Die Beunruhigung

DDR 1981/1982 Spielfilm

Willkommene Herausforderung. "Die Beunruhigung"


Günter Agde, Filmspiegel, Berlin/DDR, Nr. 5, 1982


Dieser Film zwingt jeden, sich zu stellen. Das ist gut, denn solcher Zwang durch Filmkunst kann tatsächlich über bloßes Nachdenken zur Veränderung führen: Wie lebst Du Dein Leben? Ist es sinnvoll, hast Du Spaß? Gibst Du auch anderen Freude? Wie sind Deine Freunde, Deine Verwandten? Taugen Deine Bindungen zu anderen Leuten? Was mußt Du ändern, was kannst Du ändern?

Solche – und noch viele weitere – Fragen und die Notwendigkeit, darauf zu antworten, zwingt der Film dem Zuschauer auf. Er tut das auf kunstgemäße Weise: durch ein tief ergreifendes, rational mitvollziehbares, emotional miterlebbares Einzelschicksal. Der Film ermöglicht tiefe, wahrhaftige Blicke in das Leben eines anderen, in seine Hoffnungen und Nöte, seine Kraft und seine Ängste. Das berührt, wühlt auf, hält in Atem, läßt einen immerzu an das eigene Leben denken. Zugleich zeigt der Film unaufdringlich und leicht, daß dieser einzelne Mensch in unserem Land lebt, ein Nachbar, ein Mitmensch eines jeden von uns. (…)

Der Autorin Helga Schubert, die für das Buch aus eigenen beruflichen Erfahrungen schöpfen konnte, dem Regisseur Lothar Warneke, der sein brennendes Interesse für unsere Gegenwart hier weiter – und zu einem offensichtlichen Höhepunkt führen konnte, und der Hauptdarstellerin Christine Schorn, die nun endlich einmal in unserer Spielfilmproduktion eine wirklich große Rolle gestalten konnte, ist mit diesem Film eine bedeutende Leistung gelungen. Großen Anteil daran hat auch der Kameramann Thomas Plehnert, der den Film zurückhaltend, sorgsam jedes Detail, jede Regung der glänzenden Hauptdarstellerin und auch jederzeit ihr Umfeld genau erfassend fotografierte. Regisseur und Kameramann wählten das heutzutage selten gewordene Schwarzweiß, mit dem ihre Erzählweise unterstützt wird. Das betont Subjektive der Geschichte erhält so erhöhte Authentizität, die die Beunruhigung des Zuschauers verstärkt.


Warneke hat in diesem Film auf seine anfängliche Vorliebe für den dokumentarischen Film zurückgegriffen, nun freilich durch Erfahrungen mit dem Kino und mit einem selbstbewußten, jungen Zuschauer gereift. Er mischt professionelle Schauspieler mit Laiendarstellern. Dabei gelingen ihm viele Szenen von großer Kraft und Überzeugung, etwa mit dem im Fernsehen bislang unter seinen Möglichkeiten eingesetzten Wilfried Pucher, mit Ostara Körner, Cox Habbema, Hermann Beyer. Hingegen erscheinen Szenen wie die mit der Groß-Familie ungefügig, weil deren Dialoge zu spontan, zu wenig absichtsvoll der Heldin zugeordnet werden. Ganz unverständlich bleibt, weshalb die Richterin (Walfriede Schmitt) so sehr auffällig ins Unrecht gesetzt wird. Sie hätte das statistisch durchschnittliche, klischeehafte Gegenbeispiel zur Heldin liefern können, hätten Text, Regie und Darstellung nicht die Figur ins kaum noch Erträgliche denunziert.

Diese notwendigen Abstriche treten zurück gegenüber den großen Vorzügen des Films. Sein wichtigster ist und bleibt: er zwingt jeden, sich zu stellen. Die ersten Begegnungen mit dem Publikum zeigen, daß die Zuschauer dazu bereit sind. Möge es so bleiben.

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