Die beiden „Wachhunde“ Cornells (Lutz Mackensy) und Schüssler (Horst-Michael Neutze) langweilen sich in der Eintönigkeit des Tages und der auf ihn folgenden Nacht. Coyoacan, ein kleiner Vorort von Mexiko-Stadt, ist für Leo Trotzki (eindrucksvoll: René Deltgen verschmilzt geradezu mit seiner Rolle), den Theoretiker der „permanenten Revolution“ und Gründer der revolutionären Roten Armee der Sowjetunion, zum letzten Zufluchtsort vor seinem Gegenspieler Stalin geworden.
Fledermäuse, Ratten, der eine oder andere geworfene Stein oder eine Salve aus einer Maschinenpistole – die Ausweglosigkeit der Exilsituation Trotzkis wird anschaulich vorgeführt in der sich ständig wiederholenden Tristesse des Alltags. Er hat sich mit seinen Gefährten Hansen (Rolf Defrank), Rosmer (Wolfgang Engels) und dessen Gattin (Melanie de Graaf), Sedova (Edith Heerdegen), Rühle (Ernst Dietz) und Agelof (Ingeburg Kranstein) in einer alten, verbarrikadierten Villa zurückgezogen und muss dennoch ständig eines Anschlags gegen sein Leben gegenwärtig sein.
Kaninchen und Kakteen, die GPU vor der Tür und eine gemütsmenschliche Natalia Sedova, seine zweite Frau, dahinter: Trotzki bereitet eigenhändig das Essen zu, während sich seine genervten, zunehmend nervösen Anhänger vor der sowjetischen Geheimpolizei und aufgeputschten Mexikanern fürchten, aber auch vor der Ungewissheit und der Leere des Alltags, aus dem es bis auf die Mahlzeiten und, sofern vorhanden, kleineren Hobbies keine Fluchtmöglichkeiten gibt.
„Bürgerliches Heldenleben“: Beim Essen wird einmal mehr die ausweglose Lage der IV. Internationale Trotzkis besprochen. Genosse Otto Rühle hat den notwendigen Abstand zur ideologischen Weltsicht, um die Aussichten und politischen Einflussmöglichkeiten real einzuschätzen. Die Lage müsste sich ändern, wofür lohnt es sich sonst, zu leben? Doch es besteht keine Hoffnung auf Besserung, auch wenn Trotzki gebetsmühlenartig verkündet: „Die Arbeiter der Sowjetunion werden es nicht länger dulden, dass die Revolution durch Verbrechen besudelt wird.“
In dieser Bunkeratmosphäre wird ein Überfall mexikanischer Arbeiter auf die Villa geradezu als erlösende Abwechslung vom Alltagsgrau genommen, obwohl diese natürlich aus Sicht der Überfallenen gegen die eigenen Interessen handeln. Nachdem Trotzki und die Seinen mehrere Anschläge dieser Arzt überstanden haben, hat sich ein neuer Gast zum Hühnchenessen angemeldet: Jacson alias Mercader (Josef Fröhlich), ein Freund der Genossin Sylvia Agelof. Was niemand ahnt: Der GPU-Agent trägt unter seinem Mantel einen Eispickel...
Der aus der DDR emigrierte Dramatiker Helmut Lange, der unter den Bühnenautoren als besonders scharfsinniger Dialektiker gilt, schildert in seinem 1972 im Deutschen Schauspielhaus Hamburg mit Karl Maria Schley in der Titelrolle uraufgeführten Einakter „Trotzki in Coyoacan“ die letzten Stunden des müden Revolutionärs Leo Trotzki, der im August 1940 in seinem mexikanischen Asyl von dem Geheimagenten Roman de Rio Mercader ermordet wurde. Welcher sich im übrigen nach zwanzigjähriger Haft 1960 nach Cuba absetzte und seine(n) Auftraggeber nicht preisgegeben hat.
Helmut Lange über seinen „Schwanengesang auf den klassischen Marxismus“: „Es ist einfach ein Theaterstück über Trotzkis letzte Tage. Ich wollte die Einsamkeit und Ermordung dieses Mannes rekonstruieren, ohne politisch zu diskutieren, zu agitieren oder nur eine Dokumentation abzuliefern. Trotzki hat gelitten, weil seine Revolution sich konservierte, weil sich der Kommunismus in den Stalinismus einigelte und weil selbst seine Schüler die IV. Internationale zum rein intellektuellen Adelsklub aufblähten.“ Der Dramatiker hat sein Stück selbst für den Bildschirm adaptiert, Rolf Buschs Auftragsproduktion für das ZDF ist dort am 17. November 1975 erstausgestrahlt worden.
