Wer wenn nicht wir

Deutschland 2010/2011 Spielfilm

Summary

If Not Us, Who

West Germany in the early 1960s. The country is quiet – for the time being. Bernward Vesper takes up his studies in Tübingen where he is attending Walter Jens’ seminar on rhetoric. Bernward wants to be a writer and spends his nights bashing the keys of a typewriter. At the same time he is keen to defend his father, the poet Will Vesper who was celebrated by the Nazis as a proponent of their ‘Blood and Soil’ ideology. The land where Bernward lives is being suffocated by its past. The war has only been over for fifteen years, old Nazis are back in positions of power, and nobody is prepared to talk about war crimes; the Republic is standing to attention.

One day Bernward meets Gudrun Ensslin and her friend Dörte. Before long, the three friends are living together in a ménage à trois. But their three-way relationship doesn’t last long. It soon transpires that Gudrun and Bernward are twin souls. This marks the beginning of an extreme relationship that is unquestioning and excessive, a love story that goes beyond the threshold of pain.

Setting out together to conquer the world, the pair arrives in West Berlin in 1964 where they become part of the left-wing bo-ho set. When the Social Democratic Party agrees to form a grand coalition with the Christian Democratic Union, Bernward and Gudrun are not the only ones who decide to join the Extraparliamentary Opposition movement. Gudrun and Bernward become part of a social and political upheaval that soon takes hold around the globe: liberation movements, student protests and the Black Panther movement in the USA; drugs and rock ‘n’ roll. The course of history is inexorable but, at the time, for a moment, it looks as if it might be possible to change its path. If not us, who? And when, if not now? And then another man, Andreas Baader, appears on the scene. Here is someone who is more unswerving, more radical and resolved than Bernward. Before long, Andreas, Gudrun and Bernward find themselves caught up in the centrifugal forces of history – and they cannot control them.

Source: 61. Internationale Filmfestspiele Berlin (Catalogue)

 

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Heinz17herne
Heinz17herne
Der erste Spielfilm des vielfach preisgekrönten Dokumentaristen Andres Veiel nach „Vesper, Ennslin, Baader - Urszenen des deutschen Terrorismus“ von Gerd Koenen beginnt mit einer Szene, die aus Michael Hanekes „Das weiße Band“ stammen könnte: Eine Katze im Garten der Vespers, das Lieblingstier des kleinen Bernward, umschleicht ein Vogelnest – mit Erfolg. Schnitt. Eiskalte Atmosphäre am Mittagstisch mit den Eltern Rose und Will Vesper. Der Vater zwingt seinen Sohn, die Katze in einen engen Kaninchenstall einzusperren. Hilflos-traurige Blicke zum Dienstmädchen. Schnitt. Bernward hört einen Schuss und sieht aus dem Fenster: Sein Vater hat die Katze erschossen. Und erklärt ihm später in seinem Arbeitszimmer den Grund: „Sie stammen aus dem Osten, sie sind die Juden unter den Tieren.“

„Wer wenn nicht wir“, Andres Veiels auf der 61. Berlinale mit sehr unterschiedlichen Reaktionen uraufgeführter Blick auf die Vorgeschichte der RAF-Terroristen, beginnt mit einem genauen Porträt des Wirtschaftswunder-Deutschland Anfang der Sechziger Jahre. Bernward, Sohn des NS-Schriftstellers Will Vesper, der einst die Rede bei der zentralen „Feier“ zum Auftakt der Bücherverbrennungen in Dresden hielt und 1942 in einem Gedicht Adolf Hitler huldigte als „Herzog des Reiches, wie wir es meinen, bist du schon lange im Herzen der Deinen“, nimmt in Tübingen ein Literaturstudium auf.

„Ich schreibe so, wie wenn man mit der Faust der Gesellschaft in die Fresse haut“: Bernward will in die Fußstapfen seines Vaters treten und Schriftsteller werden. Noch verteidigt er dessen von den Nazis gefeierte Blut-und-Boden-Lyrik, träumt sogar davon, 15 Jahre nach dem Untergang des „Tausendjährigen Reiches“ eine vielbändige Gesamtausgabe der Werke Will Vespers herauszubringen. Wofür er aber selbst die in Burschenschaften und Hilfsverbänden organisierten Alt-Faschisten nicht wirklich begeistern kann.

