K 13 513. Die Abenteuer eines Zehnmarkscheines

Deutschland 1926 Spielfilm

Abenteuer eines Zehnmarkscheines



Siegfried Kracauer, Frankfurter Zeitung (Stadt-Blatt), 5.12.1926


Der Film, den die Neue Lichtbühne und die Kammer-Lichtspiele zeigen, beruht auf einem Manuskript des begabten Ungarn Béla Balázs; Berthold Viertel hat die Regie geführt. Die Idee ist filmgemäß genug: die Wanderungen eines Zehnmarkscheins werden verfolgt. Seine Laufbahn führt auf dem Weg des Zufalls durch das Nebeneinander des äußeren Lebens. Dieses Thema ist in besonderer Weise auf den Film zugeschnitten, der es weniger mit der Darstellung innerer Erlebnisse als mit der Vergegenwärtigung der Lebensoberfläche zu tun hat. Gerade die sprunghaften Assoziationen, die das Unzusammenhängende miteinander verbinden und so ein Bild unseres aufgelösten Daseins geben, sind sein Fall. Leider ist diese Idee längst nicht so reinlich durchgeführt worden wie seinerzeit in dem unvergeßlichen Film: "Die Straße". Der Zehnmarkschein wandert zwar, aber zugleich mit seinen Wanderungen entfaltet sich auch eine ganz geschlossene Geschichte aus dem Milieu der Arbeiter und kleinen Angestellten, die von der üblichen Sentimentalität schlechterer Filme nicht freizusprechen ist. Die Aufgabe dieses Films wäre ferner wesentlich die Vergegenständlichung der unverfälschten Wirklichkeit gewesen; er verfehlt seine Aufgabe, wenn er, um ein zweifelhaftes Mitleid zu erwecken, das Los der Fabrikarbeiter in einer Weise schildert, wie es höchstens in Zeiten ohne Betriebsrat sich gestaltet haben mochte. Solche Vergehen gegen die Realität finden sich immer wieder in den sozialen Filmen, die heute Mode geworden sind. Ihnen liegt die Tendenz zugrunde, das soziale Gewissen im Interesse eines traurigen Einzelschicksals mobil zu machen, damit es angesichts der grundsätzlichen Ungerechtigkeiten umso getroster weiterschlafen kann. – Von diesen Schwächen abgesehen, enthält der Film viel Gutes. Die Regie gibt eine Reihe erregender Bildausschnitte aus ungewohnten Perspektiven: Straßenbilder, symbolische Details. Ab und zu glückt ihr die Spiegelung des zerrissenen Lebens; so in der einen Bildfolge, die sämtliche Abenteuer des Geldscheins im Flug noch einmal durchjagt. Auch hat sie ein "reichassortiertes Lager" von Großstadttypen beschafft, das schon einen Begriff von Berlin geben kann. Bedeutende Darsteller sind aufgeboten worden. Homolka ist ein Bankdirektor von tschechischer Dämonie, Wallburg – denn er war unser – der liebenswerte Schwerenöter, als den wir ihn kennen. (Man hört ihn sich überhaspeln.) Genannt sei noch Sokoloff, der seinen Lumpensammler mit einer Bonhommie von gefährlicher Behendigkeit ausstattet.

Siegfried Kracauer: Werke. Band 6. Kleine Schriften zum Film. Herausgegeben von Inka Mülder-Bach. Unter Mitarbeit von Mirjam Wenzel und Sabine Biebl. 3 Teilbände. © Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. Alle Rechte vorbehalten. Verwendung mit freundlicher Genehmigung.

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