Sommersturm
Sommersturm
Martina Knoben, epd- Film, Nr. 9, 02.09.2004
Mit Bildern in Zeitlupe beginnt der Film, und auch später hat man immer wieder den Eindruck, dass jeder Moment doppelt zählt. Die Zeit erscheint lustvoll und schmerzhaft gedehnt – es gibt solche Wochen im Leben, die schnell verfliegen und doch schwer wiegen wie Monate oder Jahre.
Tobi (Robert Stadlober) würde die Uhr am liebsten anhalten – alles soll wie früher sein, als er und Achim einfach nur beste Freunde waren: zusammen spielten, Sport trieben und im Clubhaus der Rudermannschaft gemeinsam onanierten. Keine Frau soll sich in ihre Freundschaft drängen und kein verbotener Gedanke. Dabei ahnt Tobi längst, dass er in seinen besten Freund eigentlich verliebt ist.
Marco Kreuzpaintner, der schon mit seinem Debütfilm "Ganz und gar" eine dramatische Coming-of-Age-Geschichte vorgelegt hatte, erzählt auch in "Sommersturm" vom Durcheinander der Gefühle, der Unsicherheit, dem Selbstbetrug, der Melancholie der Jugend. Tobis Geschichte sei mehr oder weniger seine eigene, sagt er, wobei er nicht mit seiner Rudergruppe im Zeltlager gewesen sei, sondern als Messdiener. Aber auch für ihn sei das Zeltlager eine unsichere Zeit gewesen, vor allem in sexueller Hinsicht.
Paradies und Fegefeuer in einem ist das Zeltlager in seinem Film. Ein Ort jenseits der gewohnten Bindungen und Regeln, draußen in der Natur, wo vieles möglich scheint – der erste Sex vielleicht. Diese Möglichkeiten und die ständige Nähe der anderen machen die Jungen und Mädchen ganz verrückt. Dass eine schwule Rudermannschaft, die am gleichen Turnier teilnimmt wie Tobi und sein RSC, gleich nebenan ihre Zelte aufschlägt, macht die Verwirrung nur noch größer. In jemanden verliebt sein, der einen nicht wiederliebt – den Filmemachern war es wichtig, das Thema so zu behandeln, dass es nicht nur als Schwulen-Geschichte rüberkommt. Vielleicht auch deshalb sind die Liebeszenen angenehm zurückhaltend.
Alles ist aufgeladen mit verdrängten Gefühlen, vergleichbar der Schwüle vor einem Gewitter. In glühenden Sommerfarben haben Kreuzpaintner und sein Kameramann Daniel Gottschalk den Film fotografiert: schöne Jungenkörper auf einem Steg am See, ein Liebesnest im Schilf, treibende Wolken an einem strahlend blauen Himmel. Schon in "Ganz und gar" hatten die beiden eine Vorliebe fürs Bunte und für Choreographien demonstriert.
Eine Wiedergeburt, eine Häutung steht Tobi bevor, davor muss erst einmal die Welt für ihn untergehen. Ein mächtiges Unwetter bricht über das Zeltlager herein – wie es sich gehört für ein Melo. Es lässt sich manches einwenden gegen diesen Film – der Schwulen-Kitsch, die Teenie-Film-Albernheiten, die komische Figur des Trainers mit seinem bayerischen Akzent – bewundernswert aber ist Kreuzpaintners Mut zu großem Kino. Und je stärker er sich auf Tobi konzentriert, desto stimmiger wird das Ganze. Wenn Tobi etwa seiner Freundin gesteht, dass er schwul ist, kann er das zunächst nur auf Umwegen: Er liebe jemand anderen, sagt er, "aber keine Frau". In solchen Momenten spürt man, dass Kreuzpaintner ganz und gar zu Hause ist in seiner Geschichte.
Dazu hat er mit Robert Stadlober einen großartigen Darsteller gefunden, der Tobis widersprüchliche Gefühle ausdrücken kann. So gelingen wunderbare Momente, wie etwa Tobis erster Sex mit einem Jungen – so intensiv und leidenschaftlich war lange keine Liebesszene im deutschen Kino. Da brennt jede Berührung wie Feuer und ist gleichzeitig so erlösend, so wunderbar.