Inhalt
Ein ostdeutsches Provinzstädtchen im Jahr 1999, kurz vor dem Millennium-Wechsel: In einem alten Herrenhaus, das zu DDR-Zeiten als Kinderheim diente, feiert Gudrun, die einst selbst dort aufwuchs, ihren 60. Geburtstag. Zu den Gästen gehört auch ihre aus Berlin angereiste Tochter Lara, die bei ihrem Stiefvater groß wurde. Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter ist angespannt, nicht zuletzt, weil die verhärtete Gudrun mit Lara nie über deren leiblichen Vater sprechen wollte.
Während der Feier erfährt Gudrun, dass das traditionsreiche Anwesen von auswärtigen Investoren zu einem luxuriösen Hotel umgebaut werden soll. Im Dorf scheiden sich an dem Projekt die Geister: Die einen sehen darin eine wirtschaftliche Perspektive für die Region, die anderen den Ausverkauf der eigenen Geschichte. In den nächsten Tagen setzt Gudrun alles daran, das Gebäude als Gemeinde- und Begegnungszentrum zu erhalten. Zur gleichen Zeit macht Lara sich auf die Suche nach ihrem Vater.
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Wir schreiben das Jahr 1999, so kurz vor dem Millenniumswechsel grassiert auch in den neuen Bundesländern, wo die Infrastruktur in ländlichen Gegenden immer mehr zusammenbricht, die Angst vor dem Super-Gau, dem Ausfall zentraler Computersysteme. Lara, die von ihrem Stiefvater Werner am Bahnhof abgeholt wird, liest diesem beim Einkauf im Supermarkt ihre Geburtstagsrede vor im Bewusstsein, dass sie Gudrun nicht gefallen wird: „Aber das ist mir egal.“
Zuhause eingetroffen, wird schnell klar, dass das Mutter-Tochter-Verhältnis nicht das Beste ist. Gudrun besteht darauf, ihre Laudatio selbst zu schreiben. Überhaupt fürchtet sie sich davor, Gefühle zu zeigen, mag deshalb Geburtstagsständchen ebenso wenig wie Geschenke – und reagiert sehr zurückhaltend auf die turbulente Begrüßung ihrer Geburtstagsgäste, unter denen sich auch Bürgermeister Jens befindet.
Nachdem Victoria ein sehr persönliches Honig-Gedicht von 1945 vorgetragen und Mike ein mit brisanten West-Ost-Themen und dem nostalgischen Bummi-Lied gewürztes ABV-Kabarett (Abschnitts-Bevollmächtigte hießen die Ortssheriffs im Sozialismus) beigesteuert hat, verabschiedet sich Jens frühzeitig. Sogleich kommt heraus, dass der Bürgermeister den Ort dieser Feier zum symbolischen Preis von einer D-Mark verkaufen will an ein Immobilienkonsortium, das für den Bau eines Luxushotels einen zweistelligen Millionenbetrag investieren will.
Gleich am nächsten Morgen sitzt Gudrun im Büro des Bankdirektors Streifeneder, um mit einem Zweimarkstück selbst „ihr“ altes Kinderheim zu erwerben. Doch der rechnet ihr die immensen Kosten einer Grundsanierung des denkmalgeschützten Baus vor. Wutentbrannt stürmt Gudrun aus der Bank und kollidiert auf dem Marktplatz beim kopflosen Versuch, dem Bürgermeister aus dem Weg zu gehen, mit einem Auto. Mit Schock und Gehirnerschütterung wird sie ins Krankenhaus gebracht, wohin ihr Lara ein paar Kleider und Waschutensilien von zuhause bringen soll.
Beim Zusammenpacken findet Lara in der Nachttischschublade nicht nur ein kleines Kästchen mit Handspiegel und Bürste für Puppen, Belege für ungeahnte Gefühle ihrer so kalt und unnahbar auftretenden Mutter, sondern am Grund eines Koffers auch ein Porträtgemälde Gudruns mit der Widmung des Künstlers: „Es kommt nie zum zweiten Male, danke für die schönen Tage, Peter.“ Über die Adresse auf einem alten Geburtstagsbrief nimmt sie Kontakt zu einer in Berlin lebenden Freundin ihrer Mutter, der Therapeutin Henriette, auf, die ebenfalls im Waisenhaus aufgewachsen ist und mehr weiß über den ebenfalls in Berlin lebenden Maler, mit dem Gudrun während eines Sommerkurses in Ahrenshoop eine heftige Affäre hatte.
Als Peter Melzner seine Wohnung verlässt, folgt Lara ihm bis zur Volkshochschule, wo er Malkurse gibt. Statt sich zu erkennen zu geben, nimmt sie bei ihm eine Probestunde in Acrylmalerei. Beide finden sich sympathisch, bei einem Glas Wein entspannt sich ein Gespräch über Kunst im Sozialismus. Währenddessen kämpft Gudrun mit allen Mitteln um das Waisenhaus, das sie der Gemeinde als Gemeinschaftsort erhalten will…
Man muss sich auf das vom grauslichen Grimmschen Märchen „Das Mädchen ohne Hände“ gerahmte Regiedebüt der Schauspielerin Katharina Marie Schubert einlassen mit den langen Einstellungen des rumänischen Kameramannes Barbu Bălășoiu in seiner ersten deutschen Produktion. 1977 in Gifhorn geboren hat das langjährige Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters, der Münchner Kammerspiele und des Deutschen Theaters Berlin ihrer Bühnenkollegin Corinna Harfouch die Protagonisten-Rolle dieser zum Teil persönlichen Befindlichkeits-Geschichte auf den Leib geschrieben.
Katharina Marie Schubert im Wild Bunch-Presseheft: „Am Anfang standen vor allem die politischen Motive, im Lauf der Zeit entwickelte sich daraus eine Familiengeschichte, die den Film erst wirklich spannend macht. Da ist diese Frau, die in der Nazi-Zeit geboren wurde, dann in der DDR lebt und mit der Wende das dritte System adaptieren muss. Dabei war mir wichtig, niemanden zu denunzieren, alle Standpunkte sollen nachvollziehbar sein. Das ist für mich die Essenz einer Tragödie: Immer der, der gerade spricht, hat Recht. Es wäre schön, wenn es den Menschen beim Zuschauen nicht so einfach fiele, sich auf eine Seite zu stellen.“
Pitt Herrmann