Die Preise des 23. goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films

In Wiesbaden ist am gestrigen Abend mit der feierlichen Preisverleihung das 23. goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films (26. April bis 2. Mai 2023) zuende gegangen.

 

Der Hauptpreis, die mit 10.000 Euro dotierte Goldene Lilie, ging an die litauische Produktion "Remember to Blink" von Austėja Urbaitė. In diesem psychologischen Drama muss sich das französische Paar Jacqueline und Leon den Herausforderungen nach der Adoption eines Geschwisterpaares aus Litauen stellen. Als eine litauische Studentin als Eingewöhnungshilfe eingesetzt wird, entwickeln sich in der Familie tiefgehende Spannungen. Die internationale Jury unter dem Vorsitz von Rada Šešić begründete ihre Entscheidung wie folgt: "Dieser Film untersucht Adoption und Mutterschaft anhand der komplexen Machtdynamik zwischen zwei Frauen und der Vorstellungen von Ost und West und erinnert uns daran, dass die kolonialen Praktiken, die wir geerbt haben, oft wieder auftauchen und das heutige Leben beeinflussen."

Die Preisverleihung in der Caligari FilmBühne bildete den Abschluss einer ereignisreichen und emotionalen Festivalwoche bei goEast. Nach sieben Tagen voller Filmkunst, Virtual Reality, Workshops, zahlreichen Diskussionen, Vorträgen, Filmgesprächen und Ausstellungen, bei der 110 Filme gezeigt wurden und mehr als 350 Gäste aus der internationalen Filmbranche Wiesbaden besuchten, wurden die Siegerfilme des Wettbewerbs, aus dem East-West Talent Lab und dem RheinMain Kurzfilmwettbewerb gekürt, und Preise im Gesamtwert von 27.500 Euro verliehen.

Der Regisseur Titas Laucius gewann mit "Parade" (Litauen, 2022) den Preis der Landeshauptstadt Wiesbaden für die Beste Regie, der mit 7.500 Euro dotiert ist. Im Zentrum der schwarzen Komödie steht eine Blaskapelle und die sich überschlagende Ereignisse im Leben ihrer Leiterin. "Ein bemerkenswert selbstbewusstes Debüt mit einem feinen Gespür für die Komik gescheiterter Beziehungen und die institutionellen Regeln, die Menschen aneinander binden, und einer phänomenalen weiblichen Hauptdarstellerin, Rasa Samuolyte", so die Begründung der Jury.

"We Will Not Fade Away" (Ukraine, Frankreich, Polen, 2023) der Regisseurin Alisa Kovalenko wurde mit dem zum zweiten Mal von der Central and Eastern European Online Library ausgelobten CEEOL Preis für den besten Dokumentarfilm, der mit 4.000 Euro dotiert ist, ausgezeichnet. Der Coming-of-Age-in-War Dokumentarfilm beschäftigt sich mit einer Gruppe in Donbass aufwachsender Jugendliche, die von einer Reise in den Himalaya träumen. "Dieser Dokumentarfilm bringt die lebendigen Träume und Ambitionen von Teenagern aus einer Kleinstadt auf die Leinwand, die in einem brutalen Umfeld enttäuschter Hoffnungen und gefangener Leben gefangen sind, und zeigt eine bemerkenswerte Fähigkeit, sich auf ihre Geschichten und Hoffnungen einzulassen, sie zu verstehen und sie uns nahe zu bringen", so die Begründung der Jury.

Mit einer lobenden Erwähnung wurde "This Is What I Remember" (Kirgisistan, Japan, Niederlande, Frankreich, 2022) von Aktan Arym Kubat preisgekrönt. Das Gesellschaftsporträt eines Gastarbeiters, der sein Gedächtnis verloren hat, in einer postsowjetischen Realität. "Ein scheinbar stiller und doch bildgewaltiger Film, der von innen herausbrüllt und von der Macht der Liebe im göttlichen Sinne handelt, um schwindende soziale Werte und traditionelle Wurzeln wiederzubeleben, mit einem ausgeprägten Gespür für die sich zuspitzende Umweltkrise und wunderbaren Hauptdarstellern, sowohl dem Regisseur als auch seinem Sohn", begründete die Jury.

Der Preis der Internationalen Filmkritik FIPRESCI in der Kategorie Spielfilm ging ebenfalls an "Remember to Blink" (Litauen, 2022) der Regisseurin Austėja Urbaitė mit folgender Jurybegründung: "…für die sorgfältige und intensive Art, ein heikles Thema wie die Erfüllung des weiblichen Wunsches nach Mutterschaft und Familie zu beschreiben. Der Film behandelt auf dramatische Weise die Konfrontation zwischen den Kulturen und die Probleme internationaler Kinderadoptionen."

In der Kategorie Dokumentarfilm zeichnete die FIPRESCI-Jury, deren Mitglieder Davide Magnisi, Živa Emeršič und Tina Waldeck waren, "Motherland" (Mutterland, Schweden, Ukraine, Norwegen, 2022) des Regieduos Alexander Mihalkovich und Hanna Badziaka aus. Die Begründung der Jury lautete: "…für die mutige Enthüllung der Gewalt und Korruption in der belarusischen Armee durch die Geschichte von Müttern, die versuchen, die Schuldigen vor Gericht zu bringen. Ungeachtet des Scheiterns ihrer Versuche vermittelt der Film eine starke Botschaft über die Kraft der Menschlichkeit und des Widerstands."

