Inhalt
Ein privates Lungensanatorium um 1950 in der DDR. Ein junger Volkspolizist und ein junger Vikar teilen sich ein Krankenzimmer. Der eine trällert seine Kampflieder und liest im Kommunistischen Manifest, der andere bereitet sich laut auf eine Predigt vor. Über den Betten hängen Stalinbild bzw. Christus mit der Dornenkrone. Die vielen kontroversen Diskussionen fördern schließlich viel gemeinsames humanistisches Gedankengut zutage. Josef, dem Polizisten geht es immer schlechter, die Medikamente schlagen nicht an. Hubert hingegen erholt sich zusehends. Er verzichtet für Josef auf die über die Kirche besorgten wirksameren Medikamente aus dem Westen.
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Hubertus Koschenz dagegen ist evangelischer Vikar, dessen Familie aufgrund ihres christlichen Glaubens sehr unter der sowjetischen Besatzungsmacht und später unter dem noch jungen SED-Regime gelitten hat. Er weiß, dass Josef ihn nicht für seine Sache gewinnen und er ihn nicht missionieren kann und schlägt daher „Waffenstillstand“ vor. Dieser Burgfrieden nimmt jedoch mehr als nur skurrile Züge an: Während der eine ein Stalin-Porträt über seinem Bett befestigt, Marx und Lenin liest und schon morgens beim Rasieren die „Internationale“ intoniert, hängt beim anderen Jesus Christus am Kreuz über seiner Schlafstatt, liest jener die Bibel und singt noch vor dem Frühstück „Eine feste Burg ist unser Gott“. Heiliger will den „Pfaffen“ nicht als Zimmergenossen und wird beim Chefarzt vorstellig: „Das geht doch nicht gut, das gibt doch Mord und Totschlag.“
Bei Dr. Stülpmann gerät Genosse Josef jedoch an die falsche Adresse. Für den charismatischen Mediziner vom alten Schlage, Chefarzt in Hohenfels seit 17 Jahren, ist das Sanatorium seine Lebensaufgabe, und die hat er sich weder von den Nationalsozialisten noch von den Kommunisten nehmen lassen. Was ihn, wie er seinem jungen Gegenüber freimütig bekennt, zu manchen Kompromissen zwang („PG seit 1936“) und wohl auch noch zwingen wird. Und zur Erkenntnis gebracht hat: „Wir leben auf einer Erde“. Weshalb er von Heiliger Reife, Takt und Toleranz über die antagonistischen Widersprüche hinweg fordert.
Auch die resolute Oberschwester Walburga ist bemüht, die beiden Kampfhähne zu trennen, schon aus gesundheitlichen Gründen. Denn besonders Heiliger sieht partout nicht ein, dass er „rumsitzen und Däumchen drehen“ muss, wenn er als Geheilter das Sanatorium wieder verlassen will. So arrangieren sich die beiden in den eigenen vier Wänden notdürftig, um dafür im Sanatorium umso mehr zu agitieren: Der eine mit Parteiversammlungen und Wahlaufrufen für die Nationale Front, der andere mit Bibelstunden und Gottesdiensten. Und draußen auf der Terrasse ist der Streit um die Rundfunkhoheit entbrannt: Rundfunk im amerikanischen Sektor (RIAS) versus Sender Leipzig.
Jeder versucht, seine „Truppen“ in Stellung zu bringen. So positioniert Heiliger den ältesten Patienten, Sibius, auf die Liege nächst dem Radio, um die „konterrevolutionären“ Übertragungen von Adenauer-Reden aus dem Bonner Bundeshaus zu unterbinden. Dabei verlaufen die „Fronten“ so gradlinig nicht. Heiliger etwa dient sich der „Faulenzer“ Jochen durch kleinere Gefälligkeiten wie die heimliche Bier-Beschaffung an, während sich Koschenz kaum der Umarmung des Unternehmers Truvelknecht erwehren kann, der auf den Sieg des Kapitalismus hofft und im anderen Fall in den Westen abhauen will.
Das Weihnachtsfest 1950 gehört ganz Vikar Koschenz, der den Auftrag erhält, die Neujahrspredigt in der Ortskirche zu halten. Die diktiert er in der Silvesternacht ausgerechnet dem überzeugten Atheisten Heiliger in dessen Schreibmaschine, was tragische Folgen hat: Beide verpassen die Fete zum Neujahrswechsel und damit die letzte Nacht von Sonja Kubanek. Das schwerkranke junge Mädchen, die Tischdame von Hubertus, hat die Nähe zu beiden gesucht, aber bei keinem die so ersehnte menschliche Wärme gefunden. Der bereits liierte Vikar hat ihre Annäherungsversuche als schlichte Anmache missverstanden und entsprechend zurückgewiesen, während der marxistische Menschheitsbeglücker den Wald vor Bäumen nicht gesehen und lieber Parteiversammlungen abgehalten hat, als sich um die eine verlangende Seele zu bemühen.
Am Ende kann Heiliger als geheilt entlassen werden. Ein Befund, der sich auch auf seine Seele bezieht. Hat er doch nicht nur gelernt, Achtung zu haben vor der Haltung des Zimmergenossen unter dem Marterlkreuz, sondern auch im Nachhinein erfahren, was christliche Nächstenliebe ist: Koschenz hat zu seinen Gunsten auf ein neues, teures amerikanisches Medikament verzichtet, das der Heilige Stuhl über die Schweiz für den Vikar besorgt hatte.
Das Bibelzitat „Einer trage des anderen Last“ könnte auch aus dem Kommunistischen Manifest stammen: Dies ist die Quintessenz von Lothar Warnekes erfolgreichsten und zugleich letzten Film für die Defa. Der, in Schwarzweiß-Sequenzen, wie ein kommunistischer Propagandastreifen beginnt mit Bildern von kriegszerstörten deutschen Städten, vom Wiederaufbau der Trümmerfrauen und der sozialistischen Utopie des neugegründeten Arbeiter- und Bauernstaates DDR, die auch notfalls mit Waffengewalt verteidigt werden muss.
Die Realität hatte die Utopie der 1950er Jahre freilich längst eingeholt, als der bis in kleinste Episodenrollen hochkarätig besetzte Film im Februar 1988 als offizieller DDR-Beitrag im Wettbewerb der 38. Berlinale gezeigt, mit dem „Silbernen Bären“ für Manfred Möck und Jörg Pose als beste Schauspieler sowie dem Publikumspreis der „Morgenpost“-Leserjury ausgezeichnet und für den European Film Award nominiert wurde. Mehr als fünfzehn Jahre dauerte das Ringen um das von Wolfgang Held stammende Szenarium, das die Regisseurin Iris Gusner bereits 1973 verfilmen wollte. Die Realisation war jedoch erst nach einer ideologischen Öffnung der SED unter Erich Honecker unter dem Stichwort „friedliche Koexistenz mit der Kirche im Sozialismus“ möglich. Und zwar durch einen Experten: Lothar Warneke hatte Ende der 1950er Jahre zunächst Theologie studiert, bevor er nach einem Jahr „Bewährung in der Produktion“ in einer Baumwollspinnerei das Regiestudium an der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg aufnahm.
Pitt Herrmann