Eine eigene Haltung entwickeln
Katharina Dockhorn, epd-Film, 01.07.2004
Sie haben eine beeindruckende Erfolgsserie hingelegt und viele Preise gewonnen. Zwicken Sie sich manchmal und denken, das ist alles nur ein Traum?
Ich habe schon die Nominierung für den Deutschen Filmpreis als Erfolg gesehen und wollte nie darüber nachdenken, was noch kommen könnte. Wir haben einfach versucht, eine Geschichte zu erzählen, die uns sehr nahe liegt. Jan Henrik Stahlberg und ich sind über 30, wir verfolgen die Reformdebatte in Deutschland und haben festgestellt, dass wir uns nicht mehr orientieren können und wie Tausende andere auf der Suche nach einem Ausweg sind. Nach einer Utopie in irgendeiner Form. Wir wissen nicht, wo die herkommen soll. Wir haben jetzt einen Bundespräsidenten, der weiß, wie man makroökonomisch denkt. Woher soll der aber wissen, wie man eine Gesellschaft integriert und sozialen Frieden herstellt? Er wünscht sich ein Land voller Ideen, aber es kann doch nicht darum gehen, Deutschland alleine als Land der Werte und der ökonomischen Wachstumslokomotive darzustellen, in dem alle eine Ich-AG gründen. Ich fürchte, wir verlieren ein paar Sachen aus dem Auge.
Sie kommen quasi aus dem Nichts und haben den Film außerhalb der üblichen Finanzierungswege auf die Beine gestellt.
Ist er deshalb so erfrischend anders?
Wahrscheinlich. Ich verbringe jede freie Minute mit meinen drei Kindern und bin weniger als Jan an einer Analyse anderer Filme interessiert. Ich kann nur sagen, ein Film gefällt mir oder nicht. Ich habe keine Ahnung von den Kamerabewegungen von Michael Ballhaus oder von Godards Filmen. Ich habe eine Schauspielausbildung absolviert, komme vom Stadttheater, habe Serien gespielt und Regieassistenzen gemacht. Mit Jan Henrik Stahlberg entwickle ich seit zehn Jahren Projekte und dabei ist dieser Film mit einer Haltung herausgekommen, die wir gerne "rüberbringen wollten. Ob der Film deutsch ist? Sicher, denn wir haben einen deutschen Kontext.
Der den Zeitgeist sehr gut einfängt.
Zu Deutschland gehören der Blockwart, der Denunziant und der Law-and-Order-Typ genauso wie der Goethe-Liebhaber, Kleist-Fetischist, Romantiker und Spießer. Was ist schlecht am Spießertum? Ich wohne auch in einem Einfamilienhaus. Das ist mein Rückzugsort. Wenn mich das spießig macht, bin ich gerne Spießer. Wir erkennen uns und unsere Nachbarn in Mux wieder. Dadurch zieht der Film den Zuschauer herein und stößt ihn im nächsten Moment wieder ab. Damit wollen wir ihn verführen, eine eigene Haltung anzunehmen. Das ist der Anspruch des Films, obwohl wir auch keine Lösung anbieten können. Sonst wären wir Faschisten, und das ist ein antifaschistischer Film.
Der mit der Sehnsucht nach dem starken Mann à la Schill spielt, der wieder für Recht und Ordnung sorgt.
Genauso wie er diese Sehnsucht erzählt, schreckt er ab, weil er die Figur, der ich faschistoide Züge geben wollte, lächerlich macht und ihre Ideen ad absurdum führt. Manche seiner bitteren Sprüche gefallen mir sehr gut, genauso wie ich seinen Kampf für Solidarität und Verantwortungsbewusstsein schätze. Aber seine Willkür und seine Art sind für mich indiskutabel. Er hat auch keine Vision, denn das Manifest mit seinen Ideen kommt nie über das erste Kapitel hinaus. Er hat nichts vorzuweisen, und das ist der Spiegel der vergangenen zehn Jahre, in denen wir alle nur zynischer geworden sind. Wir haben über Harald Schmidt gelacht, weil der sich auf nichts einlässt, alles negativ und lächerlich macht. Er wirkt megakritisch, hat aber keine Haltung. Doch man kann nicht alles belachen wie Stefan Raab. Wir können dem nur entgegensetzen: Haltet ein mit der Bohlenisierung! Wir müssen nicht zuschauen, wie Leute Käfer im Urwald fressen. Dafür wollen wir sensibilisieren.
Nach dem Tod des S-Bahn-Surfers im Film hat man den Eindruck, dass Mux selbst klar wird, dass er an Grenzen stößt.
Das war eine filmische Gratwanderung und gleichzeitig ein Kristallisationspunkt. Der wird vom Zug erfasst und Mux sagt, die S-Bahn war schuld. In solchen Momenten hoffen wir, dass sich der Zuschauer an der Geschichte festbeißt und ihm das Lachen im Halse stecken bleibt.
Ist seine Expansion nach Italien ein Sieg?
Man kann geteilter Meinung zum Ende sein, wenn Mux vorgibt, auf Goethes Spuren in Italien die Klassik zu entdecken. Man könnte sagen, der hatte Erfolg, ist im Gespräch und expandiert mit seiner Gesellschaft für Gemeinsinnspflege. Mit einer Ich-AG, die Erfolg hat. Er wandert aus, weil er die Utopie hat, sein Weltbild in Italien zu verwirklichen. Andere werden sagen, er ist gescheitert und kommt in Deutschland nicht weiter. In Italien findet er einen anderen Kontext vor, mit dem er nicht gerechnet hat.
Ist Mux also nur in Deutschland denkbar?
Das ist die Frage. Von der Grundstruktur her ist er in Westeuropa möglich, weil er mit der Orientierungslosigkeit ein gesellschaftliches Grundproblem der Industrienationen aufnimmt.
Und das unterhaltend und mit halbdokumentarischen Stil tut, was dem Film hohe Authentizität verleiht.
Dieser Humor von Jan war mir wichtig. Bei einem Dokumentarfilm hätten wir wesentlich weniger Witz auffahren können. Der Film brauchte eine große Unmittelbarkeit und auf der anderen Seite eine gewisse Distanz, damit sich der Zuschauer hineingezogen fühlt und sich andererseits auf eine Beobachterposition beim anklagenden Blick auf die Mitmenschen zurückziehen kann.