns dann selbst im Weg. Kollegen ist es völlig egal, ob sie geliebt werden oder nicht, die haben eine andere Haltung."
Sie zeigt sich optimistisch, daß ihr Film von Kindern angenommen wird: "Bei Testvorführungen war die Resonanz gut. Vor allem die Mädchen waren aufgewühlt, sie konnten sich mit Pünktchen identifizieren. Kinder haben eine Antenne für Stoffe, die ihre Probleme ernst nehmen. Natürlich gucken sie "Titanic" oder Actionfilme, aber sie sind auch offen für Filme, die sich mit ihrer Welt beschäftigen." Ihr nächstes Projekt ist eine Romanverfilmung von Stefanie Zweig: "Nirgendwo in Afrika" erzählt von einer jüdische Familie in den 30er und 40er Jahren, die vor den Nazis nach Kenia flüchtet, "ein Film über Heimat und Vertriebensein, über Afrika." Zwar schreibt Rolf Basedow das Drehbuch, aber die "Autorenfilmerin" aus Leidenschaft kann es nicht lassen: "Ich schreibe mit, ich muß dem Buch wieder meinen Stempel aufdrücken."