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"Tage wie diese", "Hier kommt Alex" oder "Freunde": Die großen Hits der Toten Hosen dürfen auf keinem ihrer Konzerte fehlen. Gegründet 1982, mit Wurzeln in der deutschen Punkbewegung, schreiben sie seit 36 Jahren Lieder, bei denen Politik, Spaß und manchmal Provokation keine Widersprüche sind, und die wie die keiner anderen deutschen Band die Gegenwart reflektieren. Für Campino, den Sänger und Texter der Band, war Punk damals der Gegenentwurf zur biederen Realität der späten 1970er- und frühen 1980er-Jahre in Westdeutschland. Heute ist er für die Band eine Lebenseinstellung, die sich auch mit dem gigantischen Erfolg von über 19 Millionen verkauften Tonträgern nicht geändert hat.
Die Regisseurin folgte den Toten Hosen 2018 auf ihrer großen Tournee durch die Stadien und Open-Air-Locations in Deutschland und der Schweiz und bis nach Argentinien, wo sie seit 26 Jahren die enthusiastischsten und treuesten Fans außerhalb des deutschsprachigen Raums haben. Kablitz-Post, die die Band seit über zehn Jahren filmisch begleitet, zeigt die Künstler während der Tour auf der Bühne, Backstage und im Bus und lässt sie selbst zu Wort kommen. Die Konzert-Regie übernahm Musikfilm-Regisseur Paul Dugdale.
Quelle: 69. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
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Ankunft in Dresden. Im Stadion spielt sonst der einstige Stasiklub FC Dynamo. Die Erwartungshaltung der sächsischen Fans ist enorm. Nachts nach dem naturgemäß mit Ovationen gefeierten Konzert geht’s spontan ins benachbarte Freibad. Die Kameras sind längst eingemottet, hätten gewichtmäßig auch nicht übern Zaun gehievt werden können. Einer aus dem Tross zückt das Handy und filmt die an längst vergangene Punk-Zeiten erinnernde Abkühlung. Frontmann Campino, der eigentlich Andreas Frege heißt und vor 57 Jahren das Licht der Welt erblickte, erläutert, dass die Truppe wie er selbst ruhiger geworden ist: „Am Anfang unserer Tage sind wir aus dem normalen Leben ausgebrochen und schweren Herzens wieder in den Alltag zurückgekehrt. Heute ist es genau umgekehrt. Wir können feiern, wenn wir zuhause sind.“ Als Campino in Berlin einen Hörsturz erleidet und die Ärzte strikte Bettruhe verordnen, muss das Equipment in der Waldbühne wieder abgebaut werden. Neustart der Tournee nach fünfwöchiger Pause in Stuttgart. Campino, der ein Trikot von Fortuna Düsseldorf übergestreift hat, was in der Heimat des traditionsreichen VfB offenbar niemanden stört, singt „Unsterblich“ und hat am eigenen Leib erfahren, dass er es nicht ist. Alle Bandmitglieder leiden seit Jahren unter Tinnitus, haben wie Campino zumeist Familie und damit Verantwortung, lassen es ruhiger angehen. Der Frontmann hält sich mit Kickboxen fit.
„Tage wie diese“: Auch an beschaulichen Orten wie dem legendären Punk-Schuppen Sedel im idyllischen Luzern lassen es die Toten Hosen krachen und punkten bei den textsicheren Schweizern sogar mit Liedern wie „Der Bofrost Mann“, obwohl es den bei den Eidgenossen gar nicht gibt. Beim Nachholkonzert in der Berliner Waldbühne ist Ärzte-Bassist Rod dabei – und beim Lied „Schrei nach Liebe“ gemeinsam mit den Hosen auf der Bühne. Die Rivalität zwischen den beiden deutschen Gruppen ist Legion, aber längst vorbei: Rod empfindet es als Ehre, das Stück der „Ärzte“ von 1993 hier spielen zu dürfen. „Willkommen in Deutschland“: Zuvor gabs kleinere Gastspiele in Chemnitz beim Polit-Konzert gegen Rechts der Gruppe „Feine Sahne Fischfilet“ und in der Urzelle des Punks in Deutschland, dem immer noch bestehenden Club SO 36 an der Oranienstraße in Kreuzberg. Bevor es nach Berlin und – zum Abschluss – ins heimische Düsseldorf geht, zwei in jeder Hinsicht exotische Highlights: Ein Open-Air-Event in Ferropolis, auf dem gewaltigen Braunkohlen-Bagger in Gräfenhainichen, bei dem Campino ein klares Bekenntnis gegen Rechts abgibt, und ein (wein-) seliger Kurztrip in die zweite Heimat Argentinien mit einem intimen Klub-Konzert wie in alten Punk-Tagen ohne Netz und doppelten Boden: Campino wird auf der Straße in Buenos Aires sofort von Fans umringt. „You saved my adolescence“ sagt einer, ein anderer: „Punkrock und Fußball – sie vereinen alle guten Themen.“ Mit 19 Millionen verkaufter Alben gehören die Hosen zu den erfolgreichsten Bands weltweit.
Naturgemäß ist „Weil du nur einmal lebst“ ein Konzertfilm, der das Publikum in den fantastischen Live-Bildern Nathaniell Hills mitten hinein ins von Paul Dugdale inszenierte Geschehen nimmt: Im Cinemascope-Format und mit Dolby Atmos-Ausstattung ist das ein grandioses Kino-Live-Erlebnis. Darüber hinaus gewährt Cordula Kablitz-Post so noch nicht gesehene Einblicke hinter die Kulissen. Die Fahrt im Tourbus, die Roadies bei der Arbeit, die Klamottenauswahl vor dem Gig. Banaler Alltag auf Tour, und doch etwas Besonderes bei einer Truppe, die im Grunde seit 1980 beisammen ist. Zur Hosen-Familie gehören selbstverständlich Produktionsleiter Christof Matthiesen und Tourneeveranstalter Kiki Ressler, aber genauso der Caterer Ole Plogstedt oder der erfahrene Security-Schrank Rene Tagliapetra. Und nicht zuletzt der Physiotherapeut Flo, der sich auch von Campinos grauslichen Stimmübungen nach Verabreichung seines speziellen Wurzelsuds nicht aus der Ruhe bringen lässt. Cordula Kablitz-Post im Presseheft: „Spannend fand ich die Tatsache, dass die Band so lange zusammen ist. Ich wollte wissen: Wie schaffen sie es, so erfolgreich immer weiterzumachen? Ich vermutete, die demokratische Herangehensweise innerhalb der Band könnte das Erfolgsrezept sein. Andere Bands schlüsseln genau auf, wer die Texte oder die Musik eines Songs geschrieben hat und dafür Geld bekommt. Die Hosen teilen alle Einnahmen zu gleichen Teilen auf. Diese einzigartige Bandchemie machte mich wieder neugierig. Wie funktioniert die im Tour-Alltag?“ In siebenmonatiger Drehzeit entstand Material für 180 Stunden, woraus ein 112-minütiger Dokumentarfilm destilliert worden ist, der am 15. Februar 2019 in der „Spezial“-Reihe der Berlinale außer Konkurrenz mit einer Gala im Friedrichstadtpalast uraufgeführt wurde, am 28. März 2019 in unsere Kinos kam und am 29. Januar 2021 auf Arte erstausgestrahlt wird.
Pitt Herrmann