Gerhard Fieber

Director, Screenplay, Production design
Berlin Walluf

"Aus der Art geschlagen" (BRD 1953) – Ein rothaariger Igel fährt Bahn

von Jeanpaul Goergen

 

"Aus der Art geschlagen" ist ein farbiger Zeichentrickfilm von Gerhard Fieber. Er entstand 1953 bei der EOS-Film in Göttingen, seinem Studio. Auftraggeberin war die Filmstelle der Deutschen Bundesbahn, die ein umfangreiches Angebot an Eisenbahnfilmen aller Art unterhielt. Es handelt sich um einen von mehreren lustigen Animationsfilmen, die der Zeichner Anfang der 1950er Jahre für die Deutsche Bundesbahn herstellte. Die kurze Tierfabel schildert die abenteuerlichen Erlebnisse eines kleinen Igels, der, statt Winterschlaf zu halten, die Welt erkundet und schließlich als blinder Passagier in einem Personenzug landet.

"Aus der Art geschlagen", 1
Quelle: Jeanpaul Goergen
Held des Films: ein abenteuerlustiger Igel (Motiv aus dem Film)

Die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft gab den Film am 24. Juni 1953 in einer Länge von 289 m (= 10'34") für die Vorführung auch vor Jugendlichen frei. Diese dürften auch die Hauptzielgruppe dieses amüsanten Streifens gewesen sein – ein unterhaltsamer Kurzfilm als Sympathiewerbung für Bahnfahrten.

Der Film. Held von "Aus der Art geschlagen" ist ein kleiner pfiffiger rothaariger Igel. Strohbeladen marschiert die Igelfamilie im winterlichen Tannenwald Richtung Winterquartier. Nur der kleine Igel hilft nicht beim Tragen, sondern versteckt sich lieber. Bei ihrer Baumhöhle angekommen, hängt Vater Waldemar Igelmann ein Warnschild auf: "Nicht stören! Halten Winterschlaf!" Ein freches Lied pfeifend, kommt schließlich auch Igel Junior anspaziert, sehr zum Missvergnügen seines Vaters. Der packt den Kleinen kurzerhand am Schlafittchen und legt ihn sich übers Knie. Dann öffnet er den Reißverschluss des Stachelkleids und verpasst dem unartigen Kerlchen ein paar Stockhiebe auf den nackten Hintern.

Der kleine Igel lässt sich davon jedoch nicht beeindrucken. Kaum ist es Nacht geworden, schleicht er sich unbeobachtet aus dem Unterschlupf. Seine Abenteuer beginnen auf einer Waldlichtung. Von einer Eule verfolgt, versteckt er sich in einem Heuschober. Am anderen Tag lädt der Bauer das Stroh und damit auch den Igel auf einen Wagen um. So gelangt er zu einem emsigen Güterbahnhof, wo er sich selbständig macht und auf der Plattform eines Güterzugs landet. Zwar verursacht der Rauch der Dampflokomotive einen heftigen Hustenanfall, aber das kleine Tierchen ist schlau und turnt an den ausgehusteten Rauchringen freudig durch die Lüfte.

"Aus der Art geschlagen", 2
Quelle: Jeanpaul Goergen
Nette Bahnreisende im Raucherabteil (Motiv aus dem Film)

Beim nächsten Halt schwingt der Igel sich mit einem Ast, einem Stabhochspringer gleich, auf einen wartenden Personenzug. Im Raucherabteil muss er erneut husten. Dann wärmt er sich an den Heizungsrohren unter den Sitzen, errötet angesichts der schlanken Beine einer Passagierin und piekst ihr, übermütig wie er ist, mit einer seiner Stacheln eine Laufmasche. Schließlich erwischt die Putzfrau den kecken Ausreißer und übergibt ihn dem Schaffner, der ihn in einen Karton sperrt.

Zwei eitle Gänse helfen dem kleinen Igel, sich aus seinem Gefängnis zu befreien. Am Bahnhof Heidesee gelingt ihm schließlich die Flucht, und nachdem er sich auch noch vor der Verfolgung durch den scharfen Hund des Bahnhofsvorstehers gerettet hat, findet er nach Hause zurück, wo er sich neben seinen Eltern und Geschwistern ins warme Nachtquartier bettet.

Gerhard Fieber und seine Zeichner haben mit "Aus der Art geschlagen" einen abwechslungsreichen und unterhaltsamen Kurzfilm geschaffen. Der kleine unartige Igel, der von zu Hause ausbückst und die Bahn entdeckt, ist ein sympathisches Kerlchen, das man gleich ins Herz schließt. Mit der vermenschlichten "Mecki"-Figur der Brüder Ferdinand und Hermann Diehl  hat er aber außer seinem pfiffigen Auftreten nichts gemein; er ist ganz als Tier gezeichnet.

"Aus der Art geschlagen, 3
Quelle: Jeanpaul Goergen
Ein böser Hund hetzt den kleinen Igel (Motiv aus dem Film)

Die Einstellungen sind abwechslungsreich und aus unterschiedlichen Perspektiven, aber mit nur wenigen Nahaufnahmen gezeichnet. Die Farben sind hell und klar. Der fetzige Sound einer Big Band treibt die Handlung voran, die ohne Kommentar auskommt. Bei den Figuren und Gags macht Gerhard Fieber Anleihen bei den US-amerikanischen Cartoons, die damals in großer Zahl in den bundesdeutschen Kinos liefen.

"Aus der Art geschlagen" ist in Rhythmus und Tempo allerdings deutlich langsamer als die Vorbilder aus Übersee, auch sind die Szenen keineswegs grotesk, sondern geradezu zahm. Auch die Bahnreisenden präsentieren sich als adrett gekleidete und gut genährte Wirtschaftswunderbürger. Allerdings taucht, unerwartet und dem kindlich-naiven Stil des Films widersprechend, ein furchteinflößender Hund auf, der bildfüllend die Zähne fletscht.

Gerhard Fieber variiert in "Aus der Art geschlagen" das Motiv des Ausreißers, den es in eine ihm fremde Welt hinauszieht und der dann wieder – nach mal positiven, mal negativen Erlebnissen – an den heimischen Herd zurückfindet. Hatte er diese Erzählung bereits 1943 in "Armer Hansi" vorgelegt, so greift er sie in seinen Nachkriegsfilmen für die Deutsche Bundesbahn erneut auf: In "Die kleine Lok" erlebt eine Vorortbahn die Schrecken einer Metropolis, während in "Ein verbotener Ausflug" Zootiere aus ihren Gehegen ausbrechen, um nach einer Bahnfahrt wieder in ihre Käfige zurückzukehren.

(Dezember 2023)

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