"Singende, sprechende und musizierende Films": Die Tonbild-Sammlung im Deutschen Filminstitut
Quelle: DIF |
Screenshot aus "Die lustige Witwe: Die Grisetten" (190?) |
Der frühe Film ist mit dem Wort Stummfilm nur insofern zutreffend beschrieben, als dass auf dem Filmmaterial selbst kein Ton aufgezeichnet und somit auch nicht abgespielt werden konnte. Vorgeführt wurde Film allerdings schon damals nie stumm sondern fast immer begleitet von Klängen.
Üblich war die Live-Begleitung durch ein Orchester, eine Kapelle, oder ein Klavier, sowie ab den 1910er Jahren auch durch die Kinoorgel. Häufig wurden auch automatische Musikinstrumente wie Pianola und Orchestrion eingesetzt und auch die Begleitung durch Filmerklärer und Geräuschemacher war gängig. Die Tonbegleitung, unabhängig ob Musik, Stimme oder Geräusche, hatte dabei vor allem die Aufgabe, die Stimmung der Handlung zu unterstreichen, den Handlungsverlauf des Films verständlicher zu machen und so den Unterhaltungswert für das Publikum zu steigern. Gleichzeitig wurde schon seit den Anfängen der Filmgeschichte mit der Kombination von voraufgezeichnetem Filmton und Filmbild experimentiert, also lange bevor sich Anfang der 1930er Jahre der Tonfilm auf dem Filmmarkt durchsetzte und das Filmmaterial endgültig auch zum Tonträger wurde – mit Lichttonspur direkt neben dem Filmbild. Denn schon früh brannten die Menschen darauf, etwa einen Sänger, den sie auf der Leinwand sahen, auch singen zu hören, die Dialoge der Darsteller zu hören statt Zwischentiteltexte zu lesen, kurzum: auch die Klänge und Geräusche der 'lebenden Bilder' zu erleben.
Diesem Bedürfnis kamen kurz nach 1900 die sogenannten Tonbilder nach, zunächst bezeichnet als 'singende, sprechende und musizierende Films', später auch Nadeltonfilme genannt. Als Tonträger dieser sehr frühen Synchrontonfilme dienten Schellackplatten, ihre Abspiel-Apparatur war das Grammophon. Ab 1903 in Deutschland vermarktet und von 1907 bis 1909 massenhaft produziert, sind Tonbilder Beispiele für die erste Generation audiovisuellen Filmschaffens, das erfolgreich zwei aufstrebende Unterhaltungsmedien miteinander verband: die Film- und die Schallplatten- bzw. Musikindustrie.
Tonbilder, das sind durchschnittlich drei bis vier Minuten lange Kurzfilme, die in der Regel im Playback-Verfahren produziert wurden: Eine bereits existierende Tonaufnahme wurde im Filmstudio auf einem Grammophon abgespielt, während die Darsteller – häufig nicht identisch mit den Vokalisten auf der Schellackplatte – das Lied oder den Text lippensynchron nachsangen oder -sprachen, vor laufender Kamera und mit passender Hintergrundkulisse. Im Kino wurden Filmbild und Schellackton dann mit Projektor und Grammophon synchron vorgeführt und erzeugten so den Zusammenklang von Bild und Ton.
Tonbilder waren vor allem in Frankreich und Deutschland populär. 1907 bis 1909 fand die Tonbildproduktion in Deutschland ihren Höhepunkt, bevor sie in den frühen 1910er Jahren ausklang und noch vor Beginn des Ersten Weltkriegs endete.
Heute gilt der größte Teil der deutschen Tonbildproduktion als verloren und die Überlieferungslage in den Archiven ist schlecht. Mit der Sammlung Neumayer besitzt das Deutsche Filminstitut die größte zusammenhängende Tonbild-Sammlung Deutschlands, die 2013/2014 mit Mitteln des Bundes aufgearbeitet und digitalisiert wurde. Dieser Thementext stellt die Sammlung Neumayer vor und fasst die im Rahmen des Projekts am Deutschen Filminstitut zusammengetragenen Informationen zusammen. Er basiert dabei maßgeblich auf dem ausführlicheren, im Filmblatt (Nr. 61/62, 21. Jg., Frühjahr 2017) veröffentlichten Text von Anke Mebold "Auftakt zu einer klangvollen Zukunft. Die Tonbilder der Sammlung Neumayer im Archiv des Deutschen Filminstituts", die die Restaurierung der Tonbilder für das Deutsche Filminstitut durchgeführt hat. Die digitalisierten Tonbilder liegen hochaufgelöst für die Projektion im Kino vor und werden sukzessive auch auf filmportal.de verfügbar gemacht.