Die lobende Erwähnung beim vom Kulturfonds Frankfurt RheinMain geförderte RheinMain Kurzfilmpreis geht an "Aralkum" (Uzbekistan, 2022) von Daniel Asadi Faezi und Mila Zhluktenko. "Eine poetische Reise ins Land des ausgetrockneten Lebens, die uns an die grausamen Konsequenzen menschlicher Gier erinnert. Mit starken ästhetischen Bildern gelingt den Filmemacher*innen eine bewegende Warnung vor der endgültigen Zerstörung der Natur", so die Jury.

Der RheinMain Kurzfilmpreis geht an "No Nation Without Culture" (Tschetschenien, 2022) von Vladlena Sandu. "Mit klaren und präzisen Bildern bringt die Regisseurin beeindruckende Beobachtungen aus einer Stadt, die man fast vergessen hat, in die Welt – und macht damit die Zerstörung der Seele einer Kultur sichtbar. Ein hochaktueller Schrei aus einer zum Schweigen gebrachten Gesellschaft", so die Jury.

Im East-West Talent Lab, das mit Unterstützung von Renovabis und  Goethe Institut durchgeführt wurde, fand das Project Market Pitch vor einer dreiköpfigen Jury statt. Die Jury: "Wir sind begeistert von der Energie ihres Projekts und freuen uns, dies ankündigen zu können: Der Pitch the Doc Award geht an 'Ashes to Ashes, Dust to Side Chicks" (Kasachstan) von Intizor Otaniyozaova. Angeregt durch Beyonce begibt sich die Regisseurin auf die Suche nach dem Mosaik ihrer Abstammung, um sich selbst und ihre Stimme wiederzufinden. Die Entdeckungen, die sie auf ihrer Reise macht, werden ihr eigenes Wachstum beeinflussen", so die Jury.

"The Sigh of Memory" (Kirgisistan) von Gulzat Egemberdieva wird mit dem mit 3.500 Euro dotierten Renovabis Forschungstipendium ausgezeichnet. "Damit möchten wir eine Filmemacherin unterstützen, die noch ganz am Anfang ihres neuesten Films steht. Wir freuen uns sehr auf Gulzat Egemberdieva, die die Geschichte des Opiumhandels in Zentralasien von der frühen Sowjetzeit bis heute nachzeichnet". Der Seufzer der Erinnerung erzählt aus einer einzigartigen Perspektive und mit einem außergewöhnlichen Zugang und wendet sich der Vergangenheit zu, um zu verstehen, wie dieses Problem noch immer in der Gegenwart nachhallt.

Die Wahl des goEast Medienpartners 3sat, der seit Beginn des Festivals in jedem Jahr den Ankauf für einen Spielfilm des Wettbewerbs anbietet, fiel 2023 auf "January" ("Janvāris", Lettland, Litauen, Polen, 2022) mit der Begründung: "Die Stärke von Viesturs Kairišs' Film liegt in seiner unaufdringlichen Vielschichtigkeit. Er weitet sich von der unsicheren Suche eines jungen Mannes nach seiner Bestimmung in seinen Beziehungen wie in seinen künstlerischen Ambitionen zu einer kraftvollen, ausdrucksstarken Beschreibung des lettischen Kampfes für die Unabhängigkeit 1991. Privates Verhalten (zwischen Opportunismus und Protest), moralische Integrität und politische Aktion werden in ihrer Verschränkung, aber auch in ihren Widersprüchen deutlich, und beleuchten damit in der Tradition von Krzysztof Kieślowski subtil ein Stück weit die Gegenwart, ohne allerdings einfache Antworten zu geben. Formal spielt der Film geschickt mit verschiedenen analogen Bildformaten und Archivmaterial und erinnert eindrucksvoll an die Bedeutung von lettischen Filmemachern wie Juris Podnieks und Andris Slapinš und ihren Anteil als Künstler im Kampf um Unabhängigkeit und Demokratie." Der Film soll zum goEast Festival 2024 bei 3sat seine TV-Premiere feiern.

Die 23. Ausgabe von goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films fand vom 26. April bis 02. Mai in Wiesbaden statt. Zu den Höhepunkten gehörten neben einem abwechslungsreichen Wettbewerb und intensiven Begegnungen im Kino die Besuche international gefeierter Filmemacher*innen wie Radu Jude, und das Porträt Jasmila Žbanićs inklusive ihrer Anwesenheit beim Festival. Das Symposium, das unter dem Titel "Decolonizing the (Post)- Soviet Screen" lief, erfreute sich einer sehr regen Teilnahme von Gästen aus dem In- und Ausland. Mit dem Cinema Archipelago, einem Rahmenprogramm, das über die klassische Kinoerfahrung hinausgeht, betrat das Festival, gefördert vom Kulturfonds Frankfurt RheinMain, zum zweiten Mal einen außerfilmischen Boden und ermöglichte u.a. eine erfolgreiche Ausstellung namens "ILLUSTRATORS_NATIVE" und Diskussionsrunden, die indigenen Aktivismus in ehemaligen Sowjetrepubliken thematisierten.

Quelle: www.filmfestival-goeast.de