Inhalt
Der neunjährige Moritz bringt durch seine gründliche, aber langsame Denkweise Eltern, Geschwister und Lehrer zur Verzweiflung. Er reißt von zu Hause aus und wohnt in einer Litfaßsäule. Eine sprechende Katze, ein Mädchen vom Zirkus und ein kluger Straßenkehrer machen ihm klar, dass alle mehr Verständnis füreinander aufbringen müssen.
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„Moritz tut alles schrecklich gerne langsam“ erzählt, etwas umständlich, vielleicht weil er dabei auf der Leiter steht und ein Plakat an besagte Litfaßsäule klebt, der Straßenfeger. Weshalb Moritz von seinen Schwestern als „Trödelhannes“ beschimpft wird und sein Mathelehrer Geiger stets um die Erfüllung des Unterrichts-Plansolls bangt. Moritz also wird seinem (Nach-) Namen nun wirklich nicht gerecht, was ihn freilich weniger beschäftigt als der Wegzug seines besten Freundes Markus nach Leipzig: Er träumt lieber oder, mit eigenen Worten: er denkt nach. Und fragt ganz unbefangen: „Mutti, kann man die Zeit nicht anhalten?“ Einerseits: In Mathe zu langsam. Andererseits: Im Zeichnen zu phantasievoll, jedenfalls für die eingefahrenen Vorstellungen seiner Kunstlehrerin Blaschke, die aus allen sozialistischen Realismuswolken fällt, als Moritz eine Vogelhochzeit samt Krokodil aufs Papier bringt, und das auch noch sehr farbenfroh. Das Fass zum Überlaufen bringt die letzte Mahnung des Herrn Geiger an Moritz, sein mit den Noten vier und fünf gespicktes Matheheft endlich vom Herrn Papa unterschreiben zu lassen.
„Es hat mir nicht mehr gefallen“ schreibt Moritz daheim auf ein Stück Papier – und nimmt reißaus. Er flüchtet sich samt Schlafsack und kleinem Lebensmittelvorrat in besagte Lißfaßsäule, deren Hohlkörper vom Straßenfeger als Materiallager benutzt wird. Welcher den Ausreißer auch am anderen Morgen entdeckt, aber Stillschweigen verspricht. Um dem Jungen eine Chance zu geben, die eigene Lage in Ruhe zu überdenken und selbst den Entschluss zur Rückkehr ins Elternhaus zu fassen. Doch vorerst genießt Moritz die ungewohnte Freiheit, sich nachts am Brunnen zu waschen und brav die Zähne zu putzen. Und freut sich über neue Freunde wie den Straßenfeger, der ihn bei Dunkelheit mitnimmt auf die menschenleeren Gassen und Plätze des Örtchens. Oder den frechen sprechenden Kater, dem er seine Ruhestätte streitig macht. Ganz besonders aber auf die kleine Hochseilartistin Kitty, die ihn zu einer Vorstellung in den Wanderzirkus einlädt, der für kurze Zeit in der Stadt gastiert.
Weshalb Moritz auch heißen Herzens in die Manege gekommen ist und beinahe das erste Mal aufgeflogen wäre, denn seine drei Schwestern waren zusammen mit Tante Pia auch in der Vorstellung und felsenfest davon überzeugt, den Ausreißer gesehen zu haben. Die attraktive Schwester des Vaters, die stets Fünfe gerade sein lässt, also nicht nur äußerlich das exakte Gegenteil des Hausherrn, ist zur Unterstützung der völlig am Boden zerstörten Eltern gekommen, die sich nun – endlich – fragen, warum ihr Sohn abgehauen ist. Das zweite Mal ist Dracula, der zottelige Spürhund des Polizisten Otto Zampe, auf der richtigen Spur, aber sein Herr hat sich einfach nicht vorstellen können, dass es im Inneren der Litfaßsäule einen Raum gibt...
„Moritz in der Litfaßsäule“ gehört zu den im Übrigen recht zahlreichen großen Erfolgen des DDR-Kinderfilms und seines Regisseurs. Rolf Losansky, der zusammen mit der Drehbuchautorin Christa Kožik und dem Titeldarsteller Dirk Müller, heute ein im Controlling tätiger Kaufmann, am 12. April 2010 zum Auftakt der neuen monatlichen Defa-Filmreihe im Arsenal-Kino der Deutschen Kinemathek an den Potsdamer Platz gekommen war, übermittelte an das mit zahlreichen Defa-Größen von Walfriede Schmitt und Karin Düwel über Gojko Mitic bis hin zu Catherine Flemming bestückte Auditorium herzliche Grüße „seiner“ Oscar-Preisträgerin Julia Jäger, deren große internationale Karriere mit diesem Defa-Film begann – in der Rolle der ältesten Schwester des Titelhelden. Der Film zeichnet sich zum einen durch das ganz selbstverständliche Nebeneinander von Realem und Phantastischem, von Spielfilm-Fiction und Animation (in Person des sprechenden und sehr lebensklugen Katers) aus, zum anderen durch eine manchmal überbordende Phantasie (etwa die Mutation des Polizeihundes Dracula, mehr soll nicht verraten werden) und eine augenzwinkernd ironische Grundhaltung zentraler Figuren bis hin zum philosophierenden Straßenkehrer, die mit der vom SED-Regime eingeforderten political correctness wenig bis überhaupt nichts zu tun hat.
Es herrscht übrigens in vielen Kinder- und Jugendfilmen der Defa ein befreiend-erfrischender Ton und das mag mit den größeren Freiheiten zu tun haben, die diesem für die Staatsideologie der Betreuung von der Wiege bis zur Bahre elementaren Genre gewährt wurde. Sicherlich mit ein Grund, warum aus dem engagierten Regieassistenten von Frank Beyer („Königskinder“) ein Kinderfilmemacher geworden ist. Aber einer, der seine Filme bewusst nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern auch für Erwachsene gedreht hat. Kinder haben das dritte Auge für den bunten Blick, weiß der Straßenfeger. Und sie verlieren dieses dritte Auge, wenn sie erwachsen geworden sind. Zeitlos dagegen sind die Filme Rolf Losanskys, die heute noch nachgefragt werden, übrigens verstärkt auch in den alten Bundesländern. Und der so bescheiden-sympathische Regisseur scheint keine Mühe zu scheuen, seine Filme zu begleiten, wo auch immer sie gezeigt werden.
Am 27. November 1983 im inzwischen geschlossenen Pankower Colosseum-Kino uraufgeführt, erhielt der 86-Minüter neben dem Kritikerpreis gleich drei Auszeichnungen beim 4. Nationalen Festival „Goldener Spatz“ für Kinderfilme der DDR im Februar 1985 in Gera: Sonderpreis des Ministers für Volksbildung (die männliche Bezeichnung galt auch für Margot Honecker), Ehrenpreis der Kinderjury sowie den Findlingspreis der Vereinigung der Filmclubs.
Pitt Herrmann
der Kater ist eine Katze! Das Witzige ist ja, dass diese Katzendame Kicki geschieden ist und statt ihres "schönen blauen Kater" jetzt nur noch häufig einen "Kater" vom Bier hat.
Ansonsten lese ich immer sehr gern Ihre Rezensionen.
Freundliche Grüße
Katrin Moelke