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Animationsfilm, basierend auf dem Figurenkosmos des 2016 verstorbenen Karikaturisten Manfred Deix. Österreich, 1967: In der ultrakonservativen Kleinstadt Siegheilkirchen leben fast nur unbelehrbare Nazis. Der Ortspolizist frönt auch im Dienst gerne dem Alkohol, der Pfarrer ist ein gewalttätiger Tyrann und der Friseur sieht sich selbst als nächsten "Führer". Als der junge, künstlerisch begabte Sohn des Kneipenwirts, von allen nur "Rotzbub" genannt, Nacktbilder von der Metzgergehilfin anfertigt, sorgt das für einige Aufregung. Von einer Karriere als Künstler will der Junge sich dennoch nicht abbringen lassen. Als eines Tages eine Gruppe Roma in den Ort zieht, sind die Bewohner außer sich vor Zorn. Mit einer selbst gebauten Bombe planen sie die Fremden zu vertreiben. Doch sie haben die Rechnung ohne den Rotzbub gemacht, der sich in Mariolina, ein Mädchen aus der Gruppe, verliebt hat.
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Sein Berufsweg scheint vorgezeichnet: Er soll vor allem Buchhaltung lernen, um später das elterliche Wirtshaus übernehmen zu können. Dabei zeichnet Rotzbub im Unterricht des im handgreiflichen Sinn schlagfertigen Pfarrers lieber die Kurven der drallen Metzgergehilfin Trude. „Besser als in echt“: Was sich rasch zu einem lukrativen Nebenverdienst ausweitet dank Wimmerls Geschäftstüchtigkeit („das blättert sich“) und eines Matrizen-Vervielfältigungsgerätes.
In Siegheilkirchen scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Die Stammtischbrüder in der „Grünen Rebe“, bestehend aus dem Großbauern Braunauer, dem Friseur Kurz und dem so tumben wie ständig trunkenen Gendarm, trauern immer noch dem Braunauer nach, der einst auf dem Wiener Heldenplatz seine Heimat heim ins Großdeutsche Reich geholt hat.
In Siegheilkirchen droht plötzlich eine neue Zeit anzubrechen. Weil der notgeile Bürgermeister und seine ehrgeizige Gattin den akademischen Kunstmaler Neidhardt mit einer um die derzeitigen Honoratioren aktualisierte Lüftlmalerei an der Rathaus-Fassade beauftragen. Der Wiener ist der Onkel von Rotzbub, der in dessen raffiniert-ironischen Aktzeichnungen ein vielleicht nicht großes, aber jedenfalls förderwürdiges Talent entdeckt. Weshalb ihm sein Neffe bei der Arbeit zur Hand gehen darf. Wenn auch nur zum Anrühren der Farben, was Rotzbubs Leben auch nicht bunter macht.
Für leuchtende Augen sorgen die herausfordernden Blicke der kessen Mariolina, die neuerdings mit ihrer Mama Natascha auf dem Markt Teppiche und andere handgemachte Waren feilbietet. Als die Roma-Frauen, die mit der Großfamilie in sicherem Abstand außerhalb des Ortes am Waldrand kampieren, aus dem Wirtshaus fliegen, weil sein Vater auf das Wohlwollen der Stammtisch-Altnazis angewiesen ist, wechselt Rotzbub in den neueröffneten Espresso Jessy zum menschenfreundlichen Poldi, der niemanden abweist und darin vom gutmütigen Stammgast Marek bestärkt wird.
Braunauer, der einstige Untersturmführer, und seine Gesinnungskumpane wollen mit einer selbstgebauten Bombe den Ort vor den mit dem „Z“-Wort bezeichneten Fremden „reinigen“, was voll in die Hose geht. Denn am Kirtag, bei der feierlichen Enthüllung der „gottbegnadeten Kunst“ an der Rathaus-Fassade, lässt der himmlische Herr nicht wie vom Pfarrer erbeten Hirn regnen, aber jedenfalls etwas, das auch ganz gut nach Siegheilkirchen passt.
Dem Rotzbub, der sich zu Beginn des ersten abendfüllenden österreichischen Animationsfilms, seine Mutter malträtierend, noch mit Leibeskräften dagegen wehrte, auf die Welt zu kommen, steht nach Abschluss der Hauptschule eine gute Zeit bevor – als Manfred Deix, dem über Österreichs Grenzen hinaus so bekannten wie umstrittenen Grafiker, Cartoonisten und Karikaturisten.
„Willkommen in Siegheilkirchen“ ist vor allem als Hommage an Manfred Deix (1949 – 2016) zu verstehen, der kurz vor seinem Tod noch zusammen mit Martin Ambrosch am Drehbuch geschrieben hat. Das der mit besonderen Heimatfilmen wie „Wer früher stirbt ist länger tot“ oder „Sommer in Orange“ bekannte bayerische Regisseur Marcus H. Rosenmüller zur Grundlage seines Films gemacht hat, für den der in Wien lebende Animationskünstler Santiago López Jover die in jeder Hinsicht pralle Deixsche Bilderwelt in satten Farben auf der großen Leinwand wiederaufleben lässt.
Inspiriert von der Deixschen Biografie und seinem Blick auf die Welt unter besonderer Berücksichtigung seiner (nieder-) österreichischen Landsleute erzählt „Willkommen in Siegheilkirchen“ mit bissigem Humor und manch grenzwertiger Übertreibung von der Notwendigkeit, sein Leben mutig selbst in die Hand zu nehmen. Dabei verkörpert Mariolina als weiblicher Rotzbua auch Deixsche Qualitäten. Die Figur ihrer Mama Natascha ist angelehnt an Manfreds Mutter Marietta Deix.
Pitt Herrmann