Meschugge
Meschugge
Martina Knoben, epd Film, Nr. 3, März 1999
Viel Feuer gleich zu Beginn, wuchtig werden die Titel auf die brennende Leinwand geschleudert. Hier wird nicht gekleckert, soviel ist gleich klar, von Anfang an spürt man den Wunsch der Autoren, großes Kino zu machen. Produziert wurde "Meschugge" von X-Filme, die zuletzt "Lola rennt" ins Kino gebracht hatten. "Internationales Kino aus Deutschland" soll auch "Meschugge" sein, so steht es im Presseheft; dazu passt, dass Dani Levy in Englisch und zu großen Teilen in Amerika gedreht hat. Und keine seichte Komödie, kein Popcorn-Kino ist das: Es geht um eine große Liebe, Schuld und Schicksal und das Erbe des Dritten Reiches. CinemaScope ist da gerade das richtige Format.
Schon "Stille Nacht", Levys letzter Film, kam großspurig daher: als Kammerspiel im CinemaScope-Format; ein sympathischer Befreiungsschlag gegen die Mittelmäßigkeit deutscher Komödien. In Meschugge aber standen die Ambitionen des Regisseurs (und seine Eitelkeit) dem Film vor allem im Wege: Mehr Bescheidenheit, vor allem auch mehr Distanz des Regisseurs Levy zu seinem Hauptdarsteller Levy hätten dem Film gut getan.
Die Geschichte ist kompliziert und kommt nur mühsam in Gang, auch wenn die Bilder gleich Tempo machen. Der Film beginnt in Deutschland, mit einem Brandanschlag auf die Fabrik eines jüdischen Schokoladenfabrikanten. Lena (Maria Schrader) ist aus New York nach Deutschland gekommen, um ihrem Großvater beizustehen. Mit Neo-Nazis, der Stimmung in Deutschland aber hält sich Meschugge nicht auf. Levy und seine Co-Autorin Maria Schrader, die die weibliche Hauptrolle spielt, müssen eine Menge schicksalhafter Fügungen erfinden, damit ihre Liebesgeschichte beginnen kann.
Ruth Fish, eine deutschstämmige Jüdin, liest einen Bericht über den Anschlag in einer New Yorker Zeitung und glaubt, im Bild des Schokoladenfabrikanten ihren vermissten Vater zu erkennen. Da ist Lena schon wieder auf dem Rückweg nach Amerika; ihre Mutter ist mitgekommen, um in New York ihren Geburtstag zu feiern. Auch Ruth Fish hat Geburtstag und ihre ganze Familie eingeladen. Aber die Jubilarin kommt nicht – Lena findet sie schwerverletzt in dem Hotel, in dem sie ihre Mutter besuchen will. Als sie die Sterbende ins Krankenhaus begleitet, trifft sie dort David (Dani Levy), den Sohn von Ruth Fish. Die beiden fühlen sich sofort zueinander hingezogen.
Schon die kurze Inhaltsangabe des Anfangs lässt die Anstrengung ahnen, die in diesem Film steckt, nichts entwickelt sich hier "wie von selbst". Auch die Figuren haben kaum Zeit, sich aus sich selbst heraus zu entwickeln, zuviel muss passieren, damit die Geschichte überhaupt vorankommt. Ein düsteres Familiengeheimnis verbindet David und Lena, soviel ist bald klar, je näher sich die beiden kommen, desto mehr Trennendes entdecken sie auch. Eine kurze Leine ist dieses Schicksal, an der die Figuren hilflos zappeln. Hat Lenas Mutter Davids Mutter umgebracht? Wieso haben die beiden Frauen das gleiche Geburtsdatum? Lena, die sich doch so bindungslos fühlte, die es genossen hatte, von ihrem Liebhaber kaum mehr als den Namen zu wissen, muss erkennen, wie verstrickt sie ist in (deutsche) Geschichte, die natürlich vor allem auch Familiengeschichte ist. Ein Bogen spannt sich, von der alten zur neuen Welt, und von einer Liebesgeschichte zu einer Geschichte, in der es um die Überführung eines Naziverbrechers geht.
Das Gewicht dieser Erzählung, die Last deutscher Vergangenheit, haben Levy und sein langjähriger Kameramann Carl F. Koschnick in Bewegung umgesetzt: Reißschwenks. Handkameraeinstellungen, Unschärfen und kurze Schnitte lassen die Bilder nicht zur Ruhe kommen. Ein Strudel entsteht, das passt zur Bewegtheit der Figuren – manchmal aber sehen diese Bilder auch nur hektisch und unnötig "modern" aus.
Der Mut der Filmemacher, sich selbst als Akteure einer historisch so schwergewichtigen Geschichte zu inszenieren, aber beeindruckt. "Wir hatten niemals das Gefühl, eine politische oder geschichtliche Mission zu erfüllen", hat Levy über seinen Film gesagt. Und tatsächlich geht es ihm mehr noch um die vermeintliche Bindungslosigkeit seiner Figuren, die vermeintliche Leichtigkeit des Seins, die er wie Tom Tykwer in "Winterschläfer" als Illusion entlarvt.
Die Versöhnung der Enkelgeneration, in einer fast bedingungslosen Liebe, aber ist so laut und groß inszeniert, dass man sich über die Anmaßung ärgern und das Selbstbewusstsein bewundern muss. Chuzpe möchte man das nennen.