Als Student des damals schon berühmten Gelehrten Walter Jens, der sehr wohl die Begabung Bernwards erkannt hat und ihn zu Privataudienzen nicht nur empfängt, sondern sogar bekocht, kommt er in Kontakt mit jungen Autoren und Intellektuellen, die sich zur „Gruppe 47“ zusammengeschlossen haben und auch in der Literatur radikal mit der deutschen Vergangenheit brechen wollen. Ein weiterer neuer, vergleichsweise sehr viel politischerer Kreis erschließt sich Bernward, als seine Freundin Dörte Wellheim für einige Tage in den sonnigen Süden verreist und sich ihre Freundin Gudrun Ensslin um den attraktiven, wenn auch etwas verrückten Kommilitonen kümmert.

„Ich will dich so lieben, dass du nicht mehr zu einer anderen Frau gehen musst“: Die sich nach Dörtes Rückkehr kurzerhand anbahnende ménage á trois hält nicht lange, sie macht den Weg frei für eine extreme Liebesbeziehung, die vielfachen ökonomischen und politischen Belastungen ausgesetzt ist. Bernward und Gudrun werden Kleinverleger und scheitern naturgemäß an dem wahnwitzigen Spagat, Will Vespers völkische Schriften und gleichzeitig sozialistische Manifeste gegen Atomwaffen zu edieren.

„Bei ihm verwirklicht sich die Liebe erst durch den Tod. Durch Gewalt, durch Mord wird es erst möglich, dass Sexualität gelebt wird“: Als Gudrun ein Stipendium für eine Doktorarbeit über Hans Henny Jahnn erhält, ziehen beide 1964 in die Frontstadt West-Berlin, wo das „Gruppe 47“-Mitglied Klaus Roehler sie in die linke Bohème einführt. Zwei Jahre später kann ihr großes Vorbild Willy Brandt, dessen Kanzlerkandidatur sie bei der Bundestagswahl 1965 noch öffentlich unterstützt haben, nicht verhindern, dass das ehemalige NSDAP-Mitglied Kurt Georg Kiesinger Kanzler einer Großen Koalition wird. Die Sozialdemokratie ist für die jungen Idealisten kein Synonym mehr für einen politischen Neuanfang.

Wo über Kriegsverbrechen der Deutschen geschwiegen wird und alte Nazis wieder Karriere machen können, radikalisiert sich die zum Aufbruch in eine neue Freiheit drängende Jugend nicht nur in der Mauerstadt. Gudrun und Bernward schließen sich der Apo-Bewegung um Rainer Langhans und Dieter Kunzelmann an, die einen Bombenanschlag auf die Gedächtniskirche planen, um das „knisternde Vietnamgefühl“, die Bilder vom Einsatz des verheerenden Napalm sind um die Welt gegangen, nach Deutschland zu importieren. Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt, Studentenproteste, Black Power in den USA – das Rad der Geschichte kommt mächtig in Bewegung. Und auch Gudrun und Bernward springen auf, verlegen die Schriften des Black Panther-Vordenkers Stokely Carmichael: Wer, wenn nicht wir? Und: Wann, wenn nicht jetzt?

Gudrun wird schwanger, eine konventionell-bürgerliche Verlobungszeremonie bringt die beiden Familien Vesper und Ensslin zusammen, aber es reicht nur für eine kurze Zeit des Atemholens: Angesichts des Schah-Besuches und seiner blutigen Folgen will Gudrun Veränderung nicht mehr nur verbal fordern, sie will handeln – und findet in Andreas Baader einen bedingungslosen Mitstreiter. Die Spirale der Gewalt dreht sich immer schneller: Kaufhaus-Brandstiftung, Dutschke-Attentat. „Jetzt gibt’s Krieg“...

