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Die Abiturientin Michaela zieht in den 1970er-Jahren aus ihrem streng katholischen, dörflichen Elternhaus nach Tübingen, um dort zu studieren. Während sie zaghaft ein freieres Leben zu genießen beginnt, wird ihre seit Jahren vorhandene Epilepsie stärker. Nach einer besonders anstrengenden Studienarbeit bricht sie zusammen. Statt ins Krankenhaus wird sie von ihrem Freund zu ihren Eltern gebracht. Die glauben, dass Michaela vom Teufel besessen ist, und die verängstigte junge Frau willigt in einen Exorzismus durch zwei Priester ein. Physisch und psychisch stark geschwächt stirbt sie nach mehreren Sitzungen.
Hans-Christian Schmids Film, der auf einem wahren Fall basiert, erzählt auf zurückhaltende, fast dokumentarische Weise von religiösem Fanatismus. Anders als die Kirche, aus der die selbsternannten Teufelsaustreiber stammen, verzichtet er auf Effekte und Bohei – und macht das Leid des Opfers damit noch berührender. Rhythmisch und vielseitig unterstreicht die Montage von Hansjörg Weißbrich die dramatische Entwicklung.
Quelle: 73. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
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Michaela genießt die ersten Schritte in der neuen Freiheit, glücklich, das kleinbürgerliche Umfeld daheim nun an der Universität Tübingen endlich hinter sich gelassen zu haben. Sie findet in Hanna Imhof, einer ehemaligen Schulkollegin und Wohnheim-Mitbewohnerin, und dem Chemie-Studenten Stefan Weiser rasch neue Freunde – und mit Stefan könnte sich sogar eine tiefere Beziehung entwickeln.
Doch Michaela wird von ihrer Vergangenheit eingeholt: Sie hat immer öfter mit Wahnvorstellungen zu kämpfen, hört Stimmen und glaubt, von Dämonen besessen zu sein. Sie vertraut sich zunächst dem alten Gemeindepfarrer Gerhard Landauer an, den sie seit frühester Kindheit kennt. Doch der hält ihre Probleme für Hirngespinste und rät Michaela, eine Psychologin aufzusuchen. Als die Anfälle immer häufiger auftreten, vertraut sich Michaela dem jungen Tübinger Priester Martin Borchert an, der es nach mehreren gescheiterten konventionellen Versuchen schließlich mit Exorzismus versuchen will...
Hans-Christian Schmid hat mit „Requiem“ das tragische Schicksal der deutschen Studentin Anneliese Michel (1952 – 1976) verfilmt, die nach zahlreichen Exorzismen an Entkräftung und Unterernährung starb. Der authentische Fall lieferte bereits die Vorlage für den Hollywood-Streifen „Das Exorzismus der Emily Rose“ von Scott Derrickson, der sich stark die Sicht der katholischen Kirche zu eigen machte.
Für Hans-Christian Schmid hingegen, der den „Fall Michel“ nur zum Ausgangspunkt seiner dann doch recht frei erfundenen Handlung genommen hat, spielt die Frage der Schuldzuweisung keine Rolle. Er ist eher an einem Zeitpanorama der 1970er Jahre interessiert – und an der glaubhaften Verkörperung der Figuren, für deren Besetzung er erstklassige Bühnen-Schauspieler verpflichten konnte.
Sandra Hüller, 1978 im thüringischen Suhl geboren, gehörte zu Drehbeginn zum Ensemble des Basler Theaters. Für ihr Leinwand-Debut wurde sie als beste Darstellerin auf der Berlinale 2006 mit dem „Silbernen Bären“ ausgezeichnet. Im gleichen Jahr folgte die „Lola“ des Deutschen Filmpreises und 2007 der Bayerische Filmpreis in der gleichen Kategorie.
Burghart Klaußner und Imogen Kogge gehörten 2004 zum Ensemble des Schauspielhauses Bochum, Johann Adam Oest als Tübinger Pädagogik-Professor Schneider zu dem des Wiener Burgtheaters. Mit Anna Blomeier, seinerzeit am Hamburger Thalia-Theater engagiert, gibt eine weitere Bühnenschauspielerin ihr Leinwanddebut. Schließlich der Star in Claus Peymanns Berliner Ensemble, Walter Schmidinger, als Pfarrer Gerhard Landauer, der sich bis zuletzt gegen die mittelalterliche Form der Teufelsaustreibung zur Wehr setzt – leider vergeblich.
Regisseur Hans-Christian Schmid im X-Verleih-Presseheft: „Man muss heute keinen aufgeschlossenen Menschen mehr davon überzeugen, dass ein Exorzismus kein geeignetes Mittel ist, um jemandem, der psychisch krank ist, zu helfen. Mich hat die extreme Situation Anneliese Michels interessiert: Eine junge Frau ist von Eltern, Geschwistern, Freunden umgeben, alle wollen ihr helfen, aber die Kluft, die die Krankheit geschlagen hat, ist zu groß, als dass noch jemand zu ihr durchdringen könnte.“
Der unter die Haut gehende Film endet offen: Hanna besucht ihre bereits stark geschwächte bettlägerige Freundin Michaela bei ihren Eltern, packt sie kurzerhand in ihr Auto und fährt mit ihr hinaus auf einen Hügel oberhalb des Ortes. Die letzte, stumme Einstellung zeigt Michaela, wie sie bei der Rückfahrt versonnen aus dem Autofenster blickt. Hans-Christian Schmid, der seinen bemerkenswert unspektakulären Film auf Deutschland-Tour persönlich vorstellte, am 6. März 2006 im Bochumer Hauptbahnhofs-Kino Metropolis: „Ich finde diesen offenen Schluss meines Films wichtig, damit die Fortsetzung der Geschichte ausschließlich im Kopf der Zuschauer geschehen kann. Kino ist nicht dazu da, auch noch die letzten Fragen zu klären.“
Pitt Herrmann