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Der Filmemacher Jan Schmidt-Garre begleitet in seinem Dokumentarfilm drei außergewöhnliche Sopranistinnen. Ermonela Jaho, Barbara Hannigan und Asmik Grigorian geben Einblicke in ihr Leben auf der Bühne: Momente voller Glück, aber auch schwarze Abgründe, ohne die keine große Kunst entstehen kann.
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Jan Schmidt-Garre, selbst Opernregisseur, war nicht an einem Porträt der drei Weltstars interessiert, sondern spürte zusammen mit seinem Kameramann Thomas Bresinsky dem „heiligen Feuer“ nach, dem – nach Francesco Petrarca – „Gesang, den man in der Seele hört“. Um ihren Geheimnissen auf die Spur zu kommen, kamen sie ihren Protagonistinnen backstage so nah wie nie: Wie gestalten sie sie den Tag vor einer Premiere? Wie bereiten sie sich vor, damit ein perfekter Auftritt gelingt? Wann kommen sie ins Theater? Was geht ihnen durch den Kopf, wenn sie wenige Minuten vor dem Auftritt ein letztes Mal über die leere Bühne gehen? Was geschieht in den Sekunden vor dem Auftritt?
„Eine gequälte Seele hilft dem Künstler“ äußert sich Ermonela Jaho ganz im Sinne Carla Gavazzis, die in „Opera Fanatic“ bekannte: „Ich habe mich nie geschont.“ Um das Publikum zum Weinen zu bringen, müsse man selbst weinen. Ermonela Jaho drastisch: „Ich muss jedesmal sterben auf der Bühne.“ Was die Close-Up Shots Bresinskys hautnah auf die Leinwand übertragen etwa bei Puccinis „Suor Angelica“. Sie braucht nach Vorstellungen Zeit, um herunterzukommen, die ihr etwa bei Premierenempfängen nicht eingeräumt wird. „Ich wäre eher gestorben als abzusagen“ gibt eine sichtlich gesundheitlich angeschlagene Ermonela Jaho nach ihrer grandiosen Violetta in Verdis „La Traviata“ an der Bayerischen Staatsoper München zu Protokoll: eine Luftrörenentzündung bedrohte ihre Stimmbänder.
Asmik Grigorian gesteht ein, ständig von Panikattacken gequält zu werden, weshalb sie in der Vorbereitung größten Wert auf das Technische lege, auf immer wiederkehrende Rituale zur Kontrolle der eigenen Emotionen. Vor ihren Auftritten benötigt sie absolute Ruhe und meidet in Kantine und Garderobe auch den Kontakt zu den Kollegen. Tschaikowskis „Jolante“ an der Frankfurter Oper sei die erste Premiere gewesen, die sie ohne Betablocker überstanden habe – was für eine Offenheit!
Barbara Hannigan, die vor allem neue, eigens für sie geschrieben Werke singt, will dagegen nicht zu viele Emotionen auf der Bühne zeigen, damit das Publikum die Chance erhält, selbst in diese hineinzukommen. Um ihre Seele zu schonen, unternimmt die Kanadierin am Premierentag nur Vertrautes: keine neuen Locations, keine neue Menschen, keine neuen Gewohnheiten. Das gilt für die Opéra national de Paris, wo sie die Mélisande verkörpert in Claude Debussys „Pelléas et Mélisande“, ebenso wie für Saties „Socrate“ beim Aldeburgh Festival in Großbritannien, letztmals begleitet von ihrem schwerkranken Pianisten und Freund Reinbert de Leeuw. Hinterher aber lässt Barbara Hannigan Champagnerkorken knallen etwa nach dem Dirigat ihres ersten Mahlers, der „Vierten“ mit den Göteborger Symphonikern.
Jan Schmidt-Garre belässt es nicht bei Fakten wie dem Aufwärmtraining Ermonela Jahos mit einem Gymnastikball, sondern bedient sich ungewöhnlicher Mittel, um sich seinem – naturgemäß nicht erreichbaren – Ziel anzunähern: die drei Sopranistinnen lassen sich auf einen inneren Monolog ein, indem sie mittels Kopfhörer ihren eigenen Gesang rekapitulieren, kommentieren und ihre Gedanken im Augenblick des „heiligen Feuers“ preisgeben. Mehr Intimität scheint nicht möglich. „Fuoco sacro“ ist am 21. April 2022 in den Kinos gestartet und bereits am 19. Juni 2022 bei Arte erstausgestrahlt worden.
Pitt Herrmann