Ausstellung "Bewusste Halluzinationen. Der filmische Surrealismus" im Deutschen Filmmuseum

Vom 25. Juni bis 2. November 2014 präsentiert das Deutsche Filmmuseum in Frankfurt die Ausstellung "Bewusste Halluzinationen. Der filmische Surrealismus."

Zwei tote Esel auf einem Flügel, die Köpfe sanft auf die Pianotasten gebettet, ein von einem Dromedar gezogener Leichenwagen, dem ein – in Zeitlupe – hüpfender Trauerzug folgt, ein Chemiker, der hunderte Glaskolben mit einer dunklen Flüssigkeit füllt und sie danach in Scherben zerschellen lässt: Schlaglichter aus drei Werken des französischen filmischen Surrealismus (Luis Buñuels und Salvador Dalís "Un chien andalou", (FR 1929); René Clairs und Francis Picabas "Entr’Acte", (FR 1924); Germaine Dulacs "Lac Coquille et le Clergyman", (FR 1928). Mit der Faszination der frühen Surrealisten für das Kino und mit ihren künstlerischen und filmischen Experimenten setzt sich die aktuelle Ausstellung Bewusste Halluzinationen. Der filmische Surrealismus im Deutschen Filmmuseum Frankfurt auseinander. Sie nimmt die Entstehung des Surrealismus rund um die Veröffentlichung des Surrealistischen Manifests von André Breton 1924 in Paris und seine rasante internationale Verbreitung bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs im Film in den Fokus.

Einfluss der surrealistischen Geisteshaltung auf das filmische Werk
Die Ausstellung präsentiert die verschiedenen Facetten des filmischen Surrealismus in 13 Ländern und untersucht zum einen den Einfluss der surrealistischen Geisteshaltung auf das filmische Werk weltweit und zum anderen die Wirkung, die das Filmische als explizit surrealistische Ausdrucksform in den anderen Künsten entfaltet. Dabei ist Surrealismus und filmischer Surrealismus weder als Kunstbewegung, Stil oder Phase zu betrachten, sondern als "immer wieder aktualisierbares Potenzial" (Volker Roloff), das sich als solches auch noch im heutigen Filmschaffen mannigfaltig wiederfinden lässt. Großen Wert legt Kuratorin Stefanie Plappert dabei darauf, "die Wechselwirkungen zwischen Film und Kunst ebenso deutlich zu machen wie den Austausch zwischen der surrealistischen Gruppe in Frankreich und Künstlern in zahlreichen anderen Ländern weltweit".

Befreiung von den Normen der Feinde: Staat, Kirche, Kapitalismus
Dass die Surrealisten ungeheuer "ins Kino verliebt waren", beobachtete nicht nur der Filmkünstler und Buchautor Robert Short. Mit seinen formalen Möglichkeiten, den Montagen, Überblendungen, Doppelbelichtungen, mikroskopischen Aufnahmen, assoziativen Bildfolgen entsprach der Film als Ausdrucksform den Vorstellungen der Surrealistengruppe um Breton ungemein. Sie wollte Kunst an der Kontrolle der eigenen Vernunft vorbei schaffen. Die Surrealisten hofften, der filmische Bewusstseinsstrom, die Abfolge möglichst assoziativer, traumartiger Bilder könne Menschen Zugang zu ihrem eigenen Unterbewusstsein verschaffen. Ihr Ziel war die totale Befreiung des Geistes von den Normen der erklärten Feinde: Staat, Kirche, Kapitalismus. Das Kino als neu entstandenes, antibürgerliches Medium bot dabei reichlich Gelegenheit, zu schockieren und neue Sehgewohnheiten anzusprechen. Es hatte aus Sicht der Surrealisten großes Potenzial zur Revolution.

Im Mittelpunkt der nach Ländern unterteilten Ausstellung steht Frankreich als Keimzelle und Zentrum des Surrealismus der 1920er Jahre. Hier erwartet die Besucherinnen und Besucher die ungekürzte Projektion eines der bedeutendsten frühen surrealistische Filme: "Un chien andalou" (FR 1929), den Luis Buñuel gemeinsam mit Salvador Dalí realisierte. Damit schlägt die Schau einen inhaltlichen Bogen zu ihrem Kooperationspartner, dem Institut Mathildenhöhe in Darmstadt, das sich im Platanenhain zeitgleich ebenfalls mit dem Surrealismus beschäftigt: Der Stachel des Skorpions. Ein Cadavre Exquis nach Buñuels "L’Age d’or" heißt die Ausstellung dort, in der sich zeitgenössische Videokünstler mit Buñuels und Dalís zweitem Film "L’ Âge d’or" (1930) auseinandersetzen. Beide Ausstellungen zusammen bilden den Surrealismus-Sommer 2014 (surrealismus-sommer-2014.de), der ein umfangreiches Programm bietet: Seminare, Foto- und Video-Workshops, Konzerte, Podiumsgespräche und eine Filmreihe mit Stationen im gesamten Rhein-Main-Gebiet.

