Inhalt
Die 40-jährige Maria führt mit ihrem Ehemann eine eintönige, festgefahrene Ehe. Außerdem muss Maria sich um ihren kranken, tyrannischen Vater kümmern. Als sie sich eines Tages in ihren sensiblen Nachbar Dieter verliebt, mündet ihr Versuch, aus ihrem grauen Alltag auszubrechen, geradewegs in eine Tragödie.
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Manchmal gibt sie sich absurden Beschäftigungen hin wie der, tote Fliegen und andere Gegenstände telekinetisch zu bewegen. Einen realen Kontakt zur Außenwelt hat Maria nicht. Auf der Straße zählt sie selbstversunken ihre Schritte, versucht beim Gehen, ihre Herztöne zu hören. Sie bewegt sich wie in einem Vakuum und wagt es nur aus sicherer Distanz heraus, das Kommen und Gehen eines sympathischen Nachbarn heimlich zu beobachten. Die Zeit ergeht, als wäre sie eine zähflüssige, bittere Masse.
Eines Morgens klingelt das Telefon. Dieter, der Mann aus dem Hinterhaus, ist am anderen Ende der Leitung. Unter einem Vorwand treffen sich die beiden in seiner Wohnung. Und die entpuppt sich als ein einziges Labyrinth aus Zeitungsstapeln und Papieren: Dieter scheint ein Seelenverwandter Marias zu sein, schrullig, menschenscheu und voller Wünsche. Beide erkennen sich und verlieben sich unbeholfen ineinander.
Als Dieter Maria nach ihrer Vergangenheit fragt, gerät sie ins Stocken. Völlig verunsichert flieht sie aus seiner Wohnung, ist beunruhigt, geradezu aufgewühlt. Etwas brodelt in ihr und gerät auf beängstigende neue Art in Bewegung. Währenddessen hat Heinz, um Spielschulden begleichen zu können, Marias heimliches Geldversteck in einer Holzfigur geplündert, welcher er zerstört und ihre Überreste ins Aquarium wirft.
Diese Holzfigur ist für Maria etwas Besonderes. Sie nennt sie „Fomimo“ und schreibt ihr seit der Kindheit täglich Briefe, welche sich in einem doppelwandigen Wohnzimmerschrank stapeln. Magisch überträgt sich der Zustand der malträtierten Holzfigur auf Marias Körper: Schlagartig schnürt sich ihr der Hals zu, sie fällt auf der Straße in Ohnmacht und wird fast von einem Bus überfahren, Wasser läuft aus ihrem Mund.
Als Maria wieder zu sich kommt, beschließt sie, die Briefe und damit ihre Geschichte aus der Versenkung zu holen. Eine wahre Papierflut strömt ihr entgegen, als sie den Schrank öffnet. Maria beginnt zu lesen, Brief für Brief. Alptraumhafte Sequenzen, groteske Figuren und überzogene Wahrnehmungen schießen ihr durch den Kopf, Kindheitserinnerungen, Schuldgefühle, Lebenslügen wie die Ehe mit Heinz, dem Skatbruder ihres Vaters.
Rückblende: Weil die Mutter bei ihrer Geburt starb, hat Maria schon als junges Mädchen deren Rolle mit übernehmen müssen. Und dann gleich den ersten Freund, der ihr einen Kuss entlockte, geheiratet – auf ausdrücklichen Wunsch des Papas. Der hat die beiden seinerzeit inflagranti erwischt, darob einen Schlaganfall erlitten, der ihn als Pflegefall ans Bett gekettet hat, nun noch mehr auf Maria angewiesen. Maria hat also keine Chance – und will diese dennoch nutzen: Ihre Erinnerungen und die unverhoffte Liebe zu Dieter brechen alles auf. Sie hat nur noch einen Traum: ’raus aus der lebensmüden Dämmerung, aus den – teils selbstgestrickten – Fesseln der Vergangenheit.
Nahezu schicksalhaft wendet sich das Geschehen, aus den ehemals eingefleischten Ersatzhandlungen Marias werden kalkulierte Taten. Harmlose Gegenstände wie der Teekessel oder die Holzfigur Fomimo verwandeln sich in der Hand der „erwachten“ Maria zu komplizenhaften Werkzeugen ihrer Befreiung. Doch Marias finaler Rundumschlag, der ihren Gatten und ihren Vater treffen soll, ist auch ein Bumerang. Jetzt kann ihr nur noch ein Wunder helfen...
Tom Tykwer erzählt in seinem aufsehenerregenden Kino-Debüt die Geschichte der tödlichen Maria in berückend-bedrückenden, geradezu kafkaesken Bildern und kommt dabei mit ganz wenig Worten und ohne weitschweifige Erklärungen aus. Das große, ja großartige Kammerspiel ermöglichte Joachim Król endlich die Gestaltungsfreiheit einer Hauptrolle außerhalb der neudeutschen Leinwand-Lustspielfilme. Sein Dieter ist als schüchterner Nachbar für Maria das Gegenmodell für die beiden (Westentaschen-) Machos daheim: Ein stilles, schmächtiges Kerlchen, der einem geregelten, selten inspirativen oder gar phantasievollen Tagewerk nachgeht.
Morgens verlässt er das Haus mit dem Rad, um im Verlag zu arbeiten, die halben Nächte schlägt er sich mit tumb-mechanischem Bibliographieren um die Ohren. Seine hermetisch verschlossene Wohnung ist vollgestopft mit Büchern und Zeitungen. Und wenn tatsächlich ’mal jemand vorbeikommt, wie Maria, dann wird der Besucher von einer im Küchenschrank versteckten Kamera abgelichtet – für die Ewigkeit festgehalten analog zu seinen dicken gebundenen Wälzern.
Das könnte Angstträume hervorrufen, nicht so bei Dieter: Der hat sich eingerichtet im Leben, auch wenn Joachim Króls sehnsüchtiger Hundeblick hinauf zum Himmel, eigentlich aber zu dem Fenster gerichtet ist, hinter dem Martha zur Morgen- und Abendzeit zu sitzen pflegt. Als es jedoch darauf ankommt, den von Maria frei geschaufelten Weg gemeinsam mit ihr zu gehen, bekommt Dieter Angst...
Pitt Herrmann