Die Prostitution, 1. Teil - Das gelbe Haus
Das gelbe Haus
Der Kinematograph, Nr.633, 19.2.1919
Einer kleinen Zahl von Freunden zeigte Richard Oswald seinen neuen Film, das Dr. Magnus Hirschfeld" sche Tendenzwerk "Die Prostitution". Man kann beim Lesen der Anzeige verschiedener Meinung darüber sein, ob man schon heute, gleich nach der Milderung der Zensur, solche Themen für die Leinwand zurechtmachen soll. Es ist zu befürchten, daß die Kinofeinde bei ihrem Feldzug gegen die Zensurfreiheit auf solche "anstößigen" Titel hinweisen. Wenn man sich den Film angesehen hat, so werden wohl solche Bedenken verstummen müssen, da es sich hier nicht etwa um ein wildes Sensations-Radau-Stück, sondern um ein ernstes Werk von Bedeutung im Aufklärungskampf gegen das kasernierte und wilde Dirnentum handelt. (...)
Am meisten fesselt wie bei der Mehrzahl des Oswald-Films hier die Leistung der Darsteller. Anita Berber als Hauptvertreterin der Dirnen zeichnet eine trefflich lebenswahre Type. Man ist erstaunt, wie die Tanzkünstlerin mit Grazie und Geschick eine Filmdiva wird. Wenn man sich ihrer wenig ergötzlichen "Dreimäderl-Haus"-Leistung erinnert, muß man mit Genugtuung konstatieren, daß sie ausgezeichnete Fortschritte in der dramatischen Schauspielkunst gemacht hat. Ihre Gegenspielerin ist Gussy Holl. Zum erstenmal vor dem Kurbelkasten. Überraschend gut. Von einer Bildwirksamkeit, wie man sie nur ganz selten bei deutschen Flimmern findet. Auch bei ihr wundert man sich, wie aus der schlüpfrigen Überbrettldiva eine gesetzte, ernste Schauspielerin geworden ist. Von den weiblichen Hauptrollen ist dann noch Marga Köhler als Leiterin des gelben Hauses eine amüsable Figur. Die Herren haben gleichgute Darsteller: Conrad Veidt wie immer, tadelfrei in Maske und Mimik: Fritz Beckmann in einer Guido Herzfeld-Rolle und Ferdinand Bonn als "Agent" sind zwar wenig sympathische Erscheinungen, doch von einer entzückenden Komik. Bliebe noch Reinhold Schünzel, der nicht weicht von seiner Spezialität: der "gutmütige Jugendfreund". Auch dieses Mal spielt er ihn mit den bei ihm gewohnten Mitteln.