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Dokumentarfilm über den Liedermacher und Baggerfahrer Gerhard Gundermann, der in der DDR große Erfolge feierte und unter anderem als der "Bob Dylan vom Tagebau" galt. Auch nach der Wende, bis zu seinem frühen Tod mit 43 Jahren, setzte sich seine Karriere fort. Der Film zeigt Archivaufnahmen unterschiedlicher Stationen seines Schaffens und Lebens und lässt seine Frau sowie Wegbegleiter*innen zu Wort kommen. Auch Gundermanns unrühmliche Rolle als Stasi-Spitzel wird thematisiert, die Anfang der 1990er Jahre bekannt wurde.
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1955 in Weimar zur Welt gekommen zieht „Gundi“, wie er bis heute von seinen Kollegen und Fans genannt wird, als Elfjähriger mit seiner Mutter in die „sozialistische Wohnstadt“ Hoyerswerda, der bald kinderreichsten Gemeinde der Republik. Mit 15 bekommt er seine erste Gitarre, bringt sich selbst das Spielen bei und wird Mitglied im Singeklub seiner Schule. Der „unheimlich ehrgeizige“ Schüler, wie seine Lehrerin vor Uwe Manns Kamera bekundet, ist häufiger angeeckt mit seinem individualistischen Freiheitsdrang, hat es aber auf die EOS geschafft, die Erweiterte Oberschule.
Mit 18 Jahren will Gundermann eigentlich auf den Spuren Ché Guevaras die Welt verbessern, landet jedoch auf der Offiziersschule in Löbau, wo er seinen ersten Singeklub gründet. Als er sich bei einem Besuch des DDR-Verteidigungsministers weigert, das Lied „Unser General“ anzustimmen, wird Gundermann aus „Mangel an Verwendungsfähigkeit“ aus der Nationalen Volksarmee entlassen. Zurück in der Lausitz lässt er sich im Tagebau Spreetal zum Facharbeiter für Tagebaugroßgeräte ausbilden und sitzt ab 1978 in der Kanzel einer dieser Riesenkraken – für ihn das ideale Umfeld zum Schreiben seiner Songtexte.
Gundi tritt in die SED ein, vor allem, um die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Menschen im Braunkohletagebau und im Gaskombinat „Schwarze Pumpe“, der größten Dreckschleuder der DDR, zu verbessern. „Er spricht aus, was er denkt“ sagt ein ehemaliger Mitstreiter der (Kultur-) „Brigade Feuerstein“ – und Gundi singt, dass Löcher im Plan nicht mit Parolen gestopft werden können. Sein wohl auch reichlich naiver Idealismus erfährt weder unter den Parteigenossen noch auf Betriebsversammlungen, die er mit Flugschriften befeuert, Unterstützung. 1982 begründet der SED-Betriebsparteisekretär Horst Göhlsdorf das bereits 1978 eingeleitete Parteiausschlussverfahren so: „Abgelehnt haben wir an ihm seine prinzipielle Eigenwilligkeit, das Nichteinfügen ins Kollektiv, Nichtverstehenwollen des Prinzips des demokratischen Zentralismus. Er war der Eigenbrötler.“
Trotz des harten Schichtdienstes bleibt Gundermann der Musik treu, macht im Singeklub in Hoyerswerda mit und steuert kritische Texte für die Bühnenprogramme der „Brigade Feuerstein“ bei. Als die erste Platte im Leipziger Studio entsteht, fällt Mitte der 1980er Jahre zugleich der Startschuss für eine solistische Karriere als Liedermacher: Gundi ist längst selbst zum Objekt der Stasi-Überwachung geworden. Auch als René Büttner ihn für das Amiga-Album „Februar“ mit der populären DDR-Band Silly als Texter für acht der zehn Titel gewinnt, will Gundermann von einer Karriere als Berufsmusiker nichts wissen: Für die Aufnahmen mit Tamara Danz nimmt er sich zwei Wochen Urlaub. Ein halbes Jahr vor der Wende 1989 kommt das Album mit dem vielsagenden Top-Song „Verlorene Kinder“ heraus. Als die Mauer fällt, ist Gundi gerade mit der Oktoberclub-Band unterwegs - die Tour muss abgebrochen werden.
