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Der Erfinder Franz Xaver Stannebein hat ein Schraubenluftschiff konstruiert als ein Mittel, mit dem sich die Menschheit über ihre irdischen Nöte erheben können soll. Er lässt sich vom Großkapital benutzen, in Spanien eine Startbahn – angeblich für sein Luftschiff – zu bauen. Als er durchschaut, dass die Startbahn der Legion Condor im Spanischen Bürgerkrieg dienen soll, geht er zurück nach Deutschland und beschwert sich, derartig hintergangen worden zu sein. Man erklärt ihn für verrückt, sperrt ihn in die Psychiatrie, wo er ein Opfer der Euthanasie wird. Nach Kriegsende macht sich sein elfjährger Enkel zusammen mit der Tante auf den Weg, um den Großvater zu finden.
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In Deutschland ist man nicht an einer friedlichen Nutzung seiner Erfindung interessiert, sondern an Panzerflugschiffen mit Schnellfeuerwaffen. Die Stannebein nicht liefern will und so führt ihn sein Weg nach Spanien, wo er mit Polonia eine Familie gründet und als Handelsvertreter deutscher Firmen Karriere macht. Doch mit seinen hochfliegenden Plänen kommt er über den Status der Konstruktionszeichnungen nicht hinaus, was ihm bald seine ehrgeizige Tochter Flora zum Vorwurf machen wird.
So entschließt er sich, ins wirtschaftlich und politisch aufstrebende Deutschland zurückzukehren und bei Industriellen für sein Vorhaben zu werben. Die sind daran interessiert, neue Flugzeuge und Waffensysteme auszuprobieren – im spanischen Bürgerkrieg auf Seiten des Faschisten Franco. Was sie Stannebein natürlich nicht offen bekunden, sondern ihm viel Geld in zwei Tranchen versprechen. Die erste Zahlung erfolgt sogleich und dient dem Bau eines Flugfeldes, die zweite soll anschließend die Entwicklung des Luftschiffes finanzieren.
Doch die Start- und Landebahn soll neuesten Militärflugzeugen von Heinkel und Junker zur Zwischenlandung dienen im Kampf gegen die Internationalen Brigaden und, wie wir inzwischen wissen, zur Vorbereitung der Hitler-Armee auf den Zweiten Weltkrieg. Als Stannebein erkennt, dass er sich als nützlicher Idiot hat missbrauchen lassen, befreit er in einer Stierkampfarena gefangene Republikaner mit Hilfe einer weiteren Erfindung, einem zusammenklappbaren Mörser. Der entpuppt sich zwar als Rohrkrepierer, macht aber so ordentlich Lärm, dass er die falangistischen Bewacher in die Flucht schlägt.
Das „Reich“ rächt sich und steckt den von einem wohlmeinenden Psychiater als seelisch krank erklärten Erfinder in eine sog. Heilanstalt, in welcher er munter weiter herumexperimentiert. Nachts werden Insassen in Fahrzeugen abgeholt, die äußerlich eine Ähnlichkeit mit Krankenwagen haben: Stannebein ahnt, was die nunmehr hemmungslos agierenden Nazi-Rassisten unter Euthanasie verstehen. Und hilft Mitpatienten bei epileptischen Anfällen, damit die Wärter nicht auf sie aufmerksam werden und für den nächsten Transport vormerken. Nach dem Krieg ist es der Enkel Chico, der nach seinem Großvater forscht. Doch die Heilanstalt ist leer, überall liegen Papier und Einrichtungsgenstände herum...
Der 2016 digital restaurierte Experimentalstreifen „Das Luftschiff“ gehört heute zu den Vorzeige-Produktionen der Defa durch seinen Mix aus in Farbe auf Breitwand-Format gedrehtem Spielfilm, historischen Schwarzweiß-Aufnahmen etwa von einem Bombenabwurf im Krieg sowie künstlerischen Interventionen des Grafikers und Buchkünstlers Lutz Dammbeck, der drei Jahre später die DDR in Richtung Hamburg verließ. Er hat die Animationen direkt in die Beschichtung des „Luftschiff“-Filmnegativs geritzt.
Rainer Simon hat den gleichnamigen Roman von Fritz Rudolf Fries nicht chronologisch verfilmt, sondern mit Hilfe der Montage und des Schnitts den Träumen des Idealisten Franz Xaver Stannebein immer wieder die Realität entgegengesetzt: Kaum hat der selbsternannte Flugpionier Zeichnungen vorgelegt, hat von ersten Flugversuchen geträumt, da sitzen die von alliierten Luftangriffen verängstigten Menschen in den LSR-Kellern und beten „Großer Gott, wir loben dich“. Was zur Verwirrung der Zuschauer führt, welche die Romanvorlage nicht kennen: Simon verzettelt sich im wahren Wortsinn bei der rasenden Zickzack-Fahrt auf der Zeitebene. Wie aus dem Nichts tauchen mit Alfredo und Paco zwei Söhne auf: Ersterer schließt sich den Franco-Schwarzhemden an, Letzterer den internationalen Brigaden. Denen, wie sich in der Stierkampfarena zeigt, auch Stannebeins spanischer Fahrer und Famulus Gabriel Sorigueta angehört.
Wie das alles zusammenhängt, bleibt häufig ebenso im Dunkeln wie mancher Schauplatz (Völkerschlachtdenkmal in Leipzig) und die bisweilen herrisch-vornehme Attitüde des sich Generaldirektor nennenden Erfinders und seines Compagnons Schotte. Der 'mal als Miteigentümer auftritt, 'mal als Chef Stannebeins. Wer sich von der Erwartung an eine Geschichte aus einem Guss löst, hat den Blick frei für das erstaunlich lockere, ironisch grundierte Ganze eines Don Quijotischen Kampfes gegen Windmühlenflügel mit all' den Verweisen und Metaphern. Zu denen auch mit Weichzeichner am Bildrand kenntlich gemachte Traumvisionen des Protagonisten und seines taffen Enkels gehören.
Pitt Herrmann