Die Beunruhigung

DDR 1981/1982 Spielfilm

Vorschnelle Beruhigung


Fred Gehler, Sonntag, Berlin/DDR, 7.3.1982


Akira Kurosawa hätte seinem 1952 inszenierten Film gleichfalls den Titel "Die Beunruhigung" geben können. Er nannte ihn "lkiru", (Leben). Es beginnt mit der Großaufnahme eines Röntgenbildes im Negativ. Darunter eine Erzählerstimme: "Dieses ist das Röntgenbild eines Magens. Er gehört dem Helden unserer Geschichte, Krebssymptome sind zu erkennen, aber er weiß noch nichts davon."
Dann sehen wir die krebskranke Person, den älteren Angestellten der städtischen Verwaltung, Watanabe – förmlich eingemauert von Aktenstößen. Der Anfang der Geschichte immer wieder gebrochen von Reflexionen des Autors über seinen Helden. (…) Als Watanabe begreift, daß ihn eine unheilbare Krankheit getroffen hat, versucht er seiner Vergangenheit zu entkommen, seinem Egoismus und seiner zu engen Existenz. Er macht sich daran, seinem Leben einen "Sinn" zu verleihen. (…)

Die Botschaft dieses klassischen Meisterwerkes hat mich bei jedem Sehen immer wieder betroffen. Hier scheint mir exemplarisch gelungen, was sich in Lothar Warnekes Film für mich zu wenig konstituierte: die Dialektik von Individuellem und Gesellschaftlichem, die feine Verästelung des Einzelschicksals in einem Geflecht sozialer Beziehungen und Spannungen. Die persönliche Krise der Inge Herold ist mehr ein leises Ahnen als wirklich erzählerischer Gegenstand geworden. Ohne Zynismus: Das Finden des richtigen und verständnisvollen Partners bringt hier die Welt allemal wieder ins Lot und läßt die Beunruhigung schwinden.

Wenn Warneke meint: "Es geht also nicht um Angst vor dem Tode, sondern um Angst vor einem falschen, am eigentlichen Sinn vorbeigehenden Leben" gibt es eine fast terminologische Übereinstimmung mit Kurosawas Credo: "…ich bin erschrocken bei dem Gedanken, daß ich noch so viele Dinge im Leben tun muß." Doch es findet in dem Film "Die Beunruhigung" nicht nur eine vorschnelle Beruhigung statt, auch ein Reduzieren und Begrenzen der Ängste.

Die Stilistik des Films ist ein Ausprobieren, "inwieweit gewisse Dokumentarfilm-Technologien für den Spielfilm verwendbar sind." (Lothar Warneke). Stilistisch-methodische Versuche sind in unserer Kinematografie rar, aber nicht deshalb muß schon jedes Abweichen von der Konvention gelobt und als Markstein bezeichnet werden. Für mich überwiegen eher die Bedenklichkeiten. Worin liegt der ästhetische Gewinn, wenn ein Pförtner im Film auch in der Realität Pförtner ist, der Chefarzt wirklich Chefarzt, eine Patientin eine tatsächliche Patientin usw.? Bringe ich damit mehr "Wirklichkeit" ein? Oberflächlich besehen wohl. Aber Bewertungskriterien eines Spielfilms sind nur an der Peripherie in solchen Aspekten interessant. Wesentlich ist die Schlüssigkeit der Kunstebene, die Überzeugung der "Als ob-Wirklichkeit" oder des fiktiven Abbildes. Dieser Kunstcharakter scheint mir ernstlich beschädigt zu werden, wenn Laien "ihre Realität" mühsam und beschwerlich darzustellen versuchen, aber auch, wenn Schauspieler angehalten werden, sich wie Laien zu benehmen. Das Improvisieren von Dialogen kann Grenzen erreichen, wo dann nur noch ein Verströmen von Banalitäten stattfindet. Das mühselige Herstellen von Alltag ist nicht allein dadurch schon ein produktiver Vorgang. Technisch schlechter Originalton enthält zusätzliche Momente der Irritation, ist nicht nur ein Authentizitätsgewinn. (…)

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