Credits
Regie
Drehbuch
Kamera
Schnitt
Produktionsfirma
Produzent
Alle Credits
Regie
Drehbuch
Kamera
Schnitt
Produktionsfirma
im Auftrag von
Produzent
Redaktion
Länge:
2294m, 84 min
Format:
35mm
Bild/Ton:
s/w, Ton
Titel
- Originaltitel (DD) Deutschland - Endstation Ost
- Weiterer Titel (DD) Die DDR mit den Augen eines Ausländers gesehen
- Weiterer Titel (DE) Bilder von drüben - Ein Ausländer sieht die DDR
Fassungen
Original
Länge:
2294m, 84 min
Format:
35mm
Bild/Ton:
s/w, Ton
Kurzfassung
Abschnittstitel
- Weiterer Titel (DE)
- Bilder von drüben - Ein Ausländer sieht die DDR
Bild/Ton:
s/w, Ton
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12.09.2024 | 21:59 Uhr
Heinz17herne
Heinz17herne
Der 1924 in Temse geborene und 2004 in Jette gestorbene belgische Kabarettist, Filmemacher und linke Gewerkschafter Frans Buyens lässt in seinem Off-Kommentar keinen Zweifel, dass er auf der Seite der DDR steht, deren Weg er – ideologisch wie wirtschaftlich – nicht nur für politisch richtig, sondern auch für erfolgreich hält. 1961 war der flämische Sozialist in das „andere“ Deutschland gekommen, für das er in seinem Schlusswort eine Lanze bricht: „Welcher Mensch könnte unberührt bleiben bei der Feststellung, dass sich hier in diesem Land ein Wunder der modernen Zeit vollzieht, das wichtigste vielleicht für die Zukunft Europas: Die Veränderung der deutschen Denkart, die Verwandlung des Ungeistes in Geist.“
Umso erstaunlicher ist es, dass Buyens seine Dokumentation über das „bessere“ Deutschland mit dem Mauerbau vom 13. August 1961, den er selbst in Ost-Berlin miterlebte, beginnt und der knallharten Feststellung, dass diese Grenze nicht nur die Hauptstadt spaltet mit Folgen, die noch lange spürbar sein werden für die Menschen, sondern ausschließlich in einer Richtung durchlässig ist, von West nach Ost. Dazu wird in längeren Sequenzen auch optisch deutlich, dass die Berliner Mauer kein Abwehrbollwerk gegen die bösen Kapitalisten ist, sondern nach innen gerichtet auf die eigene Bevölkerung zielt.
Die sich in den Interviews, in denen sich Buyens als Ausländer zu erkennen gibt, sehr spontan und, was den Grad der Kritik betrifft, äußerst wagemutig gibt. Naturgemäß überwiegen Antworten überzeugter Sozialisten, die den Mauerbau, kurz zuvor noch von Walter Ulbricht vehement bestritten, in offiziöser Weise rechtfertigen. Wobei es auch heute, Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung, unstrittig ist, dass es Konrad Adenauer war, der mit seiner einseitigen Westbindung und der ausschließlich in den drei Besatzungszonen der westlichen Alliierten vollzogenen Währungsreform die Notwendigkeit zu einer Gegenreaktion Ost-Berlins heraufbeschwor. Zu groß war der Sog der harten D-Mark-Währung für ein vergleichsweise kleines und armes Land, dass gerade mühsam dabei war, sich von der durch Reparationsleistungen ausgebeuteten Sowjetischen Besatzungszone zu einem halbwegs souveränen Staat im Ostblock-Verbund zu entwickeln.
