Berlin - Ecke Schönhauser

DDR 1956/1957 Spielfilm

Nicht die übliche Tonart


Leserzuschriften, Junge Welt, Berlin/DDR, 12.9.1957


Ich finde den Film "Berlin – Ecke Schönhauser…" sehr gut, aber auch sehr problematisch. Ich bin mir nicht gewiß, wie er auf Menschen wirken wird, die unsere Republik nicht kennen, also auf Menschen im Ausland, vor allem im kapitalistischen, und auch auf solche Menschen, die zwar in unserer Republik leben, sie aber trotzdem nicht kennen, weil sie mit geschlossenen Augen durchs Leben gehen. Bringt der Film nicht eine Anhäufung negativer Seiten, die es wohl gibt, die aber in dieser Anhäufung ein einseitiges Bild unseres Lebens geben?

Zum Beispiel: Warum mußte Kohle ohne Arbeitsstelle sein? Warum mußte der Liebhaber der Mutter von Angela, offensichtlich doch ein Abteilungsleiter in unserem Staatsapparat, so ein furchtbarer, minderwertiger Bürokrat sein?

Wenn die FDJ auf der Leinwand erscheint, gibt es im Kino Gelächter. Warum? Ich glaube, weil die FDJ in diesem Film nur eine Kulisse bleibt, die zwar so am Rande auch mit da ist, von der Handlung her aber gar nicht nötig ist. Dann hätte man sie besser weglassen sollen. Was uns fehlt, wäre ein Film, in dem unsere Jugendorganisation auch eine wirklich handlungstragende Rolle spielt, denn nur in der Handlung, in der Aktion kann sie überzeugen, alles andere wirkt phrasenhaft. Und auch ein Wort zur Darstellung unserer Volkspolizei. Sie ist wirklich ergreifend und überzeugend. Das ist wirklich eine neue Polizei, die hier in Erscheinung tritt, eine Polizei, die ein Freund und Helfer der Jugend ist. Aber wird sie nicht etwas zu lasch und onkelhaft geschildert? Wie der VP-Kommissar da mit den Jungen im Revier spricht und zusieht, wie sie die Hände in den Hosentaschen behalten, sich herumflegeln und dumme Antworten geben – ich glaube, ein guter Oberleutnant wird etwas mehr auf Ordnung sehen. Schade auch, daß die Arbeiter auf dem Bau, die Kollegen von Dieter, so ganz und gar nicht in Erscheinung treten und nur Hintergrund bleiben! (…)

Hier geht es proletarisch zu! Aus unserer Kunst ist manchmal leider dieses Moment, das sich haargenau an das Publikum wendet, auf das es ankommt, sehr verschwunden. Wir brauchen eine sozialistische Kunst, eine Kunst, die der Arbeiter auch versteht und liebt, eine Kunst mit der Offenheit eines Erich Weinert, Friedrich Wolf, Bertolt Brecht, Willi Bredel! Man hat jetzt auch wieder angefangen, die alten proletarischen Kunstformen zu pflegen. Veranstaltungen mit Erich Weinert- und Tucholski-Gedichten durchzuführen, aber leider bleibt dies alles allzu häufig in einem snobistischen Rahmen in irgendwelchen erlesenen Räumen. Man muß damit mehr den Weg zum Arbeiter finden! – Das Wichtigste bei diesem Film scheint mir zu sein, daß die FDJ mit den Jugendlichen über ihn spricht! Der Film zeigt uns, daß die jungen Menschen von der Ecke keine Verbrecher und auch keine schlechten Menschen sind, wie manche meinen. Aber ihre menschliche und klassenmäßige Entwicklung ist völlig ungenügend, da kann man nicht mehr zusehen. Man darf diese Jugend nicht alleinlassen, vor allem wir alten Arbeiter dürfen es nicht.

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