Paul Diehl
Paul Heinrich Diehl wurde am 10. Januar 1886 in München geboren. Sein Vater war Kunstmaler. Während seine jüngeren Brüder Ferdinand (*1901) und Hermann (*1906) künstlerische Ausbildungen absolvierten, promovierte Paul Diehl im Fach Wirtschaft. Er war ein Anhänger der Ideen des deutsch-argentinischen Finanztheoretikers und Sozialreformers Silvio Gesell und gehörte dem Bundesvorstand des Deutschen Freiwirtschaftsbundes an, der Gesells Lehren vertrat. Dort erschien 1931 Diehls Buch "Wohin führt uns der Nationalsozialismus?", in dem er sich sehr kritisch mit der Ideologie der Nazis auseinandersetzte, nicht zuletzt unter wirtschaftstheoretischen Gesichtspunkten. Der Historiker Othmar Plöckinger schrieb in seinem Buch "Geschichte eines Buches – Adolf Hitlers 'Mein Kampf'" (2006): "Nicht zuletzt lehnte Diehl auch Hitlers Antisemitismus entschieden ab und verwies – was selten genug in dieser Zeit vorkam – auf die notwendige "historische Betrachtungsweise", dass 'der Deutsche und mit ihm andere 'christliche' Völker den Juden in seine heutige Stellung gedrängt haben'.". Nach der Machtübernahme der Nazis wurde der Freiwirtschaftsbund verboten.
Aber schon vorher wendete Paul Diehl sich dem Film zu. Als seine Brüder, die in der Trickfilmabteilung der Emelka-Filmgesellschaft gearbeitet hatten, sich 1928 selbstständig machten und mit der Herstellung ihres ersten eigenen Films begannen, schloss er sich ihnen an: "Kalif Storch", basierend auf dem Märchen von Wilhelm Hauff, war ein Scherenschnittfilm nach dem Vorbild Lotte Reinigers. Als Studio diente das Atelier des kurz zuvor verstorbenen Vaters, ein Speicherraum von gerade einmal 32 qm. Von der finanziell angeschlagenen Emelka kauften die Diehls eine Ernemann-Kamera, rüsteten sie auf Einzelbildschaltung um und bauten einen eigenen Tricktisch: Die Scherenschnitt-Figuren wurden hier durch Auflicht illuminiert und mittels Legetrick animiert. Der 20-minütige Film wurde 1930, nach zweijähriger Arbeit, fertiggestellt. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich jedoch bereits der Tonfilm durchgesetzt, sodass dem Stummfilm "Kalif Storch" keine größere Aufmerksamkeit mehr zuteilwurde.
Nach diesem Silhouettenfilm wendeten sich die drei Brüder dem Puppentrick zu – und fanden zumindest in Fachkreisen viel Beachtung. Der Film-Kurier schrieb 1931: "In einem Vorort Münchens, zwischen Wiesen und Wäldern, haben drei Idealisten des Films ein mit ganz eigenartigen technischen Finessen ausgestattetes Filmatelier eingerichtet. Es sind drei Brüder: ein Maler, ein Filmtechniker und ein Gelehrter [Paul], die hier buchstäblich unter Ausschluß der Öffentlichkeit an der Schaffung von Märchenfilmen arbeiten. (…) Jetzt liegen zwei Werke dieses Ateliers fertig vor; zwei Märchen, denn diese Idealisten namens Diehl wollen dem deutschen Film ausschließlich Märchen liefern. Ein großer Zeichentrickfilm, 'Kalif Storch', hat eine ganz neue Wirkung dieser Filmgattung. Seine Bauten wirken plastisch und nicht flächig, wie sonst bei Märchenfilmen. (…) Ein zweiter Film fürs Beiprogramm ist fertig [vermutlich ist der heute verschollene 'Zwischpaduri der Strolch' gemeint]. Diesmal ein Puppenfilm von einer bezaubernden Grazie und Lebendigkeit der Bewegung, wie wir sie nur aus den Filmen Starewitchs kennen."
Paul Diehl fungierte bei den Filmen häufig als Produzent und Autor, und schrieb später bei den Schulfilmen auch pädagogische Begleittexte (seine konkreten Tätigkeiten und Beiträge bei den einzelnen Filmen sind allerdings kaum überliefert). Hermann Diehl schuf die kunstvollen und innovativen Puppen, Ferdinand war Regisseur und Animator. Bis dahin hatten die meisten Trickfiguren unbewegliche Gesichter und starre Gliedmaßen. Hermanns neuartige Puppen hingegen hatten austauschbare Gesichtsausdrücke (insbesondere auch für die Mundpartien) und ein aufwändiges Metallskelett mit Kugelgelenken und beweglichen Gliedmaßen.
Die Gebrüder realisierten zunächst Vorprogramme für Kinofilme, von denen besonders die Abenteuer der "Grotesk-Figur" Wupp (1931-33) populär waren. An dieses Erfolgsrezept anknüpfend, schufen sie weitere Filme mit skurril-bizarren Figuren. Außerdem drehten die Diehls kleine Werbefilme.