Aber es gibt auch kritische Stimmen wie die eines jungen Berliners: „Die Mauer, die hätte hier gar nicht hinkommen sollen.“ Deutlicher wird ein etwas älterer Mann: „Die Mauer passt hier überhaupt nicht her. Wir sind ja hier eingesperrt, sozusagen.“ Auf die Spitze der Kritik treibt es eine Frau am Marktstand: „Nein, die Mauer muss weg! Man kann ja nicht zu seinen Verwandten. Also, ich bin im staatlichen Handel, aber ich würde jedes Wochenende zurückkommen, denn man hatte ja vorher die Gelegenheit zu gehen.“ Selbst diese wagemutig offene Frau, die dem belgischen Filmemacher unverblümt zuruft: „Die Mauer muss weg, unbedingt!“, zeigt sich von der propagandistischen Schwarzweißmalerei des Kalten Krieges der 1960er Jahre unbeeindruckt: „Na, wissen Sie, einer allein ist nie schuld. Ich sage, wie es ist. Aber was soll ich noch mehr sagen? Kommentar überflüssig!“
„Kommentar überflüssig“ gilt auch für die darauffolgenden Befragungen, singulär in der Geschichte der Defa: Frans Buyens spricht mit NVA-Grenzsoldaten. Nicht mit politisch geschulten Führungsoffizieren, sondern mit jungen Rekruten, die nicht lange herumdrucksen: „Wir legen keinen Wert darauf, Menschen zu erschießen.“ Andererseits würden sie es sicherlich tun, wenn sich ein Bürger ihres eigenen Landes unbefugt den Grenzanlagen nähern sollte, die doch nach offizieller Version nur gegen die Feinde aus dem kapitalistischen Westen gerichtet sind. Wie es ja auch keinen staatlichen Schießbefehl gegeben hat, weshalb in den Prozessen nach der Wende auch kein höherer Offizier der Grenztruppen verurteilt werden konnte.
Weit weniger spektakulär sind die Schilderungen des Belgiers über Land und Leute in der DDR-Provinz. Mit historischen Exkursen etwa zur Bodenreform, zur Gründung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften Mitte der 1950er Jahre und zur Aufstellung der Volkswirtschaftspläne: Die Bürger im sozialistischen Deutschland brauchen sich weder um ihren Arbeitsplatz noch um ihre soziale Sicherheit zu sorgen, können günstig wohnen und erhalten alle Grundnahrungsmittel zu staatlich subventionierten Preisen. Das Schul-, Ausbildungs- und Gesundheitswesen sind vorbildlich und brauchen keinen Systemvergleich zu scheuen, was selbstredend auch für das reichhaltige Kulturleben gilt.
Aber auch hier hakt der Belgier mit dem Blick des Außenstehenden nach. Etwa in einem sehr ausführlichen Gespräch mit einstmals selbständigen Unternehmern und Freiberuflern, die sich nun mit der sozialistischen Planwirtschaft arrangieren müssen. Die staatliche Beteiligung gebe Sicherheit, eine Höchstbesteuerung von neunzig Prozent mache aber eine für Investitionen notwendige Kapitalbildung unmöglich. Gleichzeitig offenbart das selbstbewusste Auftreten dieser Herren bei einem edlen Tropfen Wein und einer genüsslich gerauchten Zigarre, dass die ökonomische Realität der DDR diesen systemkonformen „Kapitalisten“ nicht die Laune verdorben hat.
„Kann man leben ohne Arbeit?“: Eines der zahlreichen Themen, die Buyens anspricht, ist die Rolle der Frau im real existierenden Sozialismus. Zwei Drittel von ihnen arbeiten, selbstbewusst und gleichberechtigt. Aber auch die von ihm befragten männlichen Industriearbeiter sind zufrieden, sind überzeugt, dass es allen bald materiell besser gehen wird: „Die DDR ist ein einziger Bauplatz“ kommentiert der Belgier in einer Szene aus dem Schneideraum. Mehrfach geht es auch um das Making-off des Films.
