40. Duisburger Filmwoche gestartet

Am gestrigen Abend wurde mit der österreichischen Produktion "Cinema Futures" von Michael Palm die 40. Duisburger Filmwoche eröffnet, die bis zum 13. November wieder herausragende Dokumentarfilme sowie Mischformen und Grenzgänger des Genres präsentiert.

"Es ist Zeit" lautet das Motto der 40. Ausgabe der Duisburger Filmwoche. Die Auswahlkommission des Festivals hat 27 Filme ausgewählt, die im filmforum am Dellplatz zu sehen sind – darunter sechs Uraufführungen und drei Deutsche Erstaufführungen, neun Filme aus Österreich und zwei aus der Schweiz. Im diesjährigen Programm werden Arbeiten zu sehen sein, die sich nicht mit dem ersten Blick auf die Dinge zufrieden geben wollen, die andere Eindrücke erlauben als die Bildhülsen, mit denen sonst die Wirklichkeit gezeigt wird. Filme, die Realität, die sie zeigen, durch ihre Inszenierung überhöhen, in neue Kontexte verschieben oder in ursprüngliche zurückbringen.

Diese Arbeiten konkurrieren bei der Filmwoche um den ARTE-Dokumentarfilmpreis, dotiert mit 6.000 Euro, und den 3sat-Dokumentarfilmpreis für den besten deutschsprachigen Dokumentarfilm, ebenfalls dotiert mit 6.000 Euro. Zudem werden die "Carte Blanche" - Nachwuchspreis des Landes NRW, dotiert mit 5.000 Euro, der Förderpreis der Stadt Duisburg, dotiert mit 5.000 Euro sowie der Publikumspreis der Rheinischen Post für den beliebtesten Film, dotiert mit 1.000 Euro, vergeben.

Die Duisburger Filmwoche zeigt in diesem Jahr viele Filme, die sich ganz konkreten sozialen Situationen zuwenden und diesen in ihrer Inszenierung besondere Facetten abgewinnen. So steht in "MIRR", "Holz Erde Fleisch", "Landstück" und "Homo Sapiens" auf ganz verschiedene Art und Weise die Beziehung des Menschen zur Erde zur Debatte. Während es in "MIRR" um einen kambodschanischen Bauern geht, der sein Feld an Großgrundbesitzer verliert, widmet sich der etablierte Dokumentarfilmer Volker Koepp in "Landstück" den Umwälzungen durch die modernen Landwirtschaft in der noch von der DDR-Zeit geprägten Uckermark zu. "Holz Erde Fleisch" erzählt derweil von der persönlichen Disposition, die für den Bauernberuf notwendig ist und davon, wie schwierig es inzwischen ist, seinen Betrieb an die nachfolgende Generation weiterzugeben. In Nikolaus Geyrhalters "Homo Sapiens" sehen wir hingegen keine be- sondern eine abgewirtschaftete Welt: verlassene Orte, keine Menschen, sondern nur noch ihre Spuren.

Auch das Thema Migration, das bereits bei der letztjährigen Filmwoche einen thematischen Schwerpunkt darstellte, taucht in dieser Filmwoche in verschiedenen Facetten auf: "Havarie" zeigt ein auf 90 Minuten gestrecktes, dreiminütiges Video eines von einem Kreuzfahrtschiff erspähten Flüchtlingsbootes und legt darunter Stimmen der Retter, Geflüchteten und Touristen. "Paradies! Paradies!" zeigt einen Wiener Familienvater mit kurdischen Wurzeln, der auf fast komische Art seine Heimat idealisiert, dort auf Wohnungssuche geht und unbedarft mit Peschmerga posiert. "Un solo Colore" zeigt ein Flüchtlingslager anderer Art, in dem die Geflüchteten leben statt hausen und das mit ihnen einen zerfallenden Ort in Süditalien wiederbeleben will.

Ein anderer interessanter Schwerpunkt ist - ganz im Sinne des weiten Begriffs des Dokumentarischen in Duisburg - eine auffällige Tendenz in der Inszenierung. Einige Filme im Programm wandeln am Rande zum Spielfilm. In "Brüder der Nacht" sehen wir bulgarische Stricherjungen in Wien bei ihrem Männlichkeitsgehabe zu, das wie eine schützende Maske über ihrer prekären Situation liegt und dem der Regisseur viel Platz zur Selbstinszenierung einräumt. In "MIRR" fordert der oben schon angesprochene Bauer seine Dorfgemeinschaft auf, an einem Film über die Enteignungen teilzunehmen, wodurch der Status des Gezeigten stets unklar ist. In "Die Geträumten" wohnen wir einer Tonaufnahme des Briefwechsels von Ingeborg Bachmann und Paul Celan bei, die durch spielfilmhafte Begegnungen der Sprecher immer wieder unterbrochen wird. "Dazzling Light of Sunset" zeigt die Berichterstattung eines georgischen TV-Lokalsenders, die zum einen selbst stets Inszenierung ist, aber auch jedwede "Ereignisse" als gerahmte Aufführsituationen begreift.

Ein Sujet, das speziell in zweiten Teil der Filmwoche virulent wird, ist eine Vermessung des Portrait-Genres. In "Rudolf Thome – Überall Blumen" sehen wir Serpil Turhans Blick auf den alternden Regisseur Rudolf Thome, der rekapituliert und nach vorn blickt, der weiß, wie ein resümierendes Karriereportrait funktioniert, sich dem aber als vermeintlich noch produktiver Künstler entgegenstellt. In Werner Schweizers "Offshore" sehen wir den Wandel eines Schweizer Kleinbürgers zum Banker zum Whistleblower, die der Filmemacher mit seiner eigenen Karriere vom linksautonomen und winzernden Filmemacher parallelisiert. Werner Schweizer, der vor 20 Jahren den ersten 3sat-Dokumentarfilmpreis erhielt, ist außerdem Gesprächspartner von Klaus Kreimeier in einem Autorengespräch - dem 3sat-EXTRA, in dem es um seine Praxis und Entwicklung als politischer Filmemacher geht. In "Happy" und "Bruder Jakob" ist das portraitierende auch gleich ein familiär-engagiertes Vorhaben: In "Happy" steht die Filmemacherin der Glückssuche Ihres Vaters bei einer thailändischen jungen Frau kritisch gegenüber und hinterfragt beider Motive; in "Bruder Jakob" versucht der Filmemacher seinen zum Islam konvertierten Bruder in den Schoß der Familie zurückzuholen.

Quelle: www.duisburger-filmwoche.de