1933 gründeten die Brüder in Gräfelfing bei München die Gebrüder Diehl-Filmproduktion. Obwohl die Nazis die grotesken Figuren wie den Wupp als "volksfremd" einstuften, wurde die 1935 gegründete 'Reichsstelle für den Unterrichtsfilm' (RfdU) ein bedeutender Auftraggeber der Diehls – allerdings mit anderen Themen und Figuren: für das RfdU drehten die Brüder eine Vielzahl an Märchenfilmen. Der erste davon, "Von einem der auszog, das Gruseln zu lernen" (1935), war wegen seiner eigenwilligen Gestaltung und der bemerkenswert unheimlichen Atmosphäre bei Schüler*innen beliebt, entfachte unter Lehrer*innen jedoch genau deshalb scharfe Diskussionen. Bei der Weltausstellung in Paris 1937 wurden die Diehls für diesen Film und für "Tischlein deck’ dich" (1936) mit Goldmedaillen ausgezeichnet. Daneben realisierten sie weiterhin Werbefilme, etwa "Es war einmal …" (1935) für einen Radio-Hersteller.
Die wohl ambitionierteste Diehl-Produktion dieser Jahre war die 55-minütige Brüder-Grimm-Adaption "Die sieben Raben" (1937), bei dem die Puppen nach Vorlagen des Zeichners Moritz von Schwind gefertigt wurden. Der insgesamt recht gruselige Film kam beim Publikum nicht gut an, erhielt aber sehr gute Kritiken. Der Film-Kurier urteilte: "Die gute Regie dieses Films, die durchaus echt wirkenden Aufnahmen, die prachtvolle Photographie, die gelungene Kleinarbeit, die sich in einer Unzahl von Einzelszenen immer aufs neue erweist, machen den Film für Kinderprogramme hervorragend geeignet." Wobei Paul Diehl in genau dieser Einstufung von Puppentrickfilmen als Kinderunterhaltung das Dilemma sah. So schrieb er 1941 in dem Fachblatt Film und Bild: "Das Spiel mit Puppen [wird] dem mit Menschen dargestellten Film gegenüber als etwas Minderwertiges betrachtet, allenfalls für Kleinkinder geeignet, für Erwachsene aber eine Quantité négligeable (…)."
Im Rahmen der Zusammenarbeit mit der RfdU entstand 1938 auch der wohl berühmteste Diehl-Trickfilm: "Der Wettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel", nach den Brüdern Grimm (wie die meisten ihrer Märchenfilme wurde er aus Kostengründen als Stummfilm mit Zwischentiteln produziert). Darin übertölpelt ein gewitzter Igel einen ebenso flinken wie eingebildeten Hasen. Hermann Diehl gestaltete die Puppe mit echtem Igelhaar, Paul schrieb pädagogische Begleittexte, während die Mutter der Brüder die Kostüme nähte. Wie fast immer führte Ferdinand Regie. Der Film war ein so großer Erfolg, dass die Diehls später Postkarten mit der Igel-Figur drucken ließen. Noch Jahrzehnte später waren die Lizenzeinnahmen aus der Igel-Figur die finanzielle Basis der Diehl-Film und Verlag KG.
Weitere Diehl-Filme bis 1945 waren unter anderem "Tapferes Schneiderlein" (1938), "Max und Moritz" (1941) und "Dornröschen" (1941). Mit ihrer Tätigkeit für das RfdU unterstanden die Brüder zwar nicht dem Propagandaministerium, sondern dem Erziehungsministerium, dennoch wurden ihre Filme von den Nazis politisch instrumentalisiert. Die Fachzeitschrift Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz schrieb 2010: "Auch in der Schule hatte man längst damit begonnen, Märchen - und damit auch die Märchenfilme der Gebrüder Diehl - nationalsozialistisch umzudeuten. 'Die Stadtmaus und die Feldmaus' etwa eignete sich perfekt dafür, die Heimatverbundenheit zu stärken und gleichzeitig gegen die Landflucht zu propagieren (...) Den eigentlich ideologiefreien Filmen der Gebrüder Diehl hatte das nationalsozialistische Unterrichtssystem die Unschuld geraubt". Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang noch einmal Paul Diehls oben erwähnte, sehr kritische Auseinandersetzung mit der NS-Ideologie.
Nach dem Ende des Krieges und der Nazizeit hielten die Diehls sich zunächst mit der HofBühne über Wasser, einem Handpuppen-Wandertheater. Paul Diehl gehörte 1946 zu den Gründungsmitgliedern des Freiwirtschaftsbunds (FWB), in dem er über viele Jahre bedeutende Positionen bekleidete und für den er mehrere Flugschriften verfasste: "Deutschland ist tot, es lebe Deutschland" (1947), "Unserer Jugend eine freie Zukunft" (1947) und "Planwirtschaft – die Sklaverei des 20. Jahrhunderts" (1948).
Im November 1948 wurde den Diehl-Brüdern schließlich die Filmlizenz erteilt. Im folgenden Jahr zog sich Paul wegen seiner Politkarriere aus dem Filmgeschäft zurück. Der letzte Film, an dem er offiziell beteiligt war (als Produzent), ist "Immer wieder Glück", der 1949 in Produktion ging und 1950 uraufgeführt wurde. Von 1948 bis 1960 war Paul Diehl Bürgermeister von Gräfelfing, danach ernannte man ihn zum Ehrenbürger. Im Lauf der Jahre schrieb er noch weitere gesellschaftspolitische Texte, etwa "Wahre Demokratie - ein Wunschtraum?" (1968) und "Macht oder Geist. Die Frage unserer Zeit" (1970). Er starb am 3. Januar 1976 in Gräfelfing.
Seine Brüder hatten die Firma zunächst gemeinsam weitergeführt; als auch Hermann sich zurückzog, hielt Ferdinand sie noch einige Jahre am Laufen. 1970 stellte die Gebrüder-Diehl Filmproduktion ihren Betrieb ein. Der Nachlass der Diehls wird vom DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum in Frankfurt am Main verwaltet.