Die internationalen Wechselwirkungen des historischen filmischen Surrealismus weltweit, von Japan über Serbien bis Lateinamerika, werden in der Ausstellung mittels zahlreicher Filme und Filmausschnitte sowie dutzender Exponate erstmals dargestellt. Die Ausstellung kartografiert so die Genese des historischen filmischen Surrealismus und verdeutlicht anhand der Exponate seinen Einfluss auf die anderen Künste. Dieser äußerte sich etwa in "filmischen" Ausdrucksformen, die in Malerei und Literatur erprobt wurden: Collage, Cadavre Exquis, CinePoème – künstlerische Gestaltungsmittel also, die aus mehreren Teilen, in linearer oder nicht-linearer Abfolge, zufällig oder bewusst zusammengesetzt sind. Ein von Jacqueline Lamba, Yves Tanguy und André Breton gezeichnetes Cadavre Exquis einer Figur mit Löwenkopf und einer Schnecke als Fuß (Centre National des Arts Modernes Georges Pompidou, 1938) ist in der Ausstellung ebenso zu sehen wie ein Foto von Jindřich Štyrský, das ein Schaufenster mit einer Beinprothese zeigt und für das faszinierend Surreale im Alltag steht (Leihgabe aus dem Frankfurter Städel / erworben 2013 als Schenkung von Annette und Rudolf Kicken, aus dem Zyklus "Mann mit Scheuklappen", 1934). Ein Highlight-Exponat ist sicherlich das Original-Manuskript des ersten Surrealistischen Manifests aus dem Musée des Lettres et Manuscrits in Paris sowie das Original-Drehbuch zu Salvador Dalís "Babaouo" von 1932 (Universitätsbibliothek Heidelberg).

Surrealismus interaktiv
"Das Deutsche Filmmuseum fordert seine Besucher auf, selbst tätig zu werden und mit kreativen Beiträgen in das Thema Surrealismus einzutauchen", so Direktorin Claudia Dillmann. Der Alltag sei voller surrealer Elemente, widersprüchlicher Bilder und absurder Situationen: "Die Besucher/innen des Filmmuseums sind eingeladen, für diese Vorgänge ein besonderes Gespür zu entwickeln, sie zu entdecken, zu dokumentieren und mit anderen zu teilen", so Dillmann. Die Website bewusste-halluzinationen.de lädt dazu ein, selbst surrealistische Filme zu drehen (und sie beim Kurzfilmwettbewerb einzureichen) oder an Traumwelten erinnernde Fotomotive zu sammeln. Wer möchte, spielt online das beliebte und genuin surrealistische Papier-Falt- und Mal-Spiel "Cadavre Exquis" in digitaler Form und schreibt bis November zusammen mit der surrealistischen Web-Gemeinde an einer zufälligen Geschichte. Darüber hinaus kann man hier surrealistische Techniken wie die Frottage oder die Décalcomanie kennenlernen. Die Website wird so zu einem Schaufenster des visuellen Surrealismus in der Gegenwart.

Der Katalog versammelt die Ergebnisse der weltweiten Recherche nach surrealistischen Filmen in Bild und Text und stellt die Verbreitungswege des filmischen Surrealismus vor. Daneben setzen Kunst- und Filmwissenschaftler/innen in Aufsätzen die Filme in ihren zeitgeschichtlichen Kontext und fragen nach künstlerischen Wechselwirkungen der surrealistischen Aktivität weltweit. Der Katalog erscheint zweisprachig (deutsch / englisch).

Das Kino des Deutschen Filmmuseums gibt mit einer surrealistischen Filmreihe während der Laufzeit der Ausstellung einen Überblick über die Geschichte des filmischen Surrealismus. Neuere und zeitgenössische Filme (von Alejandro Jodorowsky über Dušan Makavejev bis David Lynch) machen deutlich, wie tiefgreifend die Einflussnahme des Surrealismus auf filmische Ideen und Ästhetik bis heute ist. Weitere surrealistische Filme sind im Programmkino Rex in Darmstadt und in der Caligari-Filmbühne Wiesbaden zu sehen.

Quelle: www.deutsches-filmmuseum.de