Nur ein Arbeiter aus der zweiten Reihe stört die allgemeine optimistische Grundhaltung: „Die Freiheit ist für mich ein Problem. Ich möchte gerne reisen, 'mal 'was von der Welt sehen. Und das kann ich hier nicht. (…) Ich möchte 'mal nach Schweden. Ich würde alles dafür hingeben, was ich habe, aber es geht nicht, ist nicht drin. Darin fühle ich mich in meiner Freiheit beschnitten, ganz schön sogar.“ Buyens hält dagegen mit zahlreichen Menschen aus aller Welt, die in der DDR studieren und arbeiten. Er spricht im Off-Kommentar über Solidarität und gegenseitiges Verständnis und der Welt als Heimat für alle. Was er verschweigt: Arbeiter wie Studenten waren in der Regel kaserniert, eine „Willkommenskultur“ der DDR-Bevölkerung ausdrücklich unerwünscht. Und der alltägliche Rassismus absolutes Tabu in allen Medien.
„Deutschland – Endstation Ost“ entstand im Auftrag des DDR-Außenministeriums und sollte am Eröffnungsabend der VII. Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche im November 1964 uraufgeführt werden. Buyens erfuhr erst hinterher von der kurzfristigen Absetzung seines Films, für den sich vor allem Wirtschaftsminister Erich Hans Apel und Werner Lamberz, damals noch Kandidat für das Politbüro des Zentralkomitees der SED und späterer DDR-Propagandachef, eingesetzt hatten, während die Defa-Dokumentarfilmer Annelie und Andrew Thorndike eine stärkere ideologisch-politische Ausrichtung eines Eröffnungsstreifens des größten DDR-Filmfestivals gefordert hatten.
Pitt Herrmann
Umso erstaunlicher ist es, dass Buyens seine Dokumentation über das „bessere“ Deutschland mit dem Mauerbau vom 13. August 1961, den er selbst in Ost-Berlin miterlebte, beginnt und der knallharten Feststellung, dass diese Grenze nicht nur die Hauptstadt spaltet mit Folgen, die noch lange spürbar sein werden für die Menschen, sondern ausschließlich in einer Richtung durchlässig ist, von West nach Ost. Dazu wird in längeren Sequenzen auch optisch deutlich, dass die Berliner Mauer kein Abwehrbollwerk gegen die bösen Kapitalisten ist, sondern nach innen gerichtet auf die eigene Bevölkerung zielt.
Die sich in den Interviews, in denen sich Buyens als Ausländer zu erkennen gibt, sehr spontan und, was den Grad der Kritik betrifft, äußerst wagemutig gibt. Naturgemäß überwiegen Antworten überzeugter Sozialisten, die den Mauerbau, kurz zuvor noch von Walter Ulbricht vehement bestritten, in offiziöser Weise rechtfertigen. Wobei es auch heute, Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung, unstrittig ist, dass es Konrad Adenauer war, der mit seiner einseitigen Westbindung und der ausschließlich in den drei Besatzungszonen der westlichen Alliierten vollzogenen Währungsreform die Notwendigkeit zu einer Gegenreaktion Ost-Berlins heraufbeschwor. Zu groß war der Sog der harten D-Mark-Währung für ein vergleichsweise kleines und armes Land, dass gerade mühsam dabei war, sich von der durch Reparationsleistungen ausgebeuteten Sowjetischen Besatzungszone zu einem halbwegs souveränen Staat im Ostblock-Verbund zu entwickeln.
