Mein letzter Film

Deutschland 2001/2002 Spielfilm

Mein letzter Film


Ralf Schenk, film-dienst, Nr. 24, 19.11.2002

Es beginnt wie ein Krimi: Eine hypernervöse, rauchende Frau trifft in einem Café einen jungen Mann. Er will wissen, warum sie gerade ihn ausgewählt habe. Ihre Antwort: „Weil es absolut unter uns bleiben muss.“ Worin besteht das Geheimnis, das die beiden bald miteinander verbindet? Geht es um ein Verbrechen? Lädt die Frau ihren Begleiter zu einer Affäre ein? Das Rätsel wird wenig später gelöst, und tatsächlich handelt es sich um eine Affäre, wenn sie auch ganz anders aussieht als vermutet: Die Schauspielerin Maria wird vor der Kamera des jungen Mannes ihre Seele entblößen, und sie wird es so radikal tun, dass es danach kein Zurück mehr gibt in die Verschwiegen- und Verdruckstheiten, die kleinen und großen Selbstbeschwichtigungen und Lügen aus der Zeit zuvor.

Mit „Mein letzter Film“ hat Bodo Kirchhoff einen langen Dialog zwischen Hannelore Elsner und einer Kamera geschrieben. Es ist ein erfundener Text, und obgleich in ihm Berührungspunkte mit der Biografie der Aktrice ausgemacht werden könnten, wäre es banal und langweilig, ihn nur auf die Nähe zur Elsnerschen Vita zu durchleuchten: „Ich bin, was ich spiele, und ich bin es nicht.“ Spannender ist zu beobachten, wie die Darstellerin ihre Kunstfigur aus der Balance zwischen (fiktiver) Wirklichkeit und Spiel vor und mit der Kamera in die radikale Selbstbefragung führt. Ihre Vorsicht, die der Tatsache entspringt, dass das für wenige Zuschauer – den langjährigen Partner, die beste Freundin – bestimmte Videoband vielleicht doch an eine größere Öffentlichkeit gelangen könnte, verliert sich nach und nach in einem angstlosen Zustand. Aber auch hier arbeitet der Film mit Doppelbödigkeiten und Brüchen: Während Maria den jungen, namenlosen Kameramann lange in der Wohnung duldet, schickt sie ihn auf dem Höhepunkt der „Beichte“ vor die Tür und bedient die Kamera selbst.

Die wackligen Videoszenen mit ihren häufigen Zooms weichen einem Stillstand des Bildausschnitts: Bewegt ist nur noch die Figur, nicht mehr die Technik. Der Film tritt formal in seine „reinste“ Phase ein, ist nackt und bloß, hat allen Ballast abgeworfen. Es gibt nur noch das Gesicht, die Figur; und den tiefsten Schmerz, der jetzt in Worte gefasst werden kann. Der quälende, keineswegs erlösende Schrei, der diesen Worten folgt, findet dann außerhalb des Bildes statt.

Die äußerliche Handlung, wenn davon überhaupt die Rede sein kann, besteht darin, dass Maria ihren Koffer packt, um die Wohnung, die sie lange mit ihrem Mann, dem Regisseur Richard teilte, zu verlassen. Jeder Gegenstand, den sie bei der Suche nach dem, was sie mitnehmen will, in den Händen hält, lädt zu Reminiszenzen ein: eine Sonnenbrille, Briefe, Hüte, Filmpreise. Die Geschichten kreisen um Rollen, das Publikum und das Älterwerden, um die wesentlichen Männer in ihrem Leben: einen Terroristen, einen Fußballtrainer, einen Politiker und vor allem um Richard, mit dem sie symbiotisch verbunden zu sein scheint, obwohl er sie seit langem betrügt. Mit ihm dreht sie seit Jahren eine Fernsehserie, spielt die „Pastorin“, mit immer gleichen Konstellationen und Dialogsätzen. Aber gemeinsam mit Richard entstand auch der „einzige Film, der wirklich was taugt“: etwas Wahrhaftiges, dessen Inhalt nicht näher ausgeführt wird. Vielleicht war es diese Erfahrung, die sie bewog, einen Schlussstrich zu ziehen: das Gefühl, zu oft das Falsche getan zu haben. Vielleicht kam dadurch auch das Trauma des verlorenen Kindes wieder zum Tragen.

Kein Zweifel: Hannelore Elsner knüpft hier an den Kraftakt und die Experimentierlust ihrer „Unberührbaren“ (fd 34 197) an. Wie dort führt sie die unendlichen Facetten zwischen Stille und Schrei vor: ein Zucken des Mundwinkels, ein Lächeln, ein Zusammenziehen der Augen legen ganze Gefühlswelten frei. Kein Zweifel aber auch: Kirchhoffs Text hätte durch eine Reduktion literarischer Tiefgründelei zugunsten von mehr Beiläufigkeit gewonnen, so wie die Regie mehr Ruhepunkte vertrüge. So wirkt der Film über weite Strecken recht angestrengt. Außer Frage steht freilich, dass die vorwiegend privat erscheinende Geschichte der Schauspielerin Maria gesellschaftliche Dimensionen aufweist: Sie ist das Spiegelbild einer Lebensart, die – auf ganz andere Weise, aber ebenso nachdenklich und doppelbödig – schon in Arbeiten wie Helmut Dietls „Rossini“ (fd 32 348) hinterfragt wurde.

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