Kommentare
Sie haben diesen Film gesehen? Dann freuen wir uns auf Ihren Beitrag!
Jetzt anmelden oder registrieren und Kommentar schreiben.
Fledermäuse, Ratten, der eine oder andere geworfene Stein oder eine Salve aus einer Maschinenpistole – die Ausweglosigkeit der Exilsituation Trotzkis wird anschaulich vorgeführt in der sich ständig wiederholenden Tristesse des Alltags. Er hat sich mit seinen Gefährten Hansen (Rolf Defrank), Rosmer (Wolfgang Engels) und dessen Gattin (Melanie de Graaf), Sedova (Edith Heerdegen), Rühle (Ernst Dietz) und Agelof (Ingeburg Kranstein) in einer alten, verbarrikadierten Villa zurückgezogen und muss dennoch ständig eines Anschlags gegen sein Leben gegenwärtig sein.
Kaninchen und Kakteen, die GPU vor der Tür und eine gemütsmenschliche Natalia Sedova, seine zweite Frau, dahinter: Trotzki bereitet eigenhändig das Essen zu, während sich seine genervten, zunehmend nervösen Anhänger vor der sowjetischen Geheimpolizei und aufgeputschten Mexikanern fürchten, aber auch vor der Ungewissheit und der Leere des Alltags, aus dem es bis auf die Mahlzeiten und, sofern vorhanden, kleineren Hobbies keine Fluchtmöglichkeiten gibt.
„Bürgerliches Heldenleben“: Beim Essen wird einmal mehr die ausweglose Lage der IV. Internationale Trotzkis besprochen. Genosse Otto Rühle hat den notwendigen Abstand zur ideologischen Weltsicht, um die Aussichten und politischen Einflussmöglichkeiten real einzuschätzen. Die Lage müsste sich ändern, wofür lohnt es sich sonst, zu leben? Doch es besteht keine Hoffnung auf Besserung, auch wenn Trotzki gebetsmühlenartig verkündet: „Die Arbeiter der Sowjetunion werden es nicht länger dulden, dass die Revolution durch Verbrechen besudelt wird.“
In dieser Bunkeratmosphäre wird ein Überfall mexikanischer Arbeiter auf die Villa geradezu als erlösende Abwechslung vom Alltagsgrau genommen, obwohl diese natürlich aus Sicht der Überfallenen gegen die eigenen Interessen handeln. Nachdem Trotzki und die Seinen mehrere Anschläge dieser Arzt überstanden haben, hat sich ein neuer Gast zum Hühnchenessen angemeldet: Jacson alias Mercader (Josef Fröhlich), ein Freund der Genossin Sylvia Agelof. Was niemand ahnt: Der GPU-Agent trägt unter seinem Mantel einen Eispickel...
Der aus der DDR emigrierte Dramatiker Helmut Lange, der unter den Bühnenautoren als besonders scharfsinniger Dialektiker gilt, schildert in seinem 1972 im Deutschen Schauspielhaus Hamburg mit Karl Maria Schley in der Titelrolle uraufgeführten Einakter „Trotzki in Coyoacan“ die letzten Stunden des müden Revolutionärs Leo Trotzki, der im August 1940 in seinem mexikanischen Asyl von dem Geheimagenten Roman de Rio Mercader ermordet wurde. Welcher sich im übrigen nach zwanzigjähriger Haft 1960 nach Cuba absetzte und seine(n) Auftraggeber nicht preisgegeben hat.
Helmut Lange über seinen „Schwanengesang auf den klassischen Marxismus“: „Es ist einfach ein Theaterstück über Trotzkis letzte Tage. Ich wollte die Einsamkeit und Ermordung dieses Mannes rekonstruieren, ohne politisch zu diskutieren, zu agitieren oder nur eine Dokumentation abzuliefern. Trotzki hat gelitten, weil seine Revolution sich konservierte, weil sich der Kommunismus in den Stalinismus einigelte und weil selbst seine Schüler die IV. Internationale zum rein intellektuellen Adelsklub aufblähten.“ Der Dramatiker hat sein Stück selbst für den Bildschirm adaptiert, Rolf Buschs Auftragsproduktion für das ZDF ist dort am 17. November 1975 erstausgestrahlt worden.
Pitt Herrmann