Summary
Nadja's body is broken. Her toes are bleeding and she has eczema on her neck that looks like bruises. All the hard work she has put in as a ballerina is making itself felt and nowadays she spends her time teaching young girls how to dance. She was still a girl herself when she had a son, Mario, whom she left with her mother. Mario spends his time training his body every day at the gym. He has not seen his mother for a very long time. It is said that Nadja does not have a motherly bone in her body. But then, one day, she turns up on his doorstep, wanting to take an interest in her son. When she sees his body, she wants to touch him. And does so, more and more often.
There are no limits in Isabelle Stever's new film. Nor are there any taboos. She does not judge, either. Just a mother and a son who gradually become closer, physically. Sarah Nevada Grether and Emil von Schönfels dare to do something that few actors are asked to do, and is seldom shown. Capturing their bodies in the half-light, out of focus, from above, and behind, the camera finds a visual language of disturbing semantics. Everything about this film is uncompromising and radical. Everything is an exception. And, in the end, what remains is the body of a mother.
Source: 72. Internationale Filmfestspiele Berlin (Catalogue)
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„Nur der kann nicht, der es zulässt nicht zu können“ sagt Nadja mit mitleidloser Stimme zu einem schwächelnden Schützling. Viele Jahre war sie eine berühmte Balletttänzerin, hat von Kindheit an gnadenlos ihren Körper trainiert. Der ihr nun nicht mehr gehorcht, weshalb sie auf die Hilfe der mit ihr befreundeten Apothekerin Annegret angewiesen ist. Nun ist Nadja als Ballettlehrerin tätig, eine für sie unbefriedigende Arbeit zum reinen Broterwerb, der sie im rundum verspiegelten Saal ständig mit den eigenen körperlichen Unzulänglichkeiten konfrontiert. Sie verschweigt den jungen Mädchen ihre eigenen leidvollen Erfahrungen mit blutenden Zehen in den Ballettschuhen und Ausschlägen ihrer auf psychische Probleme sofort reagierenden Haut.
Daniel, ihr Freund, huscht im Hintergrund nur kurz durchs Bild, als Nadja Vorbereitungen trifft, zum Geburtstag ihrer Mutter Hanne besuchsweise in ihren Heimatort irgendwo in der Provinz zurückzukehren. Im Zugabteil dominiert die Skulptur eines hockenden Windhundes das Bild, die sich später als Vase herausstellt: mit unkonventionellen Kameraeinstellungen erzeugt die Regisseurin Isabelle Stever in ihrer nach „Gisela“ (2005) und „Glückliche Fügung“ (2010) dritten Verfilmung eines Romans von Anke Stelling eine nervöse Atmosphäre der Unbestimmtheit.
In Hannes Wohnung trifft sie offenbar erstmals seit geraumer Zeit auf ihren Sohn Mario, den sie trotz regelmäßiger Einnahme der „Pille“ als Teenager bekommen und nach der Geburt bei ihrer Mutter hat aufwachsen lassen, um sich ganz dem Ballett widmen zu können. Die beiden stehen sich als Fremde gegenüber - und fühlen doch vom ersten Moment an eine starke körperliche Anziehungskraft.
Mario, der als Aushilfstrainer in einem Fitnessstudio arbeitet und sehr auf den eigenen Körper achtet, was ihn zum Objekt der Begierde nicht nur seiner jungen Kollegin am Empfang macht, verbessert sein Einkommen mit schon sehr abartigen, geradezu marktschreierisch begleiteten Penis-Wettbewerben. Zum neuesten Contest lässt er sich von seiner Mutter begleiten, die er anschließend auch in eine Disco mitnimmt. Die beiden tanzen selbstverloren, bevor sie sich am frühen Morgen in sein Zimmer schleichen. Wo sie anderntags Marios Bett gemeinsam nutzen: „Darf ich mal anfassen?“, fragt Nadja. Mario nickt: „Mach ruhig.“ Und ab geht die Post bei der „Mäusekönigin“ und der noch schulpflichtigen „kleinen Katze“, die ihr leidenschaftliches Verhältnis bald in Nadjas Berliner Wohnung fortsetzen…
„Grand Jeté“ erzählt die Geschichte einer inzestuösen Mutter-Sohn-Beziehung aus der Perspektive der traumatisierten Nadja, die durch das extreme Balletttraining nicht nur ihre Kindheit verpasst hat, sondern als Spitzentänzerin nahtlos in ein weiteres Karriere-Korsett gezwungen worden ist. Dem sie nun als Ballettlehrerin nicht wirklich entfliehen kann, weshalb sie sich im verzweifelten Versuch einer Selbstbefreiung in einen jungen Mann verliebt, der souverän auftritt in seiner unversehrten und ungehemmt ausgelebten Körperlichkeit. Den sie als Spiegel ihres eigenen Idealzustandes wahrnimmt – und nicht als eigen Fleisch und Blut.
Ob Nadjas späte erneute Mutterschaft zu ihrer Befreiung führt, mag bezweifelt werden. Mario aber, der ihr geholfen hat, sich selbst zu finden, kann zu neuen Ufern aufbrechen. In der letzten Einstellung dieser Koproduktion mit dem Westdeutschen Rundfunk macht er Rast auf einem Autobahn-Parkplatz.
„Grand Jeté“ (großes Werfen) ist ein Begriff aus der französischen Ballettsprache. Gemeint ist ein großer Sprung von einem Bein auf das andere, wobei in der Luft mehrere Positionen möglich sind wie Arabesque oder Attitude. Der mutige Film lebt von der herausragenden Protagonistin Sarah Nevada Grether. Die kalifornische Tänzerin, die bis 2006 der Compagnie des Stuttgarter Balletts angehörte und nun in Berlin lebt, kann auf eigene berufliche und persönliche Erfahrungen zurückblicken bei ihrer ersten Spielfilm-Hauptrolle. An ihrer Seite der 20-jährige gebürtige Berliner Emil von Schönfels, der bereits über reichlich Bühnen- (Deutsches Theater Berlin) und Leinwand-Erfahrung verfügt und derzeit in Leipzig studiert.
Die Romanautorin Anke Stelling im Little Dream-Presseheft: „Schon weibliches Begehren hat es bekanntlich schwer in unserer Kultur. Und mütterliches Begehren hat sich wenn, dann doch ausschließlich auf die Kinder zu richten; also nein, natürlich nicht dieses Begehren. So sehr eine Mutter nur noch Körper ist, so wenig darf sie ihn am Ende noch haben. Ein Umstand, den sie mit Ballerinas teilt. Innere und äußere Zurichtung, wer gehört wem, wer dient, wer darbt – und was passiert, wenn sich das plötzlich ändert?“
Pitt Herrmann