Aber es gibt auch kritische Stimmen wie die eines jungen Berliners: „Die Mauer, die hätte hier gar nicht hinkommen sollen.“ Deutlicher wird ein etwas älterer Mann: „Die Mauer passt hier überhaupt nicht her. Wir sind ja hier eingesperrt, sozusagen.“ Auf die Spitze der Kritik treibt es eine Frau am Marktstand: „Nein, die Mauer muss weg! Man kann ja nicht zu seinen Verwandten. Also, ich bin im staatlichen Handel, aber ich würde jedes Wochenende zurückkommen, denn man hatte ja vorher die Gelegenheit zu gehen.“ Selbst diese wagemutig offene Frau, die dem belgischen Filmemacher unverblümt zuruft: „Die Mauer muss weg, unbedingt!“, zeigt sich von der propagandistischen Schwarzweißmalerei des Kalten Krieges der 1960er Jahre unbeeindruckt: „Na, wissen Sie, einer allein ist nie schuld. Ich sage, wie es ist. Aber was soll ich noch mehr sagen? Kommentar überflüssig!“
„Kommentar überflüssig“ gilt auch für die darauffolgenden Befragungen, singulär in der Geschichte der Defa: Frans Buyens spricht mit NVA-Grenzsoldaten. Nicht mit politisch geschulten Führungsoffizieren, sondern mit jungen Rekruten, die nicht lange herumdrucksen: „Wir legen keinen Wert darauf, Menschen zu erschießen.“ Andererseits würden sie es sicherlich tun, wenn sich ein Bürger ihres eigenen Landes unbefugt den Grenzanlagen nähern sollte, die doch nach offizieller Version nur gegen die Feinde aus dem kapitalistischen Westen gerichtet sind. Wie es ja auch keinen staatlichen Schießbefehl gegeben hat, weshalb in den Prozessen nach der Wende auch kein höherer Offizier der Grenztruppen verurteilt werden konnte.
Weit weniger spektakulär sind die Schilderungen des Belgiers über Land und Leute in der DDR-Provinz. Mit historischen Exkursen etwa zur Bodenreform, zur Gründung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften Mitte der 1950er Jahre und zur Aufstellung der Volkswirtschaftspläne: Die Bürger im sozialistischen Deutschland brauchen sich weder um ihren Arbeitsplatz noch um ihre soziale Sicherheit zu sorgen, können günstig wohnen und erhalten alle Grundnahrungsmittel zu staatlich subventionierten Preisen. Das Schul-, Ausbildungs- und Gesundheitswesen sind vorbildlich und brauchen keinen Systemvergleich zu scheuen, was selbstredend auch für das reichhaltige Kulturleben gilt.
Aber auch hier hakt der Belgier mit dem Blick des Außenstehenden nach. Etwa in einem sehr ausführlichen Gespräch mit einstmals selbständigen Unternehmern und Freiberuflern, die sich nun mit der sozialistischen Planwirtschaft arrangieren müssen. Die staatliche Beteiligung gebe Sicherheit, eine Höchstbesteuerung von neunzig Prozent mache aber eine für Investitionen notwendige Kapitalbildung unmöglich. Gleichzeitig offenbart das selbstbewusste Auftreten dieser Herren bei einem edlen Tropfen Wein und einer genüsslich gerauchten Zigarre, dass die ökonomische Realität der DDR diesen systemkonformen „Kapitalisten“ nicht die Laune verdorben hat.
„Kann man leben ohne Arbeit?“: Eines der zahlreichen Themen, die Buyens anspricht, ist die Rolle der Frau im real existierenden Sozialismus. Zwei Drittel von ihnen arbeiten, selbstbewusst und gleichberechtigt. Aber auch die von ihm befragten männlichen Industriearbeiter sind zufrieden, sind überzeugt, dass es allen bald materiell besser gehen wird: „Die DDR ist ein einziger Bauplatz“ kommentiert der Belgier in einer Szene aus dem Schneideraum. Mehrfach geht es auch um das Making-off des Films.
Nur ein Arbeiter aus der zweiten Reihe stört die allgemeine optimistische Grundhaltung: „Die Freiheit ist für mich ein Problem. Ich möchte gerne reisen, 'mal 'was von der Welt sehen. Und das kann ich hier nicht. (…) Ich möchte 'mal nach Schweden. Ich würde alles dafür hingeben, was ich habe, aber es geht nicht, ist nicht drin. Darin fühle ich mich in meiner Freiheit beschnitten, ganz schön sogar.“ Buyens hält dagegen mit zahlreichen Menschen aus aller Welt, die in der DDR studieren und arbeiten. Er spricht im Off-Kommentar über Solidarität und gegenseitiges Verständnis und der Welt als Heimat für alle. Was er verschweigt: Arbeiter wie Studenten waren in der Regel kaserniert, eine „Willkommenskultur“ der DDR-Bevölkerung ausdrücklich unerwünscht. Und der alltägliche Rassismus absolutes Tabu in allen Medien.
