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Robert trägt Lederjacke und die Haare etwas länger. Ein Cop, wie er nicht im Buche steht – zumindest nicht im deutschen Kino-Drehbuch. Als verdeckter Ermittler soll er über die fingierte Beziehung mit Leni (die im Gegenzug auf Bewährung aus der Haft entlassen wird) das Vertrauen eines Kriminellen gewinnen. Die Kontaktaufnahme gelingt beim Tanzkurs: Robert und Leni – er schwul, sie trans; ein großes Paar – haben Victor an der Angel. Oder doch er sie? Und sind bei der angeblich nur vorgetäuschten Liebe am Ende nicht sehr viel mehr Gefühle im Spiel? Wir wären nicht in einem Film von Christoph Hochhäusler, gäbe es einfache Antworten oder gar schlichte Wahrheiten.
Der gewiefte Plot ist pures Oszillieren; so entsteht ein ebenso geistreiches wie berührendes Vexierbild des Emo-Intellekts. Der Film ist ein (nicht ganz drogenfreier) Trip entlang der für den Regisseur zum Markenzeichen gewordenen Möbiusschleife aus Genre- und Autorenkino. Hinzu kommen einer der schönsten Nostalgie-Soundtracks des Jahres, eine abgerockt-romantische Atmosphäre mit Fassbinder-Charme und schließlich ein Ensemble, das den Täuschungsmanövern des Marionettenspielers Hochhäusler Leben einhaucht, Todessehnsucht inklusive.
Quelle: 73. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
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Leni hat früher, als Lenard, für Victor gearbeitet, weshalb sich der schon bei der alkoholreichen Einweihungsfete der neuen Bleibe mit der alten Szene-Community seiner „Freundin“ genervte Robert überhaupt auf die Undercover-Aktion eingelassen hat. Und sich gefährlich kratzbürstig gibt in den Augen der „Nachbarin“ Nadia Saric, die sehnsüchtige Blicke auf ihren Kollegen wirft. Zur naturgemäß rein zufälligen ersten Kontaktaufnahme dient ein Tanzkurs, den Victor mit der Mode-Verkäuferin Nicole Gilly besucht – als Paar-Therapie. Der Plan geht leichter auf als gedacht: beide Paare freunden sich an, Robert wird Victors Fahrer und Vertrauter. Als die Nagelprobe, eine nächtliche Polizeikontrolle, überstanden ist, scheint der weiteren erfolgreichen Entwicklung nichts mehr im Weg zu stehen.
Doch für den homosexuellen Robert, der sich gegenüber Leni so schroff gibt, dass Nadia schlichten muss, wird die Geschichte mit Leni kompliziert, da er für sie – als Mann Lenard, der sie früher war – immer stärkere echte Gefühle hegt und plötzlich auch sehr zärtlich sein kann. Folglich ist er nicht daran interessiert ist, dass Leni ihre operative Geschlechtsumwandlung vorantreibt. Es ist ausgerechnet Victor, der Robert dazu bringt, sich seinen widersprechenden Liebesgefühlen zu stellen. Leni erwartet, frei zu kommen, wenn mit ihrer Hilfe Victor und seinen Leuten der Prozess gemacht werden kann, obwohl ihr Roberts Chefin Monika Sterz nur Hafterleichterungen versprochen hat.
Sie will Sängerin werden, probt bei „Nachbarin“ Nadia. Und schreckt nicht davor zurück, Robert bei Victor zu enttarnen. Als ein Polizeieinsatz gegen eine rivalisierende Drogenbande missglückt, wird Robert dennoch von seinen „Boss“ Victor, der dabei drauf geht, aus brenzliger Situation befreit. Er verabredet sich mit Leni um 6 Uhr in der Frühe am Flughafen Frankfurt – und wird von seiner Chefin verhaftet: „Ich bin nicht so der Typ für Happy End“. Leni, die ihn ein zweites Mal verraten hat, kontert direkt in Reinhold Vorschneiders Kamera: „Aber ich!“
„Bis ans Ende der Nacht“ will alles sein: Film Noir, Liebesgeschichte, Action-Thriller, Melodram im Transsexuellen-Milieu. Zumindest Letzteres ist Christoph Hochhäusler gelungen, und wenn man sich dabei an Rainer Werner Fassbinder erinnert, spricht das nur für den Regisseur von „Milchwald“ über „Falscher Bekenner“ bis „Der Tod wird kommen“.
Der Berliner im Presseheft: „Ich wollte einen Film machen, der hitzig ist, schmerzhaft, rau, ein Melodram mit deutscher Popmusik, langen Brennweiten und einer Schärfentiefe auf Messers Schneide. Einen Film, in der die Krise der Männlichkeit als Oper aufgeführt wird, aber zugleich ein ‚Außen‘ sichtbar wird. Das richtige Leben im Falschen, und umgekehrt: Florian Plumeyers Buch ist ein dunkles Spiegelkabinett, in dem sich der Held wieder und wieder den Kopf stößt. Relief bekommt der Charakterkopf durch eine atemlose Kriminalgeschichte, die keine Eskalation scheut.“
Die vor 23 Jahren in Wels geborene Öberösterreicherin Thea Ehre, die bei Kay Voges am Wiener Volkstheater spielt, gibt in der Hauptrolle als Leni ein fulminantes, zu Herzen gehendes Kinodebüt. Sie ist auch im wirklichen Leben eine Transfrau und auf der Berlinale völlig zu Recht mit dem Silbernen Bären belohnt worden, warum auch immer als „beste Nebendarstellerin“.
Pitt Herrmann