Abschiedsdisco

DDR 1989/1990 Spielfilm

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Heinz17herne
Heinz17herne
Ein mächtiger Baum nach dem anderen wird gefällt, Motorsägen machen einen Höllenlärm. Schnitt. Kaum leiser geht es in der Kellerdisco des (fiktiven) Dorfes Wussina (wendisch für „Wildnis“) zu unterhalb der bereits verwaisten Poststelle. Bis jemand den Strom abgedreht hat zum dröhnenden Pfeifkonzert der Jugend aus einem augenscheinlich großen Einzugsgebiet. „Hier ist Schluss. Aus!“: Robert Handschuh ist für die „Vorfeld-Räumung“ der Dörfer zuständig, die demnächst unter die gewaltigen Braunkohle-Schaufelräder kommen. Und zeigt durchaus Empathie für die Opfer des freilich als ökonomisch notwendig erachteten „technologischen Prozesses“.

Im dreißig Kilometer entfernten Bürgstädt stellt die Klasse 9b auf dem Friedhof Kerzen zur Beerdigung ihrer Mitschülerin Silke auf, die im Urlaub tödlich verunglückt ist: Sie war nicht angeschnallt, als sich das Fahrzeug, in dem auch ihre Eltern saßen, auf der Urlaubsfahrt überschlug. Nur einer verfolgt die Zeremonie von fern, legt den üppigen Blumenstrauß an einer Engelsfigur nieder: Henning Handschuh. Selbst ein halbes Jahr später hat er den Tod seiner ersten großen Liebe nicht verkraftet, deren Bild er ständig vor Augen hat. Weder seine Mutter noch seine Klassenkameraden können den 15-Jährigen trösten, auch die sehr um ihn bemühte Dixie nicht.

Henning will nicht länger mit seiner Clique abhängen, sondern „was richtiges, sinnvolles“ machen. Weshalb er dem Zweitakter-Gestank auf der engen Allee trotzend nach Wussina radelt zu seinem stets nur „Opa“ genannten Urgroßvater Johann Lebrecht Rauhut, dem Kantor der Kirchengemeinde. Der bis zuletzt dem Altersheim entgehen und daher in der Lehrerwohnung „seines“ Schulhauses unweit der Abbruchkante des Tagebaus ausharren will. Einen Zwischenstopp legt Henning bei Dixies Eltern ein, um beim Dachausbau zu helfen. Weshalb deren Tochter nun weiß, wohin er „ausgerissen“ ist.

„Bergbauschutzgebiet. Betreten verboten“: Ein kauziger Alter gibt Fröschen, deren Tümpel durch den Braunkohlen-Abbau ausgetrocknet sind, in seiner skurril-liebenswerten Menagerie im alten Bahnwärterhaus eine neue Heimat wie auch von den vertriebenen Bewohnern offenbar vergessenen Katzen, Hunden und Ziegen. Er borgt sich von Henning ein Ventil für seinen Fahrradschlauch – Mangelware in der DDR. Klatschmohn blüht in den Gassen des beinahe menschenleeren Ortes und setzt farbliche Akzente zu den dunklen Fensterhöhlen verlassener Häuser. Die Kirchenglocke liegt schon abgebaut am Boden – und die letzten Kirchenfenster wirft ein Junge ein, der sich als Basti (Sebastian Weiß) herausstellt. Sein Vater sammelt verbotenerweise Altmetall und andere verwertbare Rohstoffe wie Birkenholz, dass sich besonders gut für Kamine eignet. Weshalb er sich vor nach dem Rechten sehenden Volkspolizisten verstecken muss.

Auf der einen Seite eine gigantische Landschaftszerstörung, auf der anderen Seite unvermutetes Leben in Ruinen: Henning beobachtet, wie der als Frauenheld verschriene Franz (Gert-Hartmut Schreier) mit der attraktiven Karin Sex unter freiem Himmel eines abgeräumten Dachstuhls hat. Und trifft, nachdem er seinem Vater beim Abbau des Ortsschildes behilflich war, auf dem zerstörten Friedhof mit Rita Schober (Annelise Matschulat) eine alte und offenbar geistig verwirrte Witwe, die ebenfalls nicht der Braunkohle weichen will, obwohl auch das Grab ihres Gatten bereits umgebettet worden ist. „Einen alten Baum verpflanzt man nicht“: Hennings „Opa“ kümmert sich rührend um die latent Selbstmordgefährdete. Als Henning am Postgebäude vorüberradelt, dringen harte Beats aus dem Keller: Magda, Maschinistin auf der Abraumbrücke, hat bis zuletzt die Dorfdisco betrieben. Und macht mit dem Strom aus einem noch nicht abgestellten Erdkabel einfach weiter, auch wenn keine Gäste mehr vorbeikommen. Franz war ihr letzter Gast – und Lover, das ist schon lange her. Weshalb sie nicht abgeneigt wäre, es mit dem um einiges jüngeren Henning zu versuchen. Doch dann steht plötzlich Dixie samt Fahrrad vor dem Kellerschuppen...

Rolf Losanskys Szenarium nach der gleichnamigen Erzählung von Joachim Nowotny um das Tabuthema Umweltzerstörung in einem sorbischen Dorf, das der Braunkohle, dem wichtigsten Energielieferanten des Industrielandes DDR, weichen soll, war 1983 verboten und jahrelang blockiert worden. Erst nach entscheidenden Änderungen, so begegnet Henning im Dorf nicht nur abgestumpften Losern sondern auch Erwachsenen, die sich für eine Sache einsetzen wie sein Vater für den Erhalt der noch unzerstörten Landschaft, konnte es 1989 realisiert werden. Gedreht wurde vor allem in Werbelin bei Delitzsch, einem Ort, der 1992 unter großem Protest der Bevölkerung der Braunkohle zum Opfer fiel. Losansky gewann dafür neben dem Laiendarsteller Holger Kubisch, der danach kein weiteres Mal vor einer Kamera stand, so bekannte Schauspieler wie Jaecki Schwarz, Wolfgang Winkler und Horst Schulze.

Doch als „Abschiedsdisco“ uraufgeführt wurde, hatten die Filmfans in der so aufregenden wie fordernden Wende-Zeit andere Probleme, sodass das SED-Organ „Neues Deutschland“ (am 12. April 1990) von „spärlichem Applaus zur Premiere“ schreiben konnte. Dabei schließt der erstmals am 29. Mai 1996 vom Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg (ORB) ausgestrahlte Neunzigminüter mit einer Metapher, die auf einen Martin Luther zugeschriebenen Spruch verweist: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch mein Apfelbäumchen pflanzen“. Die Pflanzaktion nehmen Henning und Dixie unmittelbar am alten Bahnwärterhäuschen vor.

Pitt Herrmann

Credits

All Credits

Director

Screenplay

Scenario

Script editor

Director of photography

Production design

Costume design

Editing

Unit production manager

Original distributor

Duration:
2475 m, 91 min
Format:
35mm, 1:1,66
Video/Audio:
Orwocolor, Ton
Screening:

Uraufführung (DD): 05.04.1990, Berlin, International

Titles

  • Originaltitel (DD) Abschiedsdisco

Versions

Original

Duration:
2475 m, 91 min
Format:
35mm, 1:1,66
Video/Audio:
Orwocolor, Ton
Screening:

Uraufführung (DD): 05.04.1990, Berlin, International