Die Nacht gehört uns
Betz (= Hans-Walther Betz), Der Film, Nr. 52, 28.12.1929
Durch Carl Froelich hat der deutsche Tonfilm einen großen Schritt vorwärts getan. Durch diesen mit größtem und verdientem Premierenerfolg aufgeführten Sprechfilm ist eindeutig erwiesen, wie ausschlaggebend deutsche Arbeit für den internationalen Tonfilm ist. Einer der schönsten Filmerfolge des Jahres, das wir in wenigen Tagen begraben – nur zu froh begraben –, ist dieses Werk, das ganz neue Wege ging, ganz neue Wege aufzeigt.
Man darf wieder mit großer – und hier vielleicht mit größter Berechtigung hoffen, daß der junge deutsche Tonfilm in kürzester Zeit den amerikanischen Tonfilm überflügelt hat. Denn hier bei den Deutschen, bei den Europäern schlechthin, erweist sich die tiefere Kultur als die größere Macht, die unbeirrbare Stetigkeit stets neuer Versuche als der größere künstlerische Ernst.
Es gibt fünf Tonfilme, die von den bisher gesehenen diese Bezeichnung mit Recht tragen dürfen: der "Singende Narr", der "Jazzsänger", "Atlantic", "Dich hab ich geliebt" und "Die Nacht gehört uns".
Daß von diesen einander so verschiedenen Tonfilmen nur zwei amerikanischen, drei aber deutschen Ursprungs sind, darf uns mit stolzer Freude erfüllen.
Nun ist der Film endgültig vom Titel befreit. Nun ist das gesprochene Wort nicht mehr blasser Ersatz für bedruckte Zwischentafeln. Nun steht die Sprache der Geste nicht mehr feindlich gegenüber. Bild und Ton, auf Geschwisterliebe angewiesen, soll aus beiden die neue Kunst einer in vielen Zuckungen noch sich gebärenden Zeit werden, haben das innige Verständnis für ihre wechselseitigen Beziehungen in einer nunmehr ungetrübt erscheinenden Gemeinschaft gefunden.
Dieser neueste deutsche Tonfilm, ganz unstreitig von den bisher gesehenen deutschen Sprechfilmen der weitaus beste, ganz unstreitig Wegweiser für kommendes Schaffen, hat zunächst grundlegend mit einer Begriffsirrlehre aufgeräumt, nach der "Tonfilm" verbunden war mit "Orchesterersatz" und "Ton auf jeden Fall". Seine Hersteller haben den außerordentlichen Mut gehabt, mit einer fast schon zur Schablone gewordenen Form des singenden Bandes recht kathegorisch zu brechen und im künstlerischen Eigensinn des Inszenenten ein befruchtendes Element zu sehen. Wodurch dieser Tonfilm die internationale Arbeit an dieser filmischen Form zu fördern imstande sein wird.
Der vorweihnachtliche Abend im "Capitol" war mehr als das (an sich recht banale) Ereignis einer Welturaufführung. Man weiß, daß der deutsche Tonfilm im Begriff steht, transozeanisches Mixertum zu überbieten durch künstlerische Leistung.
In diesem und in jedem anderen, für die Fortentwicklung des Tonfilms bedeutsamen Sinne war dieses Werk wesentlich. (...)