Inhalt
Deutschland, 1943. Lilly Wust ist Ende zwanzig, verheiratet, Mutter von vier Kindern. Ihr Mann ist als Soldat im Krieg. Eines Tages lernt Lilly die selbstbewusste Felice kennen. Die beiden freunden sich an, doch Lilly spürt von Beginn an, dass Felice mehr von ihr will als reine "Freundschaft".
Zunächst reagiert Lilly abweisend auf Felices Werben. Schließlich aber entwickelt sich zwischen den beiden Frauen eine leidenschaftliche Liebe. Auch als Lilly, die mit einem überzeugten Nazi verheiratet ist, erfährt, dass Felice Jüdin ist und einer Widerstandsgruppe angehört, steht sie zu ihrer Geliebten. Sie lässt sich scheiden und nimmt Felice in ihre Wohnung auf. Solange es geht, verdrängen die beiden Frauen die brutale deutsche Lebensrealität jener Zeit und alle drohenden Gefahren. Bis im August 1944 die Gestapo in ihrer Wohnung auftaucht.
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Obwohl Max Färberböcks opulente Verfilmung in erster Linie Fiktion sein will und auch Fiktion ist, besticht „Aimée und Jaguar“ durch die eigene Sogkraft der authentischen Story, von der die Journalistin Erica Fischer erfuhr, nachdem Lilly Wust 1981 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden war. Sie hat aus Lilly Wusts Erinnerungen einen autobiographischen Roman geschrieben, welcher 1994 sofort die Bestsellerlisten erstürmte: „Aimée und Jaguar - Ein Liebesgeschichte, Berlin 1943“.
Lilly Wust war Aimée, Felice Schragenheim war Jaguar, die Jüdin, die vor der drohenden Deportation untertauchte und das ausgerechnet als Mitarbeiterin eines nationalsozialistischen Hetzblattes. Ob es sich dabei, wie der Film andeutet, um den rassistischen „Stürmer“ gehandelt hat, ist in Wahrheit bis heute ungeklärt – aber auch nicht so wichtig.
Felice tauchte an der Seite der NS-Mutterkreuz-Trägerin Lilly unter, welche ihren Mann und sogar ihre Kinder aufzugeben bereit war für eine große lesbische Liebe in den letzten Monaten des von Joseph Goebbels ausgerufenen „Totalen Krieges“ mitten in Berlin. Seit dem 2. April 1943 waren beide ein Paar, und Lilly machte Bekanntschaft mit für sie völlig neuen Kreisen der jüdischen und linken Boheme, der Lesben-Szene, aber auch des politischen Widerstands gegen das Nazi-Regime.
Lilly ließ sich scheiden, kämpfte um ihre drei Kinder, lebte mit Felice zusammen, bis diese am 21. August 1944 von der Gestapo verhaftet und zunächst nach Theresienstadt gebracht wurde. Tatsache, keine Fiktion: Lilly gelang das Unglaubliche, sie besuchte Felice im Konzentrationslager, bevor diese nach Auschwitz transportiert wurde und wahrscheinlich dort umkam.
Schon die historisch verbürgte Geschichte ist ein Melodram ganz besonderer Güte, hier verfilmt mit zwei großartigen Schauspielerinnen an der Seite u.a. von Inge Keller, Kyra Mladeck, Johanna Wokalek, Peter Weck und Heike Makatsch. Während die Kritik seinerzeit vor allem Maria Schrader in den Mittelpunkt des letztlich tragischen Geschehens gerückt hat, ist für mich Juliane Köhler „die“ Entdeckung des Films. Und das nicht nur, weil sie ihre Mitwirkung an Max Färberböcks Streifen teuer bezahlt hat: Die damalige Münchnerin flog, nachdem sie ihren Dreh-Sonderurlaub um vier Tage überzog, fristlos aus dem Ensemble des Residenztheaters.
Juliane Köhler spielt die Rolle der durch und durch kleinbürgerlichen Gattin eines Bankbeamten, überzeugten Nazis und Frontsoldaten, die Rolle einer Mutter von vier Kindern, die die Begegnung mit der aufgedrehten, lebenslustigen und dabei so geheimnisvollen Jüdin wie ein Blitz aus für die Zeitumstände relativ heiterem Himmel getroffen hat, so überzeugend, als wäre es die Verkörperung ihrer eigenen Geschichte. Folgerichtig wurden beim Deutschen Filmpreis 1999 Juliane Köhler und Maria Schrader gemeinsam in der Kategorie „Beste Hauptdarstellerin“ mit der „Lola“ ausgezeichnet.
So ist „Aimée und Jaguar“ aus meiner Sicht vor allem die Geschichte der inneren wie äußeren Befreiung dieser Frau von allen gesellschaftlich-ideologischen und familiär-privaten Konventionen, die Geschichte einer bedingungslosen Liebe als offener Tabubruch in restaurativer Mutterkreuz-Zeit. Die Nazi- und später die Kriegszeit fungieren in Max Färberböcks bei allen ästhetischen Anklängen an großes Hollywood-Kino zutiefst deutschem Streifen nur als Folie, welche die Zeitgeschichte in keinem neuen Licht erscheinen lässt.
Pitt Herrmann