Der Streit um den Sergeanten Grischa

DDR 1967/1968 TV-Film

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Heinz17herne
Heinz17herne
Zweites Märzdrittel im eisigen Kriegswinter 1917 im Waldparklager Nawarischkij an der Ostfront. Zu den vom Landsturmgefreiten Birkholz bewachten Gefangenen, die gerade Holz auf Bahnwaggons verladen, gehört der russische Sergeant Grigorij Iljitsch Paprotkin, genannt Grischa. Der will in einem kleinen Hohlraum dem Lager zu Frau und Kindern nach Wologda entfliehen. Denn der Zar Nikolai II. hat abgedankt, die rote Fahne weht über seiner Heimat und die Waffen zwischen seinen Landsleuten und den Deutschen schweigen.

Grischa will sich in den Wäldern durchschlagen, wird von Kolja und Anna Kyrillowna, genannt Babka, entdeckt, die zu einer heterogenen Gemeinschaft gehören, welche in verlassenen Blockhäusern lebt und ihren Unterhalt mit dem Verkauf von Holz an die umliegenden Dörfer bestreitet. Helmut Schiemanns gut 200-minütiger Zweiteiler, der am 2. und 3. Juni 1968 im Deutschen Fernsehfunk erstausgestrahlt wurde am 15./17. Februar 1970 auch in der ARD zu sehen war, macht aus Arnold Zweigs „Gruppe Vogelfreier“ russische Partisanen, die hinter der Front gegen die Deutschen kämpfen. Weshalb auch im Folgenden einige gravierende, von der Romanvorlage abweichende Eingriffe notwendig werden.

Da jetzt zwei Schwadronen deutscher Soldaten fürs nahe Cholno angekündigt sind, sollen die Männer ihre geschlagenen Baumstämme bis nach Wilna flößen und Grischa sich ihnen so weit als möglich anschließen. Zur Sicherheit verschafft ihm Babka eine neue Identität, die des verstorbenen russischen Überläufers Ilja Pawlowitsch Bjuschew. Von Fedjuschka eingewiesen, flüchtet sich Grischa in eine Merwinsker Datschensiedlung, um Kontakt mit dessen Vater aufzunehmen. Noch sind es rund einhundert Kilometer bis zur Front, die Grischa im Norden zu überwinden gedenkt, um ins noch russische Riga zu gelangen.

Doch er wird entdeckt und gemäß seiner Erkennungsmarke für einen russischen Spion gehalten. Kriegsgerichtsrat Dr. Posnanski verurteilt Grischa zum Tod durch Erschießen, der Divisionskommandant, General Otto von Lychow, unterschreibt das Urteil. So bleibt Grischa keine andere Wahl, als seine wahre Identität preiszugeben. Zumindest bei Oberleutnant Paul Winfried, Lychows Neffe und Adjutant, stößt diese schier unglaubliche Geschichte nicht auf taube Ohren und so wird der Gerichtschreiber Werner Bertin damit beauftragt, Kontakt zum Lager Nawarischkij herzustellen, um Grischas Aussagen zu verifizieren.

Bertin, die eigentliche Verbindungs-Figur der „Grischa-Zyklus“ genannten Romantrilogie Arnold Zweigs über den Ersten Weltkrieg, die mit „Junge Frau von 1914“ und „Erziehung vor Verdun“ begann und von Egon Günther 1969 und 1973 jeweils als Mehrteiler für das DDR-Fernsehen verfilmt wurde, hat es vom gemobbten Schipper in den Schützengräben der Westfront bis zur rechten Hand Posnanskis geschafft und schiebt, mittlerweile daheim in Berlin, als etablierter Schriftsteller eine ausgesprochen ruhige Kugel.

Bertin kümmert sich mit persönlichem Engagement um Grischa, der im Merwinsker Militärgefängnis große Freiheiten als Faktotum genießt – und sogar dem Landwehrgefreiten Hermann Sacht das Gewehr putzt. Als Birkholz zusammen mit dem Unteroffizier Fritzke von Nawarischkij nach Merwinsk kommt und beide Grischas Geschichte bestätigen, scheint einer Aufhebung des Todesurteils nichts mehr im Wege zu stehen. Bertin kann beruhigt über Bialystok, dem Hauptquartier des Generalmajors Albert Schieffenzahn, wo er den entsprechenden Akt in der Justizabteilung des Stabes abliefert, für einige Tage auf Urlaub nach Berlin fahren.

Doch in Bialystok laufen die Uhren anders. Schieffenzahn empfängt mit Albin Schilles nicht nur einen Reichstagsabgeordneten aus dem Ruhrrevier, sondern auch den größten Industriellen des europäischen Kontinents. Der sein Imperium aus Schiffen, Kohlen und Erzen nicht nur im Westen, Stichworte sind Lothringen und Belgien, sondern auch im Osten erweitern will – und dazu 30.000 Zivilarbeiter aus den besetzten Gebieten anfordert. Schieffenzahn hat für solche Lappalien wie die Sache Bjuschew alias Paprotkin keine Zeit, die „sein“ Kriegsgerichtsrat Dr. Wilhelmi nur äußerst widerwillig bearbeitet.

