Inhalt
Essayistischer Dokumentarfilm über den avantgardistischen japanischen Modemacher Yohji Yamamoto. Zwischen Paris und Tokyo, Ateliers und Laufstegen, entsteht eine Art filmisches Tagebuch über die Kunst des Kleidens – das Wenders auch zu einer Reflexion über sein eigenes Schaffen anregt.
Kommentare
Sie haben diesen Film gesehen? Dann freuen wir uns auf Ihren Beitrag!
Jetzt anmelden oder registrieren und Kommentar schreiben.
Wie Wenders versteht sich Yamamoto, Sohn einer Tokioter Schneiderin, der abwechselnd in der japanischen und in der französischen Hauptstadt arbeitet, als Handwerker, der im Fertigen einer Sache das Wesen der Sache zu finden sucht. Beide bekennen ihre hohe Wertschätzung für einfache, qualitätvolle Dinge abseits der gedankenlosen Wegwerf-Mentalität in unserer industriell bestimmten Konsum-Gesellschaft. Identität: Bei einer Autofahrt durch Paris zu Beginn der 81-minütigen, am 29. März 1990 in den Kinos gestarteten Dokumentation, kommt zugleich in einem kleinen in die Kamera gehaltenen Sony-Gerät eine Autofahrt durch Tokio mit ins Bild. Was programmatisch die beiden Pole des Films, der 2014 von Arri Berlin in 4k-Qualität restauriert und digitalisiert worden ist, offenbart.
Blick auf einen Friedhof. „Hier also ein Film von dieser Sorte: Durch nichts gerechtfertigt als seine Neugier“ bekundet Wenders und spricht mit Yamamoto auf dem Dach des Centre Pompidou mit Blick auf das Künstlerviertel Montmartre. Kleider machen bedeutet für den Japaner, an die Menschen zu denken, auch wenn er in den meisten Fällen seine Kunden nicht kennt. Mit Wenders verbindet ihn die Begeisterung für die Fotografien August Sanders, beide besitzen dessen Bildband „Menschen des 20. Jahrhunderts“. Für Yamamoto stehen hinter den Porträts das Leben der Menschen, ihr Beruf und ihre gesellschaftliche Stellung. Es sind, sagt auch Wenders, Bilder, die Geschichten erzählen.
„Mode? Damit habe ich nichts am Hut! Das war zumindest meine erste Reaktion, als das Centre Georges Pompidou in Paris mich fragte, ob ich Lust hätte, einen Kurzfilm über einen Modedesigner zu machen“ gesteht der Filmemacher. Und: „Die Welt der Mode! Ich bin interessiert an der Welt, nicht an der Mode! Aber vielleicht bin ich zu voreilig mit meinem Urteil. Warum sollte ich nicht einmal versuchen, mich dem Thema ohne Vorurteile zu nähern? Warum Mode nicht einfach als Industrie wie jede andere anschauen, wie die Filmindustrie zum Beispiel?“ Sein „Tagebuchfilm“, wie Wenders ihn nennt, setzt sich jedoch gerade nicht mit der industriellen Warenproduktion auseinander, sondern betont die handwerklichen Gemeinsamkeiten zwischen dem japanischen Mode- und dem deutschen Filmemacher.
Und zwar inhaltlich wie ästhetisch. Während der Modemacher seine neue, für Europa kreierte Kollektion vorbereitet, die in Paris über den Laufsteg gehen soll, oder damit beschäftigt ist, ein neues Tokioter Geschäft seines Labels einzurichten, ist auf besagtem kleinen Video-Bildschirm als Film im Film sein Gesicht beim Interview mit dem Filmemacher zu sehen – und im Vordergrund steht ein klassischer Schneidetisch für analoges Filmmaterial: Eine ganz neue Art von Split-Screen-Technik über den digitalen Bildschirm hinaus. Wenders hat neben Robby Müller und anderen auch selbst gedreht. Nicht nur mit seiner kleinen 35mm-Kamera, da diese nur über eine Tageslichtspule von dreißig Metern verfügt, sondern auch mit einer vergleichsweise handlichen und Yamamotos konzentrierte Arbeit weniger störenden Videokamera.
„Filmemachen“, so Wenders in seinem Kommentar, „sollte manchmal einfach eine Art zu leben sein. Wie zum Beispiel spazieren gehen, Zeitung lesen, essen, sich etwas aufschreiben, Auto fahren, oder eben diesen Film zu drehen, der sich von Tag zu Tag selber schreibt, angetrieben durch die Neugierde an einer Sache.“ Bis zu „Aufzeichnungen zu Kleidern und Städten“ hatte Wenders, der mit seiner Videokamera einmal kurz im Spiegel des Tokioter Ateliers zu sehen ist, ein eher abschätziges Verhältnis zur digitalen Technik: „Plötzlich, auf den turbulenten Straßen Tokios, wurde mir klar: Das gültige Bild dieser Stadt könnte sehr wohl ein elektronisches sein und nicht nur mein geheiligtes Zelluloidbild. In ihrer eigenen Sprache fing die Videokamera diese Stadt auf eine angemessene Weise ein – ich war schockiert. Die Sprache der Bilder war also nicht das Privileg des Kinos? Musste ich Begriffe wie Identität, Sprache, Autor neu bestimmen?“
„Für Solveig“ lautet die Widmung im Abspann. Gemeint ist die algerisch-französische Schauspielerin Solveig Dommartin (1958 – 2007), die ihr Kinodebüt 1987 als Marion in „Der Himmel über Berlin“ gegeben hat – in einem Kostüm von Yohji Yamamoto. Insgesamt wirkte die zeitweilige Lebensgefährtin des Regisseurs zwischen 1985 und 1993 in vier Wenders-Filmen mit.
Pitt Herrmann