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Basierend auf dem Buch des Schweizer Autors Charles Lewinsky steht im Mittelpunkt des Ein-Personen-Films "Ein ganz gewöhnlicher Jude" ein jüdischer Journalist namens Emanuel Goldfarb, der eingeladen wird, an einer Schule über seinen Alltag als "jüdischer Mitbürger" zu sprechen. Goldfarb, der das Ganze für eine idiotische Idee hält, da über das Thema schon mehr als genug gesagt worden sei, schreibt dem betreffenden Lehrer einen Absagebrief – der sich zu seiner eigenen Überraschung jedoch zu einer umfassenden Abrechnung mit dem deutsch-jüdischen Verhältnis entwickelt.
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Dabei ist Goldfarb sich sicher, ein ganz gewöhnlicher Jude zu sein, der mit seinem Projekt, ein ganz gewöhnlicher Deutscher zu werden, gescheitert ist: „Wir können nicht loslassen, weil wir immer mit Aufarbeiten beschäftigt sind. (...) Viel zu viel Geschichte für so wenige Leute.“ Emanuel Goldfarb, dessen Eltern ein Eisenwarengeschäft betrieben haben, ist 1959 in Deutschland geboren. Also ein deutscher Jude. Oder doch nur ein Jude in Deutschland? „Wir sind ein auserwähltes Volk. Ich weiß nicht, womit wir das verdient haben. Ich meine, Gott könnte sich allmählich ein anderes Volk erwählen, die Belgier oder die Ostfriesen. Uns reichts.“
Goldfarb rechnet ab. Mit den Deutschen („Eins ist sicher: In Deutschland wird es nie mehr wieder Antisemitismus geben. Auch so ein jüdischer Witz“), mit den Juden („There is no Business like Shoa-Business“) und vor allem mit sich selbst. Er rollt seine Biographie und die seiner Familie auf und spricht seine Generalabrechnung ins Diktiergerät, sozusagen als Materialsammlung für die fest eingeplante Absage an Gebhardt.
Carl-Friedrich Koschnicks Kamera folgt Ben Becker dabei durch die schicke, großzügige, moderne Wohnung und das ganze Haus bis in den Keller, auf den Balkon und schließlich vor die Tür. Am allzu abrupten und dazu auch noch zweifelhaft musikalisch unterlegten Ende sitzt Manuel Goldfarb trotz allem vor Hamburger Gymnasiasten mit erwartungsvollen bis gelangweilten Gesichtsausdrücken. Nach einigen quälenden Sekunden des stummen Gegenüber, des Abtastens ohne jede gestische oder mimische Regung, gibt sich Goldfarb einen Ruck. „Also gut“, sagt er mit einem breiten, geradezu jungenhaften Lächeln...
Oliver Hirschbiegel macht aus dem gleichnamigen, 2005 erschienenen Buch und dem daraus entstandenen monologischen Theaterstück des Schweizer Schriftstellers Charles Lewinsky einen zumindest über weite Strecken dialogischen Film. Ben Becker führt einen fiktiven Dialog mit dem Lehrer Gebhardt, hält Zwiesprache mit dem Diktiergerät, kramt in Fotos und alten Erinnerungsstücken an die Familie und die eigene Vergangenheit, führt einem fiktiven Gegenüber den Ritus des traditionellen jüdischen Gebets vor, beichtet seine Anteil am Scheitern der Ehe mit der katholischen Maschinenbaustudentin Hanna und sagt am Telefon ein Treffen mit seiner Freundin Claudia ab.
Oliver Hirschbiegels Film weicht am Ende signifikant vom Drehbuch Charles Lewinskys ab, der „seinem“ Emanuel Goldfarb den Besuch in der Schule versagte. Der Regisseur im Presseheft: „Im gesamten Text geht es um die Geschichte der Juden, um die Juden als das auserwählte Volk. Diese Idee, für die sie ja immer angegriffen und verfolgt wurden, meint nichts anderes, als dass die Juden ein beispielhaftes Volk sind, das an Modellen arbeitet, die vorbildhaften Charakter für den Rest der Menschen haben können. Nun hat dieses Volk über Jahrtausende gelitten, und in diesem Leid, in dieser ständigen Not eine Haltung entwickelt, die, wie ich finde, in der Tat global ein Beispiel ist: das ist das Lachen, der Humor. Im schlimmste Elend hat dieses Volk das Werkzeug des Lachens, und das ist die einzige Antwort auf jede Form von Unterdrückung und Gewalt: dass Menschen sprechen, mutig sprechen und das Lachen einschließen in ihre Kommunikation. Das ist der einzige Weg, um Kriege zu vermeiden. Goldfarb geht nicht in die Schule, um eine versöhnende Geste zu machen, sondern weil er klug genug ist zu wissen, dass er sich dem Thema stellen muss. Der einzige Weg weiterzukommen, ist zuzuhören und sich eine Offenheit zu bewahren und im Zweifelsfall zu lachen. Das ist der logische und für mich einzig denkbare Schluss. Das Sprechen muss weitergehen und das Zuhören muss weitergehen.“
Pitt Herrmann