„Ich habe mir die Weste dreckig gemacht, aber nicht die Hände“: Schon Anfang der 1990er-Jahre feiert er mit seiner neuen Band „Seilschaft“ wieder große Erfolge, auch nachdem seine Verbindung zum Ministerium für Staatssicherheit bekannt wird: 4.000 Fans strömen in die Freilichtbühne Berlin-Weißensee. Er tritt mit Bob Dylan und Joan Baez auf – und fährt noch in der Nacht zurück in die Lausitz: Frühschicht im Revier.
„Du hast mir so viel versprochen“ singt Gundi, „doch ich kann dich nicht mehr leiden“: In Fernsehdiskussionen mit Lothar Späth und Regine Hildebrandt verteidigt er die Errungenschaften der untergegangenen DDR und zeigt sich enttäuscht von den Folgen der Wiedervereinigung. „Ich war Bergmann, weiter hab‘ ich nichts gelernt“: Ein Jahr, nachdem sein Bagger verschrottet ist und er eine Umschulung zum Tischler absolviert hat, stirbt Gerhard Gundermann in der Nacht vom 21. zum 22. Juni 1998 in Spreetal bei Hoyerswerda. „Es war mein zweitbester Sommer“ hat er noch gesungen beim „Feuerstein“-Revival zum Zwanzigsten. Nun streift ein einsamer Wolf durch das verwüstete Braunkohlen-Revier und der aus dem Singeklub entstandene Bürgerchor Hoyerswerda singt „Immer wieder wächst das Gras.“
„Gundermann Revier“, uraufgeführt am 30. Oktober 2019 auf dem Int. Festival für Dokumentar- und Animationsfilme DOK Leipzig und noch vor dem Kinostart vier Tage später am 8. Dezember 2019 vom koproduzierenden Mitteldeutschen Rundfunk erstausgestrahlt, schlägt in 98 spannenden Minuten eine Brücke über zwei Jahrzehnte mit erstmals öffentlich gezeigten historischen (Privat-) Aufnahmen und Gesprächen mit engen Freunden und „Feuerstein“-Mitstreitern, den „Silly“-Musikern Uwe Hassbecker und Ritchie Barton, Andy Wieczorek von der Band „Seilschaft“ sowie seiner Lebensgefährtin Conny Gundermann.
Grit Lemkes Film ist zugleich das Porträt einer zerstörten Industrielandschaft, die sich nach dem Ende der Braunkohle wieder neu erfinden muss. Er stellt allgemeingültige Fragen nach dem Heimat-Begriff, nach dem Weiterleben der vorzeitig arbeitslos gewordenen Menschen, nach dem Überleben (sozialistischer) Utopien und der Verantwortung des Einzelnen. Wobei die Filmemacherin aus ihrem eigenen Standpunkt keinen Hehl macht.
Grit Lemke im Interview mit Knut Elstermann für MDR Kultur anlässlich der Leipziger Uraufführung im Oktober 2019: „Ich war mit Gundi befreundet und das war einer der Menschen, die mich wahrscheinlich mit am meisten beeinflusst haben. Und mir war es eben wichtig: es ist irgendwie auch die Geschichte meiner Generation. Es gibt diesen Begriff, den Gundi in dem Film auch nennt, die 'übersprungene Generation'. Und das ist so ein Grundgefühl, was ich mit mir rumtrage und was ich auch in den Liedern von Gundi finde. Also, was auch wir als eine bestimmte Generation im Osten haben, die, wie Gundermann sagt, nie an die Schalthebel der Macht gekommen sind. Und deshalb musste ich diesen Film so subjektiv und so persönlich erzählen.“
Pitt Herrmann