Andres Veiel versucht einen möglichst authentischen, nicht durch die Bild-Ikonen der RAF-Terroristen verstellten Blick auf die 1960er Jahre zu werfen und Zeitgeschichte, immer wieder in schwarz-weißen Dokfilm-Aufnahmen in den Spielfilm geschnitten, unmittelbar mit den Biographien der drei Protagonisten zu verknüpfen. Die damit verbundene Entmythisierung des Terroristen-Idols Gudrun Ensslin ist dem Regisseur, der nach dem Studium von Quellen wie ihren Briefen und Tagebuchaufzeichnungen zu einem dem bisherigen öffentlichen Bild völlig widersprechenden Eindruck gekommen ist, auch prompt zum Vorwurf gemacht worden. Wie auch die im Übrigen ebenso biographisch belegte Verbindung Andreas Baaders zur Schwulen- und Transenszene.

„Wer wenn nicht wir“, am 17. Juli 2014 in der ARD erstausgestrahlt, ist unbequem, weil er mit Vor-Urteilen, zu denen natürlich auch die grandiosen Bilder von Uli Edels Action-Streifen „Der Baader Meinhof Komplex“ aus dem Jahr 2008 mit Johanna Wokalek als Gudrun Ensslin und Moritz Bleibtreu als Andreas Baader gehören, aufräumt. Andererseits kann sein viel leiserer, gründlicherer Film mit diesen Bildern – und Schauspielern - nur schwerlich konkurrieren. Was besonders auf August Diehl zutrifft, der mit Bernward Vesper die Hauptfigur verkörpert – und das seltsam emotionslos. Aber auch auf Alexander Fehling, der die offenbar allseitige, nicht nur auf die RAF-Frauen beschränkte Faszination Baaders, die auch eine ganz körperliche gewesen sein muss, nicht 'rüberbringt. Lena Lauzemis dagegen muss als „die“ Entdeckung des Films bezeichnet werden, obwohl sie in große Fußstapfen zu treten hatte - in die des Weltstars Barbara Sukowa, welche 1981 in Margarethe von Trottas Film „Die bleierne Zeit“ Gudrun Ensslin verkörpert hatte.

Pitt Herrmann

Credits

Director

Screenplay

Director of photography

Cast

Production company

Producer

All Credits

Director

Assistant director

Script supervisor

Screenplay

based on

Translation

Director of photography

Assistant camera

Steadycam operator

Lighting design

Key grip

Production design

Construction manager

Make-up artist

Sound

Casting

Cast

Production company

Producer

Line producer

Unit production manager

Production coordinator

Original distributor

Shoot

    • 13.04.2010 - 16.06.2010: Schleswig-Holstein, Berlin, Tübingen, Schwarzwald
Duration:
3444 m, 126 min
Format:
35mm, 1:2,35
Video/Audio:
Farbe, Dolby Digital
Censorship/Age rating:

FSK-Prüfung (DE): 01.03.2011, 126718, ab 12 Jahre / feiertagsfrei

Screening:

Uraufführung (DE): 17.02.2011, Berlin, IFF - Wettbewerb;
Kinostart (DE): 10.03.2011

Titles

  • Originaltitel (DE) Wer wenn nicht wir
  • Schreibvariante (DE) Wer, wenn nicht wir

Versions

Original

Duration:
3444 m, 126 min
Format:
35mm, 1:2,35
Video/Audio:
Farbe, Dolby Digital
Censorship/Age rating:

FSK-Prüfung (DE): 01.03.2011, 126718, ab 12 Jahre / feiertagsfrei

Screening:

Uraufführung (DE): 17.02.2011, Berlin, IFF - Wettbewerb;
Kinostart (DE): 10.03.2011

Awards

Hessischer Filmpreis 2011
  • Bester Spielfilm
Deutscher Filmpreis 2011
  • Lola in Bronze, Bester Spielfilm
IFF Berlin 2011
  • Preis der Gilde der deutschen Filmkunsttheater
  • Alfred-Bauer-Preis
FBW 2011
  • Prädikat: besonders wertvoll