„Deutschland – Endstation Ost“ entstand im Auftrag des DDR-Außenministeriums und sollte am Eröffnungsabend der VII. Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche im November 1964 uraufgeführt werden. Buyens erfuhr erst hinterher von der kurzfristigen Absetzung seines Films, für den sich vor allem Wirtschaftsminister Erich Hans Apel und Werner Lamberz, damals noch Kandidat für das Politbüro des Zentralkomitees der SED und späterer DDR-Propagandachef, eingesetzt hatten, während die Defa-Dokumentarfilmer Annelie und Andrew Thorndike eine stärkere ideologisch-politische Ausrichtung eines Eröffnungsstreifens des größten DDR-Filmfestivals gefordert hatten.
Pitt Herrmann
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Die sich in den Interviews, in denen sich Buyens als Ausländer zu erkennen gibt, sehr spontan und, was den Grad der Kritik betrifft, äußerst wagemutig gibt. Naturgemäß überwiegen Antworten überzeugter Sozialisten, die den Mauerbau, kurz zuvor noch von Walter Ulbricht vehement bestritten, in offiziöser Weise rechtfertigen. Wobei es auch heute, Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung, unstrittig ist, dass es Konrad Adenauer war, der mit seiner einseitigen Westbindung und der ausschließlich in den drei Besatzungszonen der westlichen Alliierten vollzogenen Währungsreform die Notwendigkeit zu einer Gegenreaktion Ost-Berlins heraufbeschwor. Zu groß war der Sog der harten D-Mark-Währung für ein vergleichsweise kleines und armes Land, dass gerade mühsam dabei war, sich von der durch Reparationsleistungen ausgebeuteten Sowjetischen Besatzungszone zu einem halbwegs souveränen Staat im Ostblock-Verbund zu entwickeln.
Aber es gibt auch kritische Stimmen wie die eines jungen Berliners: „Die Mauer, die hätte hier gar nicht hinkommen sollen.“ Deutlicher wird ein etwas älterer Mann: „Die Mauer passt hier überhaupt nicht her. Wir sind ja hier eingesperrt, sozusagen.“ Auf die Spitze der Kritik treibt es eine Frau am Marktstand: „Nein, die Mauer muss weg! Man kann ja nicht zu seinen Verwandten. Also, ich bin im staatlichen Handel, aber ich würde jedes Wochenende zurückkommen, denn man hatte ja vorher die Gelegenheit zu gehen.“ Selbst diese wagemutig offene Frau, die dem belgischen Filmemacher unverblümt zuruft: „Die Mauer muss weg, unbedingt!“, zeigt sich von der propagandistischen Schwarzweißmalerei des Kalten Krieges der 1960er Jahre unbeeindruckt: „Na, wissen Sie, einer allein ist nie schuld. Ich sage, wie es ist. Aber was soll ich noch mehr sagen? Kommentar überflüssig!“
„Kommentar überflüssig“ gilt auch für die darauffolgenden Befragungen, singulär in der Geschichte der Defa: Frans Buyens spricht mit NVA-Grenzsoldaten. Nicht mit politisch geschulten Führungsoffizieren, sondern mit jungen Rekruten, die nicht lange herumdrucksen: „Wir legen keinen Wert darauf, Menschen zu erschießen.“ Andererseits würden sie es sicherlich tun, wenn sich ein Bürger ihres eigenen Landes unbefugt den Grenzanlagen nähern sollte, die doch nach offizieller Version nur gegen die Feinde aus dem kapitalistischen Westen gerichtet sind. Wie es ja auch keinen staatlichen Schießbefehl gegeben hat, weshalb in den Prozessen nach der Wende auch kein höherer Offizier der Grenztruppen verurteilt werden konnte.