Für Grischa beginnt ein neues Leben an der Seite Babkas, die als Beerenfrau getarnt ins Gefängnis kommt, um den Geliebten, von dem sie inzwischen schwanger ist, zu befreien. Und dann das: Schieffenzahn setzt sich über die juristische Zuständigkeit des Divisionskommandanten Von Lychow hinweg und bestätigt das Todesurteil an dem Russen, um vor dem Hintergrund der revolutionären Entwicklung in Russland die soldatische Disziplin in den eigenen Reihen nicht zu gefährden. Doch Grischa will von Babkas Fluchtplänen nichts wissen und lieber seine kleinen Freiheiten als eine Art Hausknecht des jovialen Kantinenwirts Maxe genießen.

Es ist ein schöner Sommer im Kriegsjahr 1917, in dem der zweite Teil des „Streits um den Sergeanten Grischa“ beginnt. Bei kleineren Besorgungen im Ort wird der Titelheld, der ansonsten alle Freiheiten genießt, vom freundlichen Gefreiten Sacht begleitet.

Er hat sich nur vereinzelter Übergriffe von Wichtigtuern wie dem Etappenschwein von Militärpfarrer Lüdecke und dem übereifrigen, im Roman dazu noch als Antisemit charakterisierten Ortskommandanten und Münsteraner Fabrikanten, Rittmeister Fritz von Brettschneider, sowie dessen gehorsamem Feldwebel Spierauge zu erwehren. Mitte Oktober aber ist Schluss mit lustig. Schieffenzahn, der das Eingreifen Amerikas an der Westfront für „Bluff“ und „Humbug“ hält, will sich nicht länger hinhalten lassen. Als Von Lychow auf der Durchreise zur Kur in Baden bei Wien in Bialystok Station macht, hat der Oberbefehlshaber des Heeres längst Nägel mit Köpfen gemacht, auch wenn diese aufgrund der Unterbrechung der Telefonleitungen durch einen Schneesturm noch nicht eingeschlagen werden konnten.

Was aber nur eine Frage der Zeit ist, denn auch die „Verschwörer“ um Bertin und Paul Winfried sind selbst bei bestem Willen nicht in der Lage, das Ruder noch einmal herumzureißen: Erwin Scharski rasiert Grischa, der seinen Sarg beim Tischler Täwje Frum selbst ausgesucht und die Grube auf dem Friedhof eigenhändig ausgeschaufelt hat, ein letztes Mal. Der katholische Divisionspfarrer, Pater Jokundus, der Gefreite Langermann als Protokollant und der bayerische Vizefeldwebel Berglechner als Kommandeur des Exekutionskommandos walten ihrer Ämter...

Für Arnold Zweig wurde seine Teilnahme als einfacher Soldat im Ersten Weltkrieg zum entscheidenden Grunderlebnis für seine Roman-Trilogie, die von der Defa im Auftrag des DDR-Fernsehens unter der Überschrift „Der große Krieg der weißen Männer“ verfilmt worden ist. Wie schon bei Egon Günthers Adaptionen „Junge Frau von 1914“ und „Erziehung vor Verdun“ spielt bei Helmut Schiemann das Jüdische kaum eine Rolle, wird im Gegensatz zu den beiden anderen Mehrteilern aber auch nicht geleugnet. Der jüdische Sargtischler Täwje Frum erweist sich im Roman wie im Film als so bibelfester wie altersweiser Philosoph, der den atheistischen Russen Grischa wenn auch nicht gleich bekehrt so doch sensibilisiert für grundsätzliche Fragen über Gott und die Welt.

Dafür erhält bei Schiemann die russische Revolution und die Spiegelung der Ereignisse auf der anderen Seite der Front ein weitaus größeres Gewicht als im Roman, von der völlig verfälschten Darstellung Babkas als Partisanin ganz abgesehen. So gehört Rolf Ludwig zu einer Gruppe von Soldaten, die sich im Kasino von Arbeiterstreiks in Leipzig, Bitterfeld und bei Borsig in Berlin berichten und aufrührerische Reden gegen Kriegsgewinnler führen. Nur im Film gärt es in der Truppe auch gegen ein österreichisches Kommando und gegen Vorgesetzte, die Karl Liebknecht als vaterlandslosen Gesellen verunglimpfen. Was ja vielleicht ganz im Sinne Arnold Zweigs sein mag wie auch die Konfrontation des reaktionären, längst überkommenen preußischen Landjunkertums mit dem aufstrebenden Industriellen-Bürgertum der Rheinprovinzen. Dies alles steht so aber nicht bei Arnold Zweig, auch nicht in der Ausgabe des Aufbau-Verlages (Ost-) Berlin von 1958.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Szenarium

Dramaturgie

Bau-Ausführung

Kostüme

Schnitt

Darsteller

Produktionsleitung

Aufnahmeleitung

Länge:
2900 m, 102 min
Format:
35mm, 1:1.33
Bild/Ton:
s/w
Aufführung:

Uraufführung (DD): 02.06.1968, DFF

Titel

  • Originaltitel (DD) Der Streit um den Sergeanten Grischa

Fassungen

Original

Länge:
2900 m, 102 min
Format:
35mm, 1:1.33
Bild/Ton:
s/w
Aufführung:

Uraufführung (DD): 02.06.1968, DFF

Teilfassung

Länge:
2866 m, 101 min
Format:
35mm, 1:1.33
Bild/Ton:
s/w
Aufführung:

Uraufführung (DD): 03.06.1968, DFF