Inhalt
Marlena und ihr etwas jüngerer Partner Tomasz führen ein glückliches Leben in einem abgelegenen Haus am Meer. Ihre Zweisamkeit und Ruhe wird gestört, als Marlena trotz Tomasz' Vorbehalten beschließt, ihren entfremdeten und schwerkranken Sohn Mikolaj bei sich aufzunehmen. Der Einzug und die Pflege von Mikolaj stellen die Beziehung von Marlena und Tomasz bald auf eine harte Probe. Die Situation verschärft sich weiter, als durch Mikolajs Anwesenheit nach und nach auch lang verborgene Familiengeheimnisse ans Licht kommen.
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Nächster Tag, neuer Versuch. Iza führt Marlena behutsam ins ruhige Wasser. Als diese am Abend nach Hause kommt, liegt ihr um etwa zwei Jahrzehnte jüngerer Partner „Tomek“ Tomasz gerade entspannt in der Badewanne. Sie leben dem ersten Eindruck nach glücklich in der Abgeschiedenheit eines einsam am Strand gelegenen Hauses: in einer Teleobjektiv-Einstellung scheinen die Ostsee-Wellen bis zur Haustür zu reichen.
„Wir müssen gar nichts tun“ beharrt Tomek auf der Zugfahrt nach Warschau, um Marlenas seit zwei Jahren in einer medizinischen Einrichtung lebenden, schwerkranken 41-jährigen Sohn Mikolaj nach Hause zu holen. Seine Schwester Magda hat sich offenbar bisher um ihn gekümmert, 32.000 Złoty für die Klinik aufgebracht, nun ist sie an ihre Grenzen gestoßen. Herzflimmern: Nach einer Schrecksekunde geht’s mit dem Krankenwagen zurück an die Küste. Marlena hat sich geschworen: „Ich werde ihn nicht noch einmal verlassen.“
Der Alltag erweist sich freilich schwierig. Obwohl Iza regelmäßig vorbeikommt und Tomek hilft, wirft die aufreibende Pflege Mikolajs rund um die Uhr bald einen Schatten auf Marlenas Beziehung zu Tomek, die – unausgesprochen - eine Besondere sein muss: Sie entzieht sich zunehmend seinem Drängen, er reagiert mit Eifersucht. Selbst als Marlena ihm zum Geburtstag beim Essen im Restaurant eine Armbanduhr schenkt, bleibt das Verhältnis so schwierig, dass Tomek seine Sachen packt und auszieht.
Wenn Iza, die mit ihrem Sohn im gleichen Haus wohnt, sie am Krankenbett ablöst, kann Marlena beim Spaziergang ans Meer auf andere Gedanken kommen – und beim Beobachten der Robben am Strand die permanente Geräuschkulisse des schreienden Sohnes wenigstens für kurze Zeit vergessen. Mikolajs Tod ist daher eine Erlösung für alle. Tomek erscheint zur Beerdigung, auch Magda, die dem toten Bruder den Bart abrasiert zur letzten Ölung durch den Pfarrer.
Doch dann fällt Magda plötzlich aus der Rolle, ist anscheinend eifersüchtig auf ihre Mutter – und sogar auf Tomek. Nur Izas Anwesenheit verhindert eine Eskalation. Ihr offenbart sich Marlena später in den diesmal hohen Wellen der aufgewühlten Ostsee: Tomek ist ihr Sohn…
„Die Verlorenen“, der polnische Originaltitel „Głupcy“ bedeutet „Die Törichten“, ist eine düstere, auf lange Kameraeinstellungen und sogar Standbilder bauende Inzest-Geschichte. In seinem vierten Spielfilm setzt der polnische Regisseur einmal mehr auf eine geheimnisvoll-dräuende Stimmung, die durch kühle Räume in fahlem Licht noch verstärkt wird. Das mit einiger Distanz gedrehte und gespielte Drama ist auch eine Eifersuchts-Geschichte um die Liebe einer Mutter, die sich nicht verzeihen kann, den einen Sohn gegenüber seinen Geschwistern bevorzugt zu haben.
Tomasz Wasilewski im Eksystent-Presseheft: „Letztendlich wollte ich einen Film über die schwierigste Liebe machen, die ich mir vorstellen konnte. Das hat mich zuerst angezogen. Ich wollte versuchen, diese Liebe zu verteidigen. Auch möchte ich betonen, dass ich hier nicht über Beziehungen mit Minderjährigen oder Gewalt spreche. Ich zeige zwei Erwachsene, die sich so bewusst wie möglich dazu entschlossen haben. Es hat eine lange Zeit gedauert, das Drehbuch fertigzustellen. Ich wollte mit diesen Charakteren Freundschaft schließen, nicht sie verurteilen.“
Dorota Kolak hat dreimal die Übernahme dieser gerade aus polnisch-katholischer Sicht höchst problematischen Mutter-Rolle abgelehnt, bevor sie Tomasz Wasilewski dazu überreden konnte: Sie hatte bereits in seinem Film „United States of Love“ über vier Frauen in der polnischen Provinz nach dem Zerfall des Ostblocks mitgewirkt, der 2016 auf der Berlinale mit dem Silbernen Bären für das beste Drehbuch ausgezeichnet worden war.
Pitt Herrmann