Weit weniger spektakulär sind die Schilderungen des Belgiers über Land und Leute in der DDR-Provinz. Mit historischen Exkursen etwa zur Bodenreform, zur Gründung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften Mitte der 1950er Jahre und zur Aufstellung der Volkswirtschaftspläne: Die Bürger im sozialistischen Deutschland brauchen sich weder um ihren Arbeitsplatz noch um ihre soziale Sicherheit zu sorgen, können günstig wohnen und erhalten alle Grundnahrungsmittel zu staatlich subventionierten Preisen. Das Schul-, Ausbildungs- und Gesundheitswesen sind vorbildlich und brauchen keinen Systemvergleich zu scheuen, was selbstredend auch für das reichhaltige Kulturleben gilt.
Aber auch hier hakt der Belgier mit dem Blick des Außenstehenden nach. Etwa in einem sehr ausführlichen Gespräch mit einstmals selbständigen Unternehmern und Freiberuflern, die sich nun mit der sozialistischen Planwirtschaft arrangieren müssen. Die staatliche Beteiligung gebe Sicherheit, eine Höchstbesteuerung von neunzig Prozent mache aber eine für Investitionen notwendige Kapitalbildung unmöglich. Gleichzeitig offenbart das selbstbewusste Auftreten dieser Herren bei einem edlen Tropfen Wein und einer genüsslich gerauchten Zigarre, dass die ökonomische Realität der DDR diesen systemkonformen „Kapitalisten“ nicht die Laune verdorben hat.
„Kann man leben ohne Arbeit?“: Eines der zahlreichen Themen, die Buyens anspricht, ist die Rolle der Frau im real existierenden Sozialismus. Zwei Drittel von ihnen arbeiten, selbstbewusst und gleichberechtigt. Aber auch die von ihm befragten männlichen Industriearbeiter sind zufrieden, sind überzeugt, dass es allen bald materiell besser gehen wird: „Die DDR ist ein einziger Bauplatz“ kommentiert der Belgier in einer Szene aus dem Schneideraum. Mehrfach geht es auch um das Making-off des Films.
Nur ein Arbeiter aus der zweiten Reihe stört die allgemeine optimistische Grundhaltung: „Die Freiheit ist für mich ein Problem. Ich möchte gerne reisen, 'mal 'was von der Welt sehen. Und das kann ich hier nicht. (…) Ich möchte 'mal nach Schweden. Ich würde alles dafür hingeben, was ich habe, aber es geht nicht, ist nicht drin. Darin fühle ich mich in meiner Freiheit beschnitten, ganz schön sogar.“ Buyens hält dagegen mit zahlreichen Menschen aus aller Welt, die in der DDR studieren und arbeiten. Er spricht im Off-Kommentar über Solidarität und gegenseitiges Verständnis und der Welt als Heimat für alle. Was er verschweigt: Arbeiter wie Studenten waren in der Regel kaserniert, eine „Willkommenskultur“ der DDR-Bevölkerung ausdrücklich unerwünscht. Und der alltägliche Rassismus absolutes Tabu in allen Medien.
„Deutschland – Endstation Ost“ entstand im Auftrag des DDR-Außenministeriums und sollte am Eröffnungsabend der VII. Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche im November 1964 uraufgeführt werden. Buyens erfuhr erst hinterher von der kurzfristigen Absetzung seines Films, für den sich vor allem Wirtschaftsminister Erich Hans Apel und Werner Lamberz, damals noch Kandidat für das Politbüro des Zentralkomitees der SED und späterer DDR-Propagandachef, eingesetzt hatten, während die Defa-Dokumentarfilmer Annelie und Andrew Thorndike eine stärkere ideologisch-politische Ausrichtung eines Eröffnungsstreifens des größten DDR-Filmfestivals gefordert hatten